Gemeinsame Erklärung über die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien von 1998
Die Erklärung Deutschlands und der USA zum Umgang mit NS-Raubkunst im Wortlaut.
GEMEINSAME ERKLÄRUNG
über die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien von 1998
zwischen
der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, dem Abteilungsleiter für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt
und
dem Berater des US-Außenministeriums für Angelegenheiten der Zeit des Holocaust und dem Sondergesandten für Holocaust-Angelegenheiten im US-Außenministerium
Berlin, Deutschland
26. November 2018
In Anerkennung der historischen Verantwortung Deutschlands für die Diskriminierung, die Entrechtung, einschließlich der Entziehung von Eigentum, Kunstwerken und Kulturgütern, die Vertreibung und die physische Vernichtung von Millionen europäischer Juden und Millionen anderer Menschen, und im Gedenken an die Opfer des Holocaust –
bekräftigen die unterzeichneten Vertreter beider Regierungen
ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washingtoner Prinzipien), die im Zusammenhang mit der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust am 3. Dezember 1998 veröffentlicht wurden. Zwanzig Jahre nach der Konferenz in Washington, auf der diese Grundsätze formuliert wurden, bleibt die Provenienzforschung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken und, wo immer dies möglich ist, ihre Rückgabe an oder das Herbeiführen gerechter und fairer Lösungen für die Holocaust-Überlebenden, denen sie entzogen wurden, oder ihre Erben eine wichtige Aufgabe, um den Opfern der Schoah Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie bekräftigen ferner ihre in der Theresienstädter Erklärung vom 30. Juni 2009 festgehaltenen Zusagen in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter.
Der Berater, der Sondergesandte, die Beauftragte für Kultur und Medien und der Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt begrüßen die bisherigen Fortschritte beim Identifizieren von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken und Kulturgütern und beim Herbeiführen gerechter und fairer Lösungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten, erkennen jedoch gleichzeitig an, dass beide bei der Umsetzung der Grundsätze der Washingtoner Konferenz noch einen weiten Weg vor sich haben.
Die Washingtoner Prinzipien brachten dem Thema der NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter internationale Aufmerksamkeit und veränderten das Verhalten der Kunstwelt grundlegend. Aufgrund der Washingtoner Prinzipien haben Museen in unseren beiden Ländern und andernorts in Europa ausgiebige Provenienzforschung zu Kunstwerken betrieben, die zwischen 1933 und 1945 durch europäische Hände gingen, was in der Rückgabe von und dem Herbeiführen gerechter und fairer Lösungen für Zehntausende von Kunstwerken, Kulturgütern und Büchern mündete.
Deutschland und die Vereinigten Staaten haben an einer vollständigen Umsetzung der Washingtoner Prinzipien gearbeitet. Im Vorfeld der Washingtoner Konferenz veröffentlichte die Association of Art Museum Directors in the United States im Juni 1998 einen Bericht und Leitlinien über den Kunstraub während der Zeit des Nationalsozialismus/Zweiten Weltkriegs (1933-1945). Kurz nach der Washingtoner Konferenz bekräftigte Deutschland die Washingtoner Prinzipien 1999 in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz.
Seither sind Deutschland und die Vereinigten Staaten bei der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien und der Theresienstädter Erklärung weit vorangekommen, doch weitere Schritte sind nötig. Die Digitalisierung, die noch nicht so weit fortgeschritten war, als die Washingtoner Prinzipien aufgestellt wurden, bietet im 21. Jahrhundert leistungsfähige Werkzeuge für das Identifizieren von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken und Kulturgütern sowie für die Rückgabe oder andere gerechte und faire Lösungen.
Deutschland und die Vereinigten Staaten haben jeweils starke Infrastrukturen aufgebaut, die den Museen in den Vereinigten Staaten und den Museen und anderen Sammlungen in Deutschland ermöglichen, die Provenienz von möglichen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken zu erforschen. Eine gründliche Provenienzforschung und die Veröffentlichung der Ergebnisse im Internet sind entscheidend, damit vom Holocaust betroffene Familien Kunstwerke und andere Kulturgüter finden können, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden.
In Anerkennung der maßgeblichen Rolle der Provenienzforschung bei der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien begrüßen wir die von der deutschen Regierung bereitgestellten zusätzlichen Mittel, um deutsche Museen und andere Sammlungen dabei zu unterstützen, ihre Bestände nach möglichen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken und anderen Kulturgütern zu durchsuchen, und hoffen, dass dies die deutschen Museen und anderen Sammlungen dazu ermutigen wird, die Prüfung ihrer Bestände zu beschleunigen.
In Deutschland wurde 2003 die Beratende Kommission gegründet, um in Fällen zu vermitteln, in denen sich die Parteien nicht einigen können. Darin zeigt sich Deutschlands fortwährendes Bestreben, die Entziehung von Kulturgütern während der Zeit des Nationalsozialismus wiedergutzumachen. Die Kommission wurde zuletzt 2016 neu organisiert. Die Bundesregierung legte 2018 fest, dass Museen und andere Kulturgut bewahrende Einrichtungen, die von der Bundesregierung gefördert werden, auf Ersuchen des Anspruchstellers einer Mediation durch die Kommission zustimmen müssen. Wir begrüßen, dass eine frühere Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke und Kulturgüter nicht im Wege steht. Im Jahr 2015 wurde in Deutschland das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, der Ausrichter dieser Konferenz, gegründet, das verschiedene Einrichtungen für Provenienzforschung und Rückgabe zusammenführt und dessen Arbeit, neben anderen positiven Schritten, auf einer weit gefassten Begriffsbestimmung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut beruht.
Unsere beiden Regierungen erkennen an, dass die Washingtoner Prinzipien und die Theresienstädter Erklärung für öffentliche und private Sammlungen gelten, auch wenn uns bewusst ist, dass Letzteres eine besondere Herausforderung darstellt. Wir rufen daher Kunstauktionshäuser und andere private Händler in unseren Ländern auf, die Washingtoner Prinzipien einzuhalten, und würdigen die guten Beispiele einiger Auktionshäuser und Kunsthändler im Umgang mit möglichen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken. In Deutschland können private Sammler, die sich zu den Washingtoner Prinzipien bekennen, die Regierung seit kurzem um Hilfe bei der Prüfung der Provenienz von Werken in ihren Sammlungen bitten.
Wir begrüßen, dass Deutschland das Deutsch-Amerikanische Austauschprogramm zur Provenienzforschung für Museen (PREP) in den Jahren 2017 bis 2019 finanziert und unterstützt, um die Provenienzforschung in Bezug auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Museen, Archiven, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten, darunter die Smithsonian Institution, der größte Museumskomplex in den Vereinigten Staaten, voranzubringen.
Wir stellen fest, dass die Washingtoner Prinzipien ausdrücklich erblose Kunstwerke einschließen und eine „gerechte und faire Lösung“ fordern, wenn Vorkriegseigentümer oder die Erben von Kunstwerken, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, aber später nicht zurückgegeben wurden, nicht ausfindig gemacht werden können. Wir erkennen an, dass erblose Kunstwerke eine besondere Herausforderung darstellen. Mit besseren Datenbanken, vertiefter Provenienzforschung und leichter verfügbaren genealogischen Daten sollten jedoch weitere Anstrengungen unternommen werden, um Erben zu finden. Kreative Lösungen können erwogen werden, wenn keine Erben gefunden werden können, beispielsweise die Nutzung erbloser Kunstwerke als pädagogisches Mittel zur Aufklärung über den Holocaust in Ausstellungen weltweit und Kennzeichnung der ausgestellten Kunstwerke als entzogenes Eigentum einer jüdischen Familie.
Seit der Annahme der Washingtoner Prinzipien vor 20 Jahren hat Deutschland über 16.000 Einzelobjekte an Holocaust-Überlebende und ihre Familien zurückgegeben.
Die unterzeichneten Vertreter beider Regierungen sind sich bewusst, dass weiterhin Verbesserungsbedarf besteht, und sagen zu, mit Dringlichkeit alle notwendigen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die getreue Umsetzung der Washingtoner Prinzipien durch Deutschland und die Vereinigten Staaten weiter voranzubringen.
Beide Regierungen erkennen die Belastungen großer Museen beim Durchsuchen ihrer Bestände und kleiner Museen ohne für die Provenienzforschung geschultes Personal an und wollen sie in ihren Bemühungen ermutigen und fördern.
Sowohl Deutschland als auch die Vereinigten Staaten benötigen mehr ausgebildete Wissenschaftler, die sich allein der zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien nötigen Provenienzforschung widmen können. Wir begrüßen, dass es Deutschland gelungen ist, an mehreren Universitäten neue Lehrstühle für Provenienzforschung einzurichten.
In Anerkennung der notwendigen weiteren Schritte appellieren die Unterzeichner dieser gemeinsamen Erklärung an alle Regierungsstellen und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen und an alle privaten Sammler, die Washingtoner Prinzipien uneingeschränkt zu erfüllen und ihren Teil zur vollständigen Umsetzung der Grundsätze beizutragen.