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Der Kenner des Regenwaldes

Carlos Alberto Quesada leitet die deutsch-brasilianische Forschungsstation ATTO im Amazonas, gemeinsam mit Susan Trumbore vom Max-Planck-Institut. 

Christine Wollowski, 08.03.2024
Der brasilianische Forstingenieur Carlos Alberto „Beto“ Quesada
Der brasilianische Forstingenieur Carlos Alberto „Beto“ Quesada © Rodrigo Cabral/Ascom MCTI

Sie leben internationale Vernetzung: Wir stellen Menschen vor, die für Deutschlands Partnerschaften weltweit stehen. Denn globale Aufgaben lassen sich nur gemeinsam bewältigen. 

Als Carlos Alberto Quesada zum ersten Mal einen Fuß in den Regenwald setzte, war er baff. Ihm schlugen Gerüche entgegen, die er hier niemals erwartet hatte: Es roch nach Curry. Nach Vanille. Nach Schlamm. Und mancherorts streng nach Exkrementen. Ohne es zu ahnen, befand sich der junge Wissenschaftler mitten in jener Umgebung, die heute sein Leben bestimmt. Die unerwarteten Gerüche stammen von Gasen, die Pflanzen ausstoßen. Wenn sie in die Atmosphäre aufsteigen, können manche von ihnen Feuchtigkeit an sich binden. Sie bilden Wolken und regnen ab. So macht der Wald sich seinen eigenen Regen.

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Ursprünglich stammt Carlos Alberto Quesada, den alle nur Beto nennen, aus dem trockenen Brasília mitten in der Cerrado-Savanne, aber der Amazonas hat ihn schon als Kind fasziniert. Seit mehr als sechs Jahren leitet der Forstingenieur auf brasilianischer Seite die Forschungsstation ATTO, ein weltweit einzigartiges Projekt etwa 150 Kilometer von Manaus entfernt. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erforscht dort die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Regenwald.

Quesada mit Sue Trumbore, ATTO-Koordinatorin auf deutscher Seite
Quesada mit Sue Trumbore, ATTO-Koordinatorin auf deutscher Seite © ATTO

ATTO wird von INPA betrieben, dem brasilianischen Institut für Forschung im Amazonasgebiet. Weitere wichtige Forschungspartner sind die Max-Planck-Institute (MPI) für Chemie sowie für Biogeochemie, das Karlsruher Institut für Technologie KIT und die Staatliche Universität von Amazonas. Die Projektleitung auf deutscher Seite hat Professorin Susan Trumbore vom MPI.

Höchster Forschungsturm der Welt

Das Projekt tragen Deutschland und Brasilien gleichermaßen. Gemeinsam haben sie den mit 352 Metern höchsten Forschungsturm der Welt errichtet. Mit ihm ist es möglich, in einem Radius von gut 600 Kilometern die Atmosphäre über dem unberührten Wald zu erforschen. Gleichzeitig untersuchen Forschende in einer weiteren Station am Boden Partikel, Gase und deren Bewegungen. Darunter solche, deren Gerüche den Studenten Quesada damals so beeindruckt hatten.

Der Regenwald ist ein abweisender Ort – und ungemein faszinierend.
Carlos Alberto Quesada, Forscher und Forstingenieur

„Der Regenwald ist ein abweisender Ort, der Menschen töten kann“, sagt der Mann aus der Savanne, „gleichzeitig ist er ungemein faszinierend.“ Quesada lebt in Manaus und macht die sechs Stunden Reise bis zur Forschungsstation einmal im Monat. Dann stimmt er sich mit dem operativen Leiter des Camps ab, sieht nach dem Rechten und bespricht mit dem Team die weitere Planung. 

Die Reise ist aufwändig: Mit dem Auto geht es über eine Staubpiste, bevor Quesada in ein Schnellboot steigt und ein Stück weit den Fluss Atuma entlangfährt. Danach bringt ihn ein Geländewagen bis tief in den Wald. Forschende, Promovierende und Angestellte des Camps schlafen in der Gemeinschaftsunterkunft in Hängematten, essen in der Kantine Flussfische und können abends warm duschen: Luxus für ein Urwald-Camp. „Der deutsche Ingenieur, der damals den geeigneten Platz für das Camp suchte, musste sich noch mit der Machete durch den Wald kämpfen“, erzählt Quesada.

Klimaforschung als zivilisatorische Verpflichtung

Klimaforschung sieht er als eine Art zivilisatorische Verpflichtung. „Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir noch haben, wie groß die Resilienz der Wälder wirklich ist.“ Die bilaterale Kooperation mache gerade hier besonderen Sinn: Die Deutschen seien Experten für Aerosole, Treibhausgase und Biochemie, konzentrierten sich auf atmosphärische Fragen. „Wir haben dagegen jahrhundertelange Erfahrung mit den ökologischen Prozessen im Regenwald, kennen uns mit der Zersetzung von Materie aus, mit den Gasen, die dabei entstehen. Und wir sind führend in Mikrometeorologie“, so der brasilianische ATTO-Leiter. Die Kenntnisse auf der einen Seite ermöglichen größeren Fortschritt auf der anderen. 

Neue Erkenntnisse können die Wettervorhersagen auf der ganzen Welt beeinflussen.
Carlos Alberto Quesada, Forscher und Forstingenieur

Die Stimmung unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist hochkonzentriert und mit Spannung aufgeladen. Alle sind sich bewusst, dass jederzeit eine oder einer von ihnen den großen Durchbruch schaffen kann. „Wir wissen immer noch sehr wenig über meteorologische Prozesse, speziell über Wolkenbildung in den Tropen. Die Theorien aus gemäßigten Zonen funktionieren hier nicht. Neue Erkenntnisse über den Transport der Materie und über Temperaturen können die Wettervorhersagen auf der ganzen Welt beeinflussen, den Luftverkehr, da sind gigantische Auswirkungen denkbar.“

Große Hoffnungen in den Nachwuchs

Die jederzeit mögliche bahnbrechende Entdeckung ist nur einer der faszinierenden Aspekte der Arbeit von Quesada. Ein anderer ist die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs: „Ich bin in einer einzigen Disziplin groß geworden, der Nachwuchs hier hat von Anfang an Kontakt zu führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen und Ländern. Was das bedeutet, werden wir erst in zehn bis 15 Jahren ermessen können, wenn diese Generation uns allmählich ersetzt.“ Durch die Pandemie ausgebremst, nehme die wissenschaftliche Arbeit jetzt erst richtig an Fahrt auf: „Wir dürfen gespannt sein, was da alles noch kommt.

Carlos Alberto Quesada auf dem Forschungsturm
Carlos Alberto Quesada auf dem Forschungsturm © privat

Um all die Herausforderungen und die Verantwortung auszuhalten, bemüht sich der 51-Jährige um ein ausgeglichenes Leben, geht täglich ins Fitnessstudio, verbringt Zeit mit seiner Freundin. Er sei eigentlich kein sehr systematischer Mensch, sagt Quesada: „Aber ich habe mich in meinem persönlichen Hang zum Chaos ganz gut organisiert.“ Neuerdings hat der hochgewachsene Mann zusätzlich die Koordination eines weiteren Projekts übernommen: „Amazon Face“ liegt ebenfalls im Regenwald – buchstäblich auf dem Weg zum ATTO-Turm. Dort entsteht in Zusammenarbeit mit Großbritannien ein Projekt zur Simulation steigender CO2-Werte in der Atmosphäre. „Da sind wir heute etwa an dem Punkt, an dem mein deutscher Kollege sich für ATTO mit der Machete durch den Wald kämpfte“, sagt Quesada und erklärt seine Doppelrolle lachend so: „Vielleicht bin ich ein kleines bisschen größenwahnsinnig.“