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„Ein Einschnitt, der alles veränderte“

Zum 45. Jahrestag des Olympia-Attentats von München eröffnet ein besonderer Gedächtnisort. Offen und für alle zugänglich, will er erinnern und berühren.  

05.09.2017
Einweihung des Denkmals für die Opfer des Olympia-Attentat 1972.
Einweihung des Denkmals für die Opfer des Olympia-Attentat 1972. © dpa

Deutschland. Ein scharfer Einschnitt in die Hügellandschaft markiert den Verlust und steht als Symbol für die Ereignisse vom 5. September 1972: Im Münchner Olympiapark steht der  neue Erinnerungsort für die Opfer des Attentats während der Olympischen Spiele 1972. Elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist starben. Das Attentat der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ gilt vielen als Beginn des internationalen Terrorismus. Es war der erste Terroranschlag, der zu einem globalen Medienereignis wurde und überall auf der Welt live am Bildschirm mitverfolgt werden konnte. Lange gerungen wurde um die angemessene Form des Gedenkens an die Ereignisse. Zur Eröffnung des Denkmals und des Dokumentationszentrums am 6. September 2017 reisten Israels Präsident Reuven Rivlin, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie Hinterbliebene der Opfer nach München.

Peter Brückner
Peter Brückner © Wilfried Dechau

Für Peter Brückner, den Architekten des Erinnerungsorts, war die Arbeit zugleich eine  intensive Spurensuche.

Herr Brückner, Sie waren zehn Jahre alt, als palästinensische Terroristen in München am 5. September 1972 die Sportler der israelischen Olympiamannschaft überfielen. Sie nahmen elf israelische Athleten als Geiseln. Zwei Sportler ermordeten sie gleich. Der spätere  Befreiungsversuch der deutschen Behörden scheiterte, dabei starben weitere neun Geiseln und ein bayerischer Polizist. Können Sie sich an die Ereignisse erinnern?

Sogar sehr genau. Ich hatte damals mit der Leichtathletik angefangen und verfolgte die Spiele wie gebannt. Die Bilder von dem Überfall habe ich gesehen und nie vergessen. Deshalb war die Grundidee für den Erinnerungsort schnell da: Ein tiefer Einschnitt, der das Leben der Sportler und aller Menschen, die dort waren, für immer verändert hat.

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Video: Zeitzeugen sprechen über das Geiseldrama von München, Film des Projekts „Unsere Geschichte. Gedächtnis der Nation“

Wo liegt das Denkmal?

Mittendrin in diesem schönen Park, der für die Olympischen Spiele geschaffen worden ist. In einen der vom Olympia-Architekten Günter Behnisch gestalteten Hügel haben wir einen begehbaren Raum gebaut, der offen und von allen Seiten zugänglich ist. Touristen, Jogger oder Familien kommen hier vorbei und werden aufmerksam. Das war uns wichtig. Wir wollten Sichtbarkeit und die Blickbeziehung zu anderen Orten des Attentats. Dafür haben wir sehr gekämpft!

Luftbild mit Blickbeziehungen
Luftaufnahme mit Blickbeziehungen

Ihr Team hat ein kleines Dokumentationszentrum geschaffen. Worin lag die Herausforderung?

Im Zentrum stehen die Opfer, ihre Biografien bilden den Mittelpunkt und leuchten weithin sichtbar von innen heraus. Wir zeigen eine Auswahl an Bildern, die in vielen Gesprächen mit den Hinterbliebenen getroffen worden ist und die eine sehr persönliche Sicht zeigen. Die Kuratorin des Projekts, Piritta Kleiner, war mehrmals in Israel und hat uns einen Riesenfundus an Möglichkeiten aufgetan! Ein Foto zeigt den getöteten Gewichtheber Yossef Romano, der seine kleine Tochter auf seinem ausgestreckten Arm stemmt. Ein anderes das Maskottchen der Spiele, den Olympia-Waldi, den der Fechttrainer André Spitzer für sein Kind gekauft hatte. Er konnte es ihm nicht mehr geben. Besucher lesen Informationen über das Leben der Opfer und ihrer Familien. Zugleich wird das Attentat eingeordnet in einen größeren politischen und historischen Zusammenhang – von den deutsch-israelischen Beziehungen über die Grundstrukturen des internationalen Terrorismus bis hin zur politischen Dimension Olympias. Das war komplex.

Uns stand eine unglaubliche Fülle an authentischem Material zur Verfügung.
Peter Brückner, Architekt des Erinnerungsort für die Opfer des Olympia-Attentats 1972

Wie haben Sie das gelöst?

Uns stand eine unglaubliche Fülle an authentischem Material zur Verfügung. Polizeiprotokolle, Medienberichte, Tondokumente – ich kenne nichts Vergleichbares. Im Zentrum läuft ein Loop von Bildern, die den Verlauf des Attentats zeigen, in einer immer wieder von neuem beginnenden, mehrsprachigen Projektion, die den Betrachter zum Mitgehen animiert.

Das ist viel Stoff!

Man braucht eine gewisse Zeit, so ein Ereignis lässt sich nicht wie ein Clip abhandeln. Zwischendurch können Besucher sich hinsetzen, verweilen und den 360-Grad-Blick auf sich wirken lassen, den der Einschnitt frei gibt. Über terrassenförmig angeordnete Stufen ist die Präsentationsebene eingebettet in die Landschaft. Es war uns wichtig, einen geschützten Raum zu schaffen – ein Gefäß für die Erinnerung und die Menschen. Der Boden und das Stahldach sind in einem Anthrazitgrau beschichtet. Man spürt eine gewisse Dunkelheit, das Licht spiegelt sich im Wechsel der Jahreszeiten auf der leicht samtmatten Fläche.

Besuchern wird das Leben der Opfer und ihrer Familien nahegebracht.
Besuchern wird das Leben der Opfer und ihrer Familien nahegebracht. © dpa

Der Erinnerungsort ist jederzeit zugänglich, Tag und Nacht. Gab es keine Sicherheitsbedenken?

Darüber haben wir nachgedacht. Die Bildschirme sind alle hinter Sicherheitsglas, aber vor Vandalismus ist man nie gefeit. Das darf aber nicht die Konsequenz haben, dass solche Dinge nicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen.

War diese Arbeit für Sie etwas Besonderes?

Jedes Projekt hat seine eigene Seele, aber diese Aufgabe hatte schon eine besondere Mehrschichtigkeit. Nicht nur wegen der persönlichen Erinnerung, die mich mit dem Ereignis verbindet. Auch aufgrund der geschichtlichen Dimension und ihrer Aktualität – das Attentat war die Stunde Null des internationalen Terrorismus. Es war für uns alle eine einmalige Erfahrung, so etwas mit Zeitzeugen realisieren zu können.

Was wünschen Sie sich für den Erinnerungsort?

Die Präsenz des authentischen Ortes ist spürbar. Passanten stehen 45 Jahre später dort, wo sich alles abgespielt hat. Auf den Bildern sehen sie dieselbe Landschaft, nur dass alles neuer aussieht und die Bäume noch viel kleiner sind. Da kommt man der Erinnerung nicht aus! Wenn die Menschen diese Eindrücke an sich rankommen lassen, sich von dem berühren lassen, was wir zeigen, dann haben wir viel erreicht.