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Die Zukunft unserer Städte

Wie wollen wir leben? Architekten, Stadtplaner und weitere Experten aus der ganzen Welt informierten sich über Ideen aus Deutschland. Vieles begeistert, nicht alles ist übertragbar.

23.06.2016
© Helen Sibum - Zeche Zollverein, Essen

Kiran Venkatesh ist fast ein bisschen gerührt. „Ich möchte Ihnen zu diesem Konzept gratulieren“, sagt der Architekt aus Bangalore, nachdem die Essener Umweltdezernentin ihren Vortrag beendet hat. „Das klingt nach einer Zukunft, in der ich gern leben würde.“ In Essen soll diese Zukunft schon 2017 Wirklichkeit sein. Dann trägt die Stadt im Ruhrgebiet, die lange von Kohle und Stahl geprägt war, den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“. Das macht sie zu einem spannenden Ziel für die Gruppe, zu der Venkatesh gehört. Die 15 Gäste aus der ganzen Welt reisen im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland eine Woche lang an mehrere Orte und tauschen sich im Gespräch mit Experten über nachhaltiges und energieeffizientes Planen und Bauen in Deutschland aus.

Was Venkatesh begeistert, sind neben den grünen Ideen auch die vielen blauen Farbtupfer in dem Essener Konzept. Umweltdezernentin Simone Raskob sagt es so: „Wir geben den Menschen den Fluss zurück.“ Gemeint ist ein wahres Generationenprojekt – der Fluss Emscher soll wieder in einen natürlichen Zustand gebracht werden. Mit Beginn der Industrialisierung war er zum offenen Abwassersystem geworden: „Emscher“ – diesen Namen verbanden die Bewohner des Ruhrgebiets lange Zeit mit Gestank, dunkler Brühe, Gefahren für die Gesundheit. Nun soll das Abwasser unterirdisch fließen, dazu werden rund 400 Kilometer neue Kanäle verlegt, in bis zu 40 Metern Tiefe. Die Flusslandschaft selbst soll ein Ort für Erholung und Freizeit werden.

„Bangalore galt früher einmal als die Stadt der Seen“, sagt Venkatesh mit Blick auf seine eigene Heimatstadt. „Doch wir haben sie alle verloren.“ Die Seen seien entweder völlig verschmutzt oder bebaut. Womit der Architekt auch schon bei den Unterschieden zwischen Deutschland und Indien wäre, denn – bei aller Zustimmung: Übertragbar sind die Ideen aus Essen nur begrenzt. „In einer wachsenden Metropole wie Bangalore sind Immobilien nun mal die wichtigste Währung.“

Dass es hier im Ruhrgebiet eher darauf ankommt, mit dem Strukturwandel und schrumpfenden Städten umzugehen, wird den Besuchern spätestens klar, als sie am folgenden Tag auf die Aussichtsplattform des Ruhrmuseums steigen. Das Museum ist auf dem Gelände  der ehemaligen Zeche Zollverein untergebracht, früher die größte Steinkohlenzeche der Welt, heute UNESCO-Weltkulturerbe. Mit der Stilllegung der Zeche 1986 blieb ein riesiges Areal zurück, für das neue Nutzer gefunden werden mussten. Heute zieht Zollverein Besucher aus der ganzen Welt an – im Jahr 2015 kamen 1,5 Millionen. Sie erkunden im Ruhrmuseum die Industriekultur, besuchen Konzerte oder Tanzaufführungen in den alten Werkshallen – oder gehen zur Uni. Die renommierte Folkwang Universität der Künste nutzt ein von den Architekten des japanischen Büros SANAA entworfenes Gebäude auf dem Gelände und baut derzeit ein weiteres. Auf den Wegen ringsum drehen Radfahrer und Inline-Skater ihre Runden.

„Mir gefällt, dass hier vieles ganzheitlich gedacht wird“, sagt Anita Morandini. Die Architektin, die unter anderem an der Frankfurter Städelschule studiert hat, ist Design Excellence Manager der Stadt Sydney. Sie betreut ein Programm, das die Qualität neuer Bauwerke in der australischen Metropole erhöhen soll. Mit einer möglichen Förderung werden die Verantwortlichen ermutigt, bei Gestaltung und Nachhaltigkeit ihrer Projekte bestimmte Kriterien zu erfüllen. Mindestens ein Gebäude, das ihren Ansprüchen genügt und in Sydney den Zuschlag bekäme, hat Morandini während ihrer Deutschlandreise bereits gesehen: in Dessau.

In der Stadt an der Elbe hatten die internationalen Experten nicht nur die Gebäude des Bauhaus besichtigt – „eine Pilgerfahrt“, sagt Colin Andrew Neufeld, Architekt aus Winnipeg in Kanada. In Dessau hat seit 2005 auch das Umweltbundesamt (UBA) seinen Sitz. Der ungewöhnliche Neubau ist seither mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, er trägt unter anderem das Deutsche Gütesiegel für nachhaltiges Bauen in Gold. Mit Fotovoltaikanlage, Sonnenkollektoren und Erdwärme­tauscher setzten die Planer stark auf Erneuerbare Energien. Auch optisch macht das Haus Eindruck. Die bunte Fassade ist einladend, und innen vermutet man sich in einem großen Garten. Vögel flattern umher, durch viel Grün und über Hängebrücken-artige Gänge erreichen die Mitarbeiter ihre Büros. Offen und lebendig wirkt das Ganze.

Dass die Architektur zur Kommunikation unter den Kollegen einlädt, bringt bei Morandini Zusatzpunkte ein. „Hier wurde der soziale Aspekt berücksichtigt.“ Welche Gedanken die Entwürfe bestimmten, hatte die Australierin bereits am Vortag erfahren: In Berlin waren die Teilnehmer der Reise zu Gast beim Architekturbüro Sauerbruch Hutton, von dem die Pläne für das UBA stammen.

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