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Chancen durch Qualifizierung

Deutschland engagiert sich dafür, junge Menschen in ihren Herkunftsländern praxisnah auszubilden – als wertvolle Fachkräfte für den dortigen oder den deutschen Arbeitsmarkt.

Klaus LüberKlaus Lüber, 08.12.2023
Elektronikerausbildung
© picture alliance/Oberhäuser

Wer als junger Mensch in der Türkei seinen Schulabschluss in der Tasche hat, den drängt es an die Universität. „Der Stellenwert der akademischen Ausbildung hier ist sehr hoch“, sagt Oya Dinçdoğdu. Das ist einerseits sicher kein schlechtes Zeichen, doch viele Unternehmen üben Kritik. „Absolventinnen und Absolventen verfügen zwar über jede Menge theoretisches Wissen, haben aber noch kaum Erfahrungen gesammelt, wie sie dieses in der Praxis einsetzen können“, so Dinçdoğdu. „Eine Verzahnung von beiden Bereichen wie in der deutschen Berufsausbildung ist eher unüblich.“

Oya Dinçdoğdu arbeitet daran, das zu ändern. Als „Skills Expert“ der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK Türkei) wirbt sie für eine duale Berufsbildung nach deutschem Vorbild und berät Unternehmen, Schulen und Universitäten beim Aufbau entsprechender Strukturen. Gefördert wird ihre Stelle vom Programm „Skills Experts“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Auszubildende in Schlosserwerkstatt
Theorie und Praxis: Deutschland unterstützt zahlreiche Länder dabei, die duale Ausbildung zu etablieren. © picture alliance/Oberhäuser

Anschluss an den deutschen Arbeitsmarkt

Seit 2017 unterstützt die Initiative jährlich zehn Auslandshandelskammern beim Aufbau von Aktivitäten im Bereich der Berufsbildung. Im Fokus stehen dabei vor allem die Bedürfnisse deutscher Unternehmen in der Türkei und von deren lokalen Geschäftspartnern. Dinçdoğdu und ihr Team an der AHK Türkei, die seit Januar 2023 Teil des Programms ist, testen zudem die Möglichkeit, ausländische Fachkräfte auch auf einen Wechsel in den deutschen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dazu werden die Lehrpläne um Zusatzmodule ergänzt, die auf eine Anerkennung des entsprechenden Referenzberufs in Deutschland zielen. „Das heißt, die türkischen Jugendlichen machen einen hochwertigen, praxisbezogenen Berufsabschluss in der Türkei und erwerben zusätzlich die Anschlussqualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt.“

Je nachdem, wie die jungen Menschen sich danach orientieren, haben sie gute Perspektiven im Umfeld deutscher Firmen vor Ort. Oder die Absolventinnen und Absolventen entscheiden sich für eine Karriere in Deutschland und können durch ihre Qualifikation auch dort schnell und problemlos Fuß fassen. „Die Türkei hat ein gewaltiges demografisches Potenzial“, sagt Dr. Thilo Pahl, Leiter der AHK. 20 Millionen junge Menschen gehen in der Türkei zur Schule, in Deutschland sind es acht Millionen – und das bei ungefähr gleicher Einwohnerzahl.

Profitieren sollen dabei Betriebe in Deutschland, die Migrantinnen und Migranten sowie die Herkunftsländer gleichermaßen.
Andrea Milkowski, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

Fachkräfte aus Brasilien und Nordafrika

Ähnlich ist die Situation in Brasilien, „dessen Demografie durch ein hohes Bevölkerungswachstum, einen hohen Bildungsstandard sowie ein geringes Durchschnittsalter gekennzeichnet ist“, wie Barbara Konner berichtet. Konner ist Leiterin der AHK São Paulo, neben der AHK Türkei die zweite deutsche Auslandshandelskammer, die derzeit am Programm „Skills Experts“ teilnimmt und den Schwerpunkt dabei auf Fachkräftegewinnung legt. „Wir als AHK São Paulo möchten proaktiv einen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen leisten, die mit der demografischen Entwicklung in Brasilien einhergehen.“ Ähnlich wie in der Türkei ist die Berufsausbildung in dem Land bislang eher schulisch und universitär geprägt. In Partnerschaft mit der Berufsschule an der deutschen Auslandsschule Colégio Humboldt werden deshalb nun zielgerichtete Qualifikationen und die duale Ausbildung angeboten.

Das BMWK ist nicht der einzige staatliche Akteur in Deutschland, der sich für eine reguläre Arbeitsmigration einsetzt. Mit dem Projekt „Unterstützung regulärer Arbeitsmigration und -mobilität zwischen Nordafrika und Europa“ („Towards a Holistic Approach to Labour Migration Governance and Labour Mobility in North Africa“ – THAMM) fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zusammen mit EU-Partnerinstitutionen in Nordafrika dabei, Auszubildende und qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu vermitteln. „Profitieren sollen dabei Betriebe in Deutschland, die Migrantinnen und Migranten sowie die Herkunftsländer gleichermaßen“, so Andrea Milkowski von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, die das Projekt umsetzt. „Einerseits bekommen sie die Gelegenheit, in Deutschland zu arbeiten, andererseits verbessern sie ihre Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt.“

Deutschkurs für Ausländer
Sprache und Kultur: Verschiedene Projekte sorgen mit Deutschkursen und Schulungen dafür, dass der Start in Deutschland gelingt. © picture alliance/Westend61

Sprachkurse und interkulturelle Schulungen

Dabei arbeitet die GIZ eng mit Ministerien und Arbeitsagenturen in Ägypten, Marokko und Tunesien sowie mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Deutschland zusammen. BA und die lokalen Arbeitsagenturen wählen zunächst die Kandidatinnen und Kandidaten aus und bringen diese dann mit Betrieben in Deutschland in Kontakt. Dort werden die jungen Menschen auch nach der Ankunft in Deutschland unterstützt, etwa mit Einführungsworkshops und Sprechstunden. Seit 2020 hat THAMM in den drei Ländern knapp 700 interessierte Bewerberinnen und Bewerber auf ihre Migration vorbereitet, beispielsweise mit Sprachkursen bis B1-Niveau und interkulturellen Schulungen. Deutschlandweit hat das Projekt bislang 412 Auszubildende sowie qualifizierte Fachkräfte in eine Ausbildung oder eine Beschäftigung vermittelt.

Auf Fachkräfte für das Handwerk zielt das vom Bundesland Thüringen mit EU-Mitteln geförderte Projekt CRAFT. Dabei unterstützt die Handwerkskammer Erfurt Unternehmen bei der Suche nach Auszubildenden und Fachkräften aus dem Ausland. Den Schwerpunkt bilden die Länder Vietnam, Georgien, Moldau und Kasachstan. Junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren haben die Möglichkeit, sich für eine Ausbildung oder gleich als Mitarbeitende in einem Thüringer Unternehmen zu bewerben. Die Auswahl erfolgt in Zusammenarbeit mit Berufs- und Sprachschulen, Gymnasien und Universitäten, sowie in Absprache mit Ministerien und Auslandsvertretungen in den Herkunftsländern.

Der Erfolg von internationalen Ausbildungsinitiativen wie Skills Experts, THAMM und CRAFT hängt auch von der Bekanntheit und Akzeptanz dualer Ausbildungsoptionen in den jeweiligen Ländern ab. Hier besonders früh anzusetzen und junge Menschen über diesen Karriereweg zu informieren, ist die Idee des Programms „Ausbildungspartnerschaften in Lateinamerika“ (APAL). Es bereitet Schülerinnen, Schüler, Alumni und Alumnae von PASCH-Schulen aus El Salvador und Mexiko auf eine duale Ausbildung in Deutschland vor. PASCH ist eine Initiative des Auswärtigen Amts, in Kooperation mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), dem Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Pädagogischen Austauschdienst (PAD). Seit Anfang 2021 arbeiten PASCH, das Goethe-Institut Mexiko, die Bundesagentur für Arbeit und Kliniken aus verschiedenen deutschen Städten bei APAL Hand in Hand. Vermittelt werden Fachkräfte in der Pflege sowie in medizinisch-technischen Berufen.