„Bäume pflanzen, um in Frieden leben zu können“
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado verwandelte die Farm seiner Eltern in ein Naturschutzgebiet. Gepflegt wird es mit deutscher Unterstützung.
Angefangen hat alles mit einer Depression. „Ich hatte in Ruanda so schreckliche Dinge gesehen, dass ich mich geschämt habe, der menschlichen Spezies anzugehören“, erinnert sich der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado in einer Dokumentation des Fernsehsenders Rede Globo. Er wird krank an Körper und Seele und zieht sich auf die Farm seiner Kindheit zurück, die er von den Eltern übernehmen soll. Dort findet er – anstelle des erwarteten Regenwaldes – eine öde, kranke Landschaft. Würde es funktionieren, hier Gras zu säen und Rinder zu züchten wie sein Vater? Salgados Frau Lélia hat eine andere Idee: „Wir müssen den Wald neu pflanzen, der vorher hier gestanden hat.“ Salgado registriert mehr als 600 Hektar des Geländes als privates Naturschutzgebiet und gründet 1998 die Nichtregierungsorganisation Instituto Terra, die es verwaltet. Seit 2023 kommt Unterstützung für die Organisation aus Deutschland, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Leicht ist der Anfang nicht. 60 Prozent der ersten Setzlinge sterben ab. Es fehlt an Nährstoffen und Regenfällen, die Erde ist ausgelaugt. Mit den Jahren lernen Salgado und sein Team, die jungen Bäume besser zu versorgen. 26 Jahre später sind die Hügel auf der Farm Bulcão in Aimorés wieder bewaldet, ergänzende Projekte werden entwickelt. „Die meisten Nachbarn hatten kein Trinkwasser auf ihrem Land“, so Salgado. Ihre Quellen waren ungeschützt der Sonne und den Hufen der Rinder ausgesetzt. Das Instituto Terra bepflanzt mehr als 2.000 trockene Quellen, bis die ersten erneut zu sprudeln beginnen. „Das Leben kehrte wieder, Insekten, Vögel, erste Säugetiere – und mit dem Leben auf der Farm kam auch mein Lebenswille zurück“, erzählt Salgado.
Umwelterziehung wird ein weiterer Teil der Arbeit des Instituts. „Ich war so aufgeregt, als ich für das Projekt ‚Terrinhas‘ ausgewählt wurde, dass ich nächtelang kein Auge zugetan habe“, erinnert sich Thais Moraes Reis. Mit einer Gruppe weiterer damals elf- bis zwölfjähriger Schülerinnen und Schüler aus dem ländlichen Umland fährt sie einmal im Monat auf die Farm Bulcão. „Dort haben wir Filme über den Kreislauf des Wassers gesehen, über Recycling und Mülltrennung.“ Drei Jahre lernt sie mit den anderen „Terrinhas“, wie die Kinder genannt werden. In ihrer Schule initiiert sie ein Projekt zur Mülltrennung, pflanzt mit Mitschülern ein Gemüsebeet. Nach einem Studium der Pädagogik leitet sie seit 2023 die Projekte „Terrinhas“ und „Terra Doce“ für Jugendliche.
Die Arbeit des Instituts steht und fällt mit Spendengeld, mit dem die 30 Mitarbeitenden und die Infrastruktur mit Baumschule, Geländewagen und Arbeitsgeräten finanziert werden. Die Arbeit mit den Terrinhas lag aus finanziellen Gründen für Jahre brach. Seit 2023 ist Deutschland über die KfW der wichtigste Unterstützer des Projekts. KfW-Portfoliomanager Hans Christian Schmidt zeigt sich beeindruckt vom Engagement, der Vernetzung und Anerkennung des Institutes in der Region. Das Projekt, das die KfW mit 13 Millionen Euro fördert, umfasst die Aufforstung von zusätzlichen 2.200 Hektar Waldvegetation sowie die Reaktivierung von weiteren mehr als 2.000 Quellen und Wasserläufen. Auch Ausbildungs- und Beratungsprogramme für die Verbreitung von Technologien für die Wiederaufforstung, den Schutz und die nachhaltige Nutzung sollen durchgeführt werden, erklärt Schmidt.
Das Ziel: 360.000 Quellen wieder sprudeln lassen
Früher überzeugten sie jeden Bauern einzeln von der Quellensanierung, berichtet Gilson Oliveira, Projektleiter beim Instituto Terra und selbst Landwirt. Inzwischen wenden sie sich gleich an ländliche Kooperativen und Verbände. Stolz berichtet er: „Unser Etappenziel für das laufende Jahr, Zusagen für 427 Hektar Aufforstungsgebiet, haben wir schon im Juni übertroffen.“ Natürlich sei es schwer, Kleinbauern davon zu überzeugen, Schutzflächen auszuweisen, die ihrer Produktion verlorengehen. Auf Dauer funktioniere das nur über Ausgleichszahlungen. Deswegen besteht der nächste Schritt in der Einführung von Agroforstflächen, die den Wasserhaushalt verbessern und zusätzliche Erträge einbringen.
Das gesamte Becken des Rio Doce aufzuforsten und dessen 360.000 Quellen zu sanieren – das ist der Traum von Sebastião Salgado und seiner Frau. Eine ziemliche Herausforderung: Das Becken ist mit 90.000 Quadratkilometern so groß wie Portugal. „Einen Teil werden wir mit Unterstützung der KfW schaffen“, sagt der 80-jährige Salgado, der seine Depression überwunden und seitdem zahlreiche große Naturreportagen fotografiert hat. „Wir müssen in der heutigen Zeit einfach Bäume pflanzen und die Artenvielfalt pflegen, um in Frieden auf der Welt leben zu können.“