Zum Hauptinhalt springen

„Zerrissenheit fühlt sich sehr universell an“

Die Autorin Rasha Khayat ist in Saudi-Arabien und Deutschland aufgewachsen. In ihrem neuen Roman schreibt sie über Entwurzelung, Familienbande und das Leben in zwei Welten.

28.04.2017
Deutschland, Rasha Khayat
Deutschland, Rasha Khayat © dpa - Rasha Khayat

Frau Khayat, in Ihrem Roman „Weil wir längst woanders sind“ beschreiben Sie die Entwurzelung zweier Kinder, die im saudi-arabischen Jeddah aufwachsen und als Grundschüler nach Deutschland umziehen. Diese „Entortung“, wie Sie es nennen, bleibt Bestandteil des Lebens der beiden, auch als sie längst erwachsen sind. Sie selbst wuchsen ebenfalls in Saudi-Arabien auf und kamen als Kind nach Deutschland. Wie autobiografisch ist Ihr Roman?

Ich habe im Buch nicht nur meine eigene Geschichte verarbeitet, sondern auch die meines Umfelds, meiner Eltern, von Freunden meiner Eltern und von Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. Wut, Scham, Phlegma, Nicht-Zugehörigkeit: Diese bikulturelle Zerrissenheit fühlt sich sehr universell an, ist aber unabhängig vom Land der Herkunft. Mit meinem Buch konnte ich einer ganzen Gruppe von Menschen eine Stimme geben.

Die in Deutschland aufgewachsene Protagonistin Layla möchte einen jungen Mann aus Saudi-Arabien heiraten – auch, um dort weiterhin leben zu können. Eine Entscheidung, die ihre Mutter und ihr Bruder nicht nachvollziehen können.

Auch einige Leser in Deutschland fanden die Entscheidung zu drastisch und extrem. Dabei vergessen viele Menschen, dass sie ein Wertmaß anlegen, – Liebesheirat –, das auch in Europa noch sehr jung ist. Ich habe Laylas Entscheidung nicht als Provokation entworfen, sondern ich kenne einfach einige Frauen, die eine solche Entscheidung getroffen haben. Mal hat die Ehe funktioniert, mal nicht. Layla und ihr Verlobter verstehen sich und haben ein gemeinsames Ziel – ist das nicht ganz viel wert? Ich habe allerdings festgestellt, dass diese pragmatische Idee sehr an Idealen und eingefahrenen Sichtweisen rüttelt.

Sie kehrten 1988, als Elfjährige, mit Ihrer Familie von Saudi-Arabien nach Deutschland zurück. Nach dem Studium verbrachten Sie eine längere Zeit im Nahen Osten. Was verbinden Sie mit Saudi-Arabien?

Als wir in den frühen 1980er-Jahren in Saudi-Arabien lebten, war ich noch ein Kind. Ich erinnere mich aber gut, dass meine blonde Mutter nie einen Schleier oder ein Kopftuch trug. Jeddah war damals eine sehr offene Stadt, die Bewohner lebten gemeinschaftlich miteinander. Mit dem Kuwait-Krieg 1991 veränderte sich die Gesellschaft und mein Vater muss das gespürt haben. Er brach alle Zelte ab und zog mit uns nach Deutschland. Welche konservative Wende Saudi-Arabien daraufhin erfuhr, erlebte ich später bei einem Besuch. Ich wollte mich in einem CD-Geschäft umsehen, als ein Cousin mir am Eingang das Schild zeigte: Für Frauen kein Zutritt.

Und dann kam der 11. September 2001.

Ja, mit sehr spürbaren Folgen. Ich hatte vorher noch nie Frauen mit Gesichtsschleier, schwarzen Handschuhen und Abaya in Jeddah gesehen, das war schlimm. Doch inzwischen empfinde ich wieder eine liberalere Strömung: Bei meinen Besuchen 2013 und 2014 hatte ich wieder das Gefühl, dass die junge Generation sich im Rahmen der Möglichkeiten verändern möchte. Meine Cousinen arbeiten beispielsweise an der Universität, an Schulen oder in Krankenhäusern und lassen ihre Kinder ganz selbstverständlich in Kindertagesstätten betreuen. Die jungen Männer unterstützen das. Ich halte engen Kontakt zu meinen Verwandten in Jeddah. Immer freitags kommt die ganze Familie zusammen, dann telefonieren wir über Facetime.

Wie wurde Ihr Buch in Deutschland aufgenommen?

Die Öffentlichkeit hat sich geradezu auf mein Buch gestürzt! Das Jahr 2016 war dementsprechend turbulent. Das Interesse am Buch rührt nicht nur daher, dass es um Saudi-Arabien geht, sondern es passt auch gut in die Zeit. Die Themen der zweiten Generation Migrantenkinder – Rassismus und Heimatgefühle – beschäftigen aktuell viele Menschen. Interessanterweise saß ich in vielen Diskussionen mit den gleichen Autoren auf dem Podium, obwohl wir sehr unterschiedlich schreiben: mit Senthuran Varatharajah („Vor der Zunahme der Zeichen“), der tamilische Wurzeln hat, mit Shida Bazyar („Nachts ist es leise in Teheran“), deren Eltern einst aus Iran flohen, und mit Dmitrij Kapitelman („Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“), der als sogenannter Kontingentflüchtling von der Ukraine nach Deutschland kam. Unsere Bücher wurden in einen Topf geworfen, weil wir uns mit dem Thema Herkunft und Biografie beschäftigen. Wir haben daraufhin eine WhatsApp-Gruppe namens „Migrutanten“ gegründet: Debutanten mit Migrationshintergrund.

Wie reagierten die Zuhörer?

Ich habe bei den Besuchern große Unsicherheit darüber gespürt, was sie wie fragen dürfen. Aber ich hoffe, dass die Gespräche etwas bewirkt haben. Ich habe jedoch bemerkt, dass es in der Wahrnehmung und Reaktion der Leute einen großen Unterschied macht, ob ein jüdischer Autor wie Dmitrij Kapitelman eine Migrationsgeschichte erzählt oder eine Frau aus einem arabischen Land, das zur „Achse des Bösen“ gezählt wird.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Nach einem sehr aufwühlenden Jahr wird es jetzt für mich etwas ruhiger und ich habe mit der Recherche zu meinem nächsten Buch begonnen. Ich stecke noch in den Anfängen, aber so viel steht fest: Der nächste Roman wird im Ruhrgebiet spielen.

Rasha Khayat wurde 1978 in Dortmund geboren. Sie wuchs in Jeddah, Saudi-Arabien, auf und zog als Elfjährige mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Nach einem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Bonn reiste sie mehrere Jahre durch den Nahen Osten. Rasha Khayat lebt in Hamburg und arbeitet als freie Autorin, Übersetzerin und Lektorin. 2010 war sie Stipendiatin der Jürgen-Ponto-Stiftung. Seit dem Arabischen Frühling öffnet sie auf ihrem Blog http://www.westoestlichediva.com/ „ein deutsches Fenster zu Arabistan“. 2016 ist ihr erster Roman „Weil wir längst woanders sind“ im Dumont-Verlag erschienen.

Interview: Sarah Kanning

© www.deutschland.de