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Ein Weltenbummler

Okwui Enwezor drehte den eurozentrischen Blick um und richtete ihn auf seine Erfinder.

Swantje Karich, 01.10.2015

Seine Erscheinung hat sich seit 15 Jahren nicht verändert: Polierte Anzüge, große Schritte, auffallendes Lachen. Okwui Enwezor. Der große Kurator mit klarer Agenda. Auf der Biennale in Venedig 2015 sah man ihn zuletzt etwas gebeugt über das große Machtfeld schreiten. Aber es war kein Geschlagener, der dort den Kiesweg nahm. Es war einer, der nach einem langen Weg leicht erschöpft ans Ziel gekommen ist. Okwui Enwezor, seit einigen Jahren Direktor des Münchner Hauses der Kunst, ist Anführer einer Kunstbewegung, die sich seit mehr als zwanzig Jahren für einen transnationalen Blick auf die Kunst einsetzt.

Okwui Enwezor, geboren 1967 im nigerianischen Calabar, dutzende Male mit seinen Eltern während des Biafra-Kriegs weitergezogen, fand 1994 in New York seine Mission als Quereinsteiger in die Kunst, als er das Magazin „NKA: Journal of Contemporary African Art“ gründete. Dessen einzige, klare, entschiedene Aufgabe war es, die vernachlässigte afrikanische Kunstszene ins Gedächtnis zu rufen.

Daraus wurde ein Sprungbrett, das nur wenige so effizient zu nutzen wussten wie Okwui Enwezor: Schon 1996 zeigte er afrikanische Fotografie im New Yorker Guggenheim Museum. Sein Einsatz war damals von der nüchternen, realistischen Feststellung getrieben, dass die eurozentristische Perspektive nicht gerecht sein kann. Ein großes Publikum hatte er nicht. Der westliche Kunstblick wurde damals noch erbittert verteidigt. Afrikanische Gegenwartskunst belächelt. Vergleicht man die Rezeption der afrikanischen Gegenwartskunst im Jahr der Guggenheim-Schau 1994, das Jahr 2002, als Enwezor die Documenta 11 in Kassel leitete, und 2015, so fällt das Urteil eindeutig aus: den Elfenbeinturm Europa gibt es in der Kunst nicht mehr. Okwui Enwezor ist aber kein Guerillaaktivist. Er ist eher der Weltumsegler unter den Kuratoren, der seine Ziele genau und strategisch absteckt, wissend bei welchen Winden sein Boot auch ohne Motor sein Ziel erreicht. Er weiß, welche einflussreichen Leute er an Bord holen muss. Das kratzt manchmal an seiner Authentizität, wenn er in Kiew beim Oligarchen Victor Pinchuk Hof hält.

Doch das Geschäft der Kunst ist hart heute: Nur so hat er den großen Kunsthafen erreicht und kuratierte 2015 die größte und bedeutendste Kunstbiennale der Welt in Venedig. Dort hat er Zuschauer aus der gesamten Welt. Das ist seine Arena. Das passt ins Profil. Okwui Enwezor hat jetzt die Macht, den Weg vorzugeben. Den Kontinent Afrika hat er nie in die Welt exportiert, sondern gute Künstler. 2002 drehte er den eurozentrischen Blick um und richtete ihn auf seine Erfinder. Jetzt aber sind wir in der postwestlichen Welt angekommen und viele Kunstkenner schauen etwas verdattert in diverse Richtungen, suchen nach Orientierung. Okwui Enwezor wird sich wieder etwas ausdenken, um den Blick zu lenken, zu sprengen und wieder zu lenken. Er hat eine Vision. Er hat sie immer gehabt und er wird sie nicht verlieren. ▪