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Die nächste Stufe

Ein Interview mit Axel Stepken, Vorstandsvorsitzender des TÜV Süd, über Industrie 4.0 und die Chancen für Deutschland und Asien.

21.01.2014
© TÜV Süd - Axel Stepken

Herr Stepken, bevor Sie Vorstandsvorsitzender des TÜV SÜD, einem führenden technischen Prüfunternehmen für die internationale Industrie, wurden, waren Sie als Mitglied des Vorstands für die strategischen Geschäftsfelder „Mensch und Industrie“ verantwortlich. „Industrie 4.0“ müsste also Ihr Thema sein. Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland?

Unter Schlagworten wie „Industrie 4.0“ oder „Integrated Industry“ wird eine umfassende Vernetzung der industriellen Fertigung diskutiert. Es geht darum, dass Produkte und Anlagen ein „elektronisches Gedächtnis“ bekommen und automatisiert miteinander kommunizieren. Damit teilt das Produkt auf der einen Seite der Anlage mit, wie es weiterverarbeitet werden soll - auf der anderen Seite speichern die Produktionsanlagen die Bedarfs- und Nutzungsdaten, also beispielsweise den Bedarf an Hilfs- und Betriebsstoffen oder den Zeitpunkt der nächsten Wartung oder Prüfung. Solche Daten sind auch hilfreich, wenn moderne Instandhaltungsstrategien entwickelt beziehungsweise eingesetzt werden. Bis die Fertigung in Deutschland flächendeckend vernetzt ist, dürften noch einige Jahre ins Land gehen – selbst wenn es heute schon Unternehmen gibt, die in Teilen vernetzt produzieren: Die Produktionsanlage, die sich komplett selbst steuert, ist noch keine ganz nahe Zukunft.

Im Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft sind Sie für die Asean-Länder zuständig. Welche Bedeutung haben die Asean-Länder für die deutsche Wirtschaft?

Trotz der jüngsten Währungsturbulenzen und korrigierten Wachstumsprognosen für einige der zehn Asean-Länder wird sich diese Wirtschaftsregion mittel- und langfristig sehr positiv entwickeln. Die Bedeutung von Staaten wie Singapur, Thailand, Malaysia oder Indonesien hat die Europäische Union erkannt. Der Abschluss des Freihandelsabkommens mit Singapur im September 2013 stärkt den Handel und die Investitionen in das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Region. Fünf Millionen Einwohner standen im vergangen Jahr für ein Handelsvolumen von 52 Milliarden Euro mit der Europäischen Union. Das ist gut ein Drittel des gesamten EU-Handels mit den Asean-Ländern. Es geht aber nicht nur um Exportmärkte für die deutsche und die europäische Wirtschaft. Unter dem Stichwort Global Sourcing betreiben Großunternehmen und auch immer mehr Mittelständler ein internationales Beschaffungsmanagement, um sich günstigere Bezugsquellen zu sichern. Damit verlagert sich der Anlagenbau mehr und mehr in asiatische Länder – bei gleichzeitiger Verzahnung der internationalen Lieferketten.

Welche Impulse könnte die Entwicklung zur Industrie 4.0 in die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den Asean-Ländern bringen? Welche Anwendungen wären denkbar?

Durch den erhöhten Vernetzungsgrad einer intelligenten Produktion wachsen Anbieter, Kunden und Dienstleister zwangsläufig stärker zusammen. Das gilt auch, wenn diese in unterschiedlichen Ländern und Weltregionen sitzen. Maschinenbauer könnten auch nach dem Export ihrer Anlagen sehen, wie Kunden diese im Betrieb fahren. Mit diesem Wissen lassen sich Steueralgorithmen verbessern und Updates implementieren, die beispielweise den Verschnitt senken und so Materialkosten sparen. Auf der anderen Seite kann auch das intelligent gefertigte Produkt beim Endkunden bestimme Daten aus seiner Verwendung übermitteln und damit bedarfsgerechte Weiterentwicklungen oder webbasierte Zusatzleistungen anstoßen. In diesem Zusammenhang ist die Informations- und Kommunikationstechnik ein wesentlicher Treiber – auch was die wirtschaftlichen Beziehungen anbelangt. Überdies müssen natürlich die rechtlichen Rahmenbedingungen harmonisiert werden. Dabei werden zunehmend Fragen zum Patent- und Datenschutz in den Mittelpunkt rücken. Industrie 4.0 kann nur auf Basis einer unternehmensübergreifenden Kollaboration entstehen, die keine Landesgrenzen mehr kennt. Das heißt: Unternehmen aus Deutschland und Unternehmen aus den Asean-Ländern werden künftig noch stärker voneinander profitieren – zum Beispiel bei der Modernisierung der IT und der Standardisierung von automatisierter Kommunikation.

Laut einer aktuellen HSBC-Studie kommt die am stärksten steigende Nachfrage nach deutschen Maschinenbau- und Technologielösungen in naher Zukunft aus Indonesien. Sie haben lange in dem Land gearbeitet. Wie schätzen Sie das bilaterale Entwicklungspotenzial ein?

Durch den Rohstoffreichtum und die funktionierende Demokratie bietet Indonesien ein aussichtsreiches Investitions- und Wachstumsumfeld. Hinzu kommt, dass die Fertigungstiefe in Indonesien bisher noch relativ gering ist. Viele Rohstoffe werden unverarbeitet exportiert. Dadurch besteht großes Potenzial vor allem bei der Entwicklung der verarbeitenden Industrie und hier insbesondere beim Hütten- und petrochemischen Anlagenbau. Der indonesische Maschinenbausektor hat bisher nur gut 400 mittlere bis größere Betriebe und muss einen Großteil seines Bedarfs importieren. Zudem ist das Land in Zukunft ein interessanter Zielmarkt für hochwertige Konsumgüter aus Deutschland. Denn durch das Wirtschaftswachstum und den anhaltenden Trend zur Urbanisierung entsteht eine immer größere kaufkräftige Mittelschicht. Schon heute zählt der Inselstaat zu den zwanzig größten Volkswirtschaften weltweit.

Als TÜV suchen Sie vor allem Optimierungspotenziale bei Produktionsprozessen. Wo liegen die größten technologischen Herausforderungen auf dem Weg zur „Industrie 4.0“?

Die technologischen Herausforderungen auf dem Weg zur Industrie 4.0 hängen sicher mit der wachsenden Verbreitung von vernetzten Systemen zusammen. Dadurch können neben Security- auch Safety-Risiken entstehen, die es zu beherrschen gilt. Während Security die Sicherheit eines Systems gegenüber unbefugten Zugriffen definiert, liegt der Fokus bei Safety auf der Betriebs- und Arbeitssicherheit für den Menschen und die Umwelt. Ein wichtiger Aspekt ist sicher die Datensicherheit im Rahmen von Industriespionage, ein weiterer Punkt ist der Schutz vor Sabotage. Bezogen auf die Umsetzung intelligenter Fertigungsprozesse ist die Standardisierung der Kommunikation eine besondere Herausforderung. Nur mit einer gemeinsamen Sprache wird Industrie 4.0 auch Realität. Dafür müssen alle Komponenten und Systeme intelligent – also situationsgerecht, herstellerübergreifend und in Echtzeit – interagieren. Die dafür nötigen Kommunikationsstandards gibt es in vielen Fällen schon – sie müssen nur stärker beachtet und besser genutzt werden. Auch bei Sicherheitslösungen existieren bewährte Standards, mit denen sich Infrastrukturen, Systeme und Komponenten zuverlässig schützen lassen.

Interview: Martin Orth