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„Die ideale 
Ergänzung“

Ein Gespräch über digitales Lernen mit Professor Christoph Meinel, Leiter des Hasso-Plattner-Institut, Potsdam, und Initiator der Lernplattform openHPI.

Martin Orth, 30.09.2016

Herr Professor Meinel, das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam gilt weltweit als einer der Pioniere des digitalen Lernens. Sie haben bereits 2012 das soziale Bildungsnetzwerk openHPI.de gestartet. Wie hat sich das Projekt entwickelt?

Die Plattform entwickelt sich äußerst erfreulich. 
Wir haben rund 125 000 Nutzer und Nutzerinnen 
aus 180 Ländern, viele von ihnen belegen gleich mehrere unserer Kursangebote. Gerade haben wir die 300 000. Kurseinschreibung gefeiert. Bei Kursen, die sich an eine breite Öffentlichkeit richten, wie „Sicherheit im Internet“ oder „Java für Einsteiger“, erreichen wir mehr als 10 000 Teilnehmer – das würde auch den größten Hörsaal überfordern.

Sie nannten als Teil des Erfolgs einmal den Faktor „Gemeinschaft“. Welche Rolle spielt das Soziale beim digitalen Lernen?

Die soziale Komponente ist ganz zentral. Es mag ja den einen oder anderen Autodidakten unter uns geben, aber alle Studien belegen, dass der Mensch lieber und besser in der Gruppe lernt. Umso wichtiger ist es, dass sich die Kursteilnehmer im Rahmen eines Kurses austauschen können. Diese Interaktion, die weitgehend über Social Media läuft, ist ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Kurses. Aufkommende Fragen können so beim Lernen sofort im Forum durch andere Teilnehmer oder das Teaching Team beantwortet werden – unsere Erfahrung zeigt, dass dieses schnelle Feedback sehr gut ankommt. Es entsteht eine virtuelle Lerngemeinschaft, die motiviert, dabeizubleiben. Die Abbruchraten sind vergleichsweise recht gering.

Ist das digitale Lernen in Zukunft das Nonplus­ultra? Oder: Wo liegen die größten Unterschiede beziehungsweise Ergänzungsmöglichkeiten zum herkömmlichen Lernen?

Ich sehe digitale Bildungsformate als ideale Ergänzung und Bereicherung unserer tradierten Ausbildungssysteme. Sie werden sicher nicht zur Abschaffung von Universitäten führen, aber sie bieten eine ganze Reihe von Vorteilen, die traditionelle Universitäten nicht bieten können. Sie sind zeit- und ortsunabhängig und zudem skalierbar – die Reichweite der Bildungsangebote wird dadurch global. Im Idealfall erreichen Professoren Interessierte auf der ganzen Welt und nicht nur „ihre“ Studenten.

Die Massive Open Online Courses (MOOCs) von Hochschulen oder Unternehmen wenden sich überwiegend an Menschen, die aus der Schule heraus sind. Wie könnte das digitale Lernen in jüngeren Altersklassen verbessert werden? Und was wäre ein gutes Alter für den Einstieg?

Ein Projekt, das ich seit Jahren voranzutreiben versuche, ist die sogenannte Schulcloud. Die Idee hierbei ist es, Rechner aus den Schulen zu verbannen und fächerübergreifend digitale Lerninhalte zentral in einer Cloud vorzuhalten – hierfür würden sich existierende Rechenzentren anbieten. Die Schüler brauchten dann nur Anzeigegeräte, zum Beispiel einfache Tablets, und könnten wann immer, in jeder Unterrichtsstunde oder von zu Hause aus, auf diese digitalen Lerninhalte zugreifen. Der Vorteil für Schulen: Sie müssen nicht weiter ständig neue Rechner anschaffen und betreuen und brauchen sich auch nicht um die Lizenz- und Installationsbedingungen zu kümmern. Digitale Lernangebote könnten schon von der Grundschule an genutzt werden.

Im Internet findet sich eine unüberschaubare Anzahl von Lehrgängen, Studiengängen und Nachhilfekursen für alle Altersklassen. Wie findet man ­heraus, was am besten passt und die Qualitäts­ansprüche wirklich erfüllt?

Ich leite im Rahmen des nationalen IT-Gipfelprozesses eine Arbeitsgruppe zu genau diesem Thema. Es geht darum, vorhandene Angebote über eine Bildungscloud jedem zugänglich zu machen und ihre 
Inhalte für die Nutzer detailliert zu beschreiben. Zudem würde ich mir ein Bewertungssystem wünschen – Teilnehmer, die Kurse absolviert haben, können und sollen sie bewerten. Solche Einschätzungen aus der Community haben sich vielerorts bereits als gute Qualitätskontrolle bewährt. Und natürlich können auch im Bereich Bildungsangebote Algorithmen weiterhelfen – das können Sie sich wie bei der Partnersuche im Netz vorstellen. Anhand Ihrer Vorkenntnisse und weiterer Faktoren kann ein „Matching“-Algorithmus Ihnen ideale Bildungsangebote aus der Cloud vorschlagen.

Der Deutsche Sebastian Thrun, ehemals Google-Manager, wollte mit seiner Online-Uni „Udacity“ die realen Universitäten verdrängen. Das ist vorerst gescheitert. Jetzt setzt er auf sogenannte Nano­degrees, mit denen Absolventen kurzfristig Fähigkeiten erwerben können, um im Silicon Valley einen Job zu finden. Was sind die Zukunftstrends des digitalen Lernens?

Ich sehe in diesem Bereich kein Entweder-oder. Es geht für mich nicht darum, bestehende Institutionen zu substituieren, sondern vor allem darum, das Lehrangebot zu bereichern, neue Angebote und Angebotsformen zu erfinden und zu etablieren. Zahlreiche Studien zeigen uns regelmäßig die Defizite unserer klassischen Bildungssysteme auf. Für mich ist die spannende Frage, inwiefern wir diese auch durch Technologie schließen können. Ich denke da beispielsweise an eine stärkere Personalisierung digitaler Bildungsangebote, die auf individuelle Stärken und Schwächen eingehen können.

Welche Rolle spielt Hasso Plattner, der Mitbegründer von SAP und Stifter und Namensgeber des Instituts, heute noch für das HPI?

Er gibt noch regelmäßig Vorlesungen und hält Seminare. Erst vor wenigen Wochen hat Professor Plattner öffentlich gemacht, dass er den Plan hat, das HPI noch einmal deutlich auszubauen und weitere Fachbereiche zu eröffnen – das freut mich natürlich sehr. ▪