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Wie ist die Stimmung im Land?

Zwischen politischer Unsicherheit und Wirtschaftsboom – ein Soziologe ergründet, was Menschen in Deutschland Sorgen bereitet.

18.01.2018
Stimmungsbild in Deutschland
© alotofpeople/stock.adobe.com

Deutschland. Heinz Bude ist einer der führenden deutschen Soziologen. So schätzt er die Stimmung in Zeiten einer schwierigen Regierungsbildung ein.

Herr Professor Bude, in Ihrem jüngsten Buch „Das Gefühl der Welt“ schreiben Sie, dass Stimmungen darüber entscheiden, wie wir die Welt wahrnehmen. Wie ist die Stimmung in Deutschland?

Was die persönliche Situation betrifft, sind die allermeisten zufrieden, viele sogar sehr zu frieden. Aber aufs Ganze blicken diese Zufriedenen sorgenvoll. Werden wir mit den Flüchtlingen in Deutschland so etwas bekommen wie die Vorstädte in Frankreich? Werden die Verächter der Parteiendemokratie stärker? Wird Deutschland in die Zukunft wirtschaftlich weiter so stark sein wie heute? Dieser Widerspruch zwischen Zufriedenheit und Sorge führt zu einer gereizten Stimmung.

Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Universität Kassel
Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Universität Kassel © dpa

Seit der Bundestagswahl am 24. September 2017 warten wir auf eine neue Bundesregierung. Warum tun sich die großen Parteien so schwer?

Weil wir uns offenbar am Ende einer Ära der politischen Moderation befinden und auf allen Seiten eine gewisse Ratlosigkeit herrscht, mit welchen Projekten dem Land ein neuer Schub verliehen werden kann.

Wirtschaftlich läuft Deutschland auf Hochtouren, aber politisch fühlt es sich gelähmt.
Soziologe Heinz Bude

Die Bevölkerung nimmt das so hin. Haben sich die Menschen von der Politik verabschiedet?

Nein. Sie befinden sich im Wartestadium. Engagement und Einsatzbereitschaft sind vorhanden, werden aber zumindest politisch im Augenblick nicht abgerufen.

Dabei verzeichnet Deutschland derzeit Rekordbeschäftigung.

In der Tat. Wirtschaftlich läuft das Land auf Hochtouren, aber politisch fühlt es sich gelähmt.

Sie sagten einmal, 1989 verfiel mit dem Kommunismus der Glaube an den Staat, 2008 mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Glaube an den Markt. Wohin führt der Weg?

Man unterschätzt, wie tief den Leuten die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 in die Knochen gefahren ist. Viele trauen weder dem Staat noch dem Markt. Die soziale Marktwirtschaft ist ein Versprechen, an das eine Mehrheit glauben will, aber nicht kann.

Sind das spezifisch deutsche Phänomene? Oder sehen Sie Parallelen in anderen demokratischen Ländern?

Wenig daran ist deutsch. Der Westen insgesamt erlebt eine Derangierung seiner selbst. Was wäre ein inklusives wirtschaftliches Wachstum, das möglichst alle mitnimmt? Welche Form der sozialen Sicherung fördert die Selbstverantwortung ohne die Sozialverantwortung zu verraten? Welche Rolle spielt Europa in einer veränderten Welt? Die USA sind nach wie vor die stärkste Militärmacht der Welt, aber China wird sie bald als größten Binnenmarkt der Welt ablösen und in der postkolonialen Konstellation treten neue Mächte mit anderen Religionen auf den Plan. In dieser Situation spielt Deutschland plötzlich eine ganz andere Rolle, auf die das Land sich noch gar nicht vorbereitet hat.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de