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Geschlechterrollen im Wandel

Viele Studien besagen, dass Frauen in Pakistan weniger Rechte und Möglichkeiten haben als Frauen in den meisten anderen Ländern. Viele Pakistanerinnen empfinden sich aber gar nicht als benachteiligt. Mahwish Gul hat in E+Z/D+C den Hintergrund beleuchtet:

26.01.2021
Frauenrechtskundgebung in Islamabad 2019.
Frauenrechtskundgebung in Islamabad 2019. © B.K. Bangash/picture-alliance/AP Photo

Im neuesten UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung (Human Development Report) rangiert Pakistan auf dem 146. Platz von 166 Ländern (Informationen über den Index sind im Interview mit Achim Steiner, Leiter des UN Development Programme (UNDP), im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2020/09 zu finden). Im Durchschnitt haben Frauen in 145 anderen Ländern eine höhere Lebenserwartung, mehr Bildung und einen besseren Lebensstandard.

Der Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums bewertet die Lage in Pakistan sogar noch schlechter. Nur im Jemen und im Irak sind Frauen noch stärker benachteiligt als in Pakistan.

In den Augen internationaler Experten ist die pakistanische Kultur von Frauenfeindlichkeit geprägt. Viele Pakistanerinnen empfinden das jedoch anders. Meinungsumfragen zeigen beispielsweise, dass 42 Prozent der verheirateten Frauen in Pakistan es für gerechtfertigt halten, Frauen zu schlagen. Nur 40 Prozent der Männer denken so.

Das fünfte UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal – SDG) betrifft die Gleichstellung der Geschlechter. Ein Aspekt ist, dass Frauen und Mädchen in ihrer reproduktiven Gesundheit gestärkt werden müssen. Dazu gehört das Recht zu entscheiden, wie viele Kinder sie haben wollen. Sexualerziehung und Zugang zu Verhütungsmitteln sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig (siehe meinen Beitrag im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2020/04).

Alle geschlechtsbezogenen SDG-Indikatoren stehen auf die eine oder andere Art im Konflikt mit pakistanischen Normen. Zwar stellen einige pakistanische Frauen diese Normen in Frage, die meisten tun dies jedoch nicht.

In den vergangenen Jahren wurden zur Feier des Internationalen Frauentags Kundgebungen in pakistanischen Städten abgehalten. Ein beliebter Slogan ist „mein Körper, meine Wahl“. Besonders in Pakistans konservativen Kreisen hat er einen schlechten Ruf. Sie halten ihn für einen beschämenden und obszönen Aufruf zur Promiskuität.

Männer und Frauen sind gleichermaßen Teil der organisierten Gegenreaktion. Vergangenes Jahr hat die gesetzgebende Versammlung einstimmig eine Resolution zur Verurteilung des Marsches angenommen. Sie wurde von einer weiblichen Abgeordneten vorgeschlagen.

Ein Prinzip der Entwicklungspolitik ist die „nationale Eigenverantwortung“. Das bedeutet, dass internationale Geber weder auf Maßnahmen bestehen dürfen noch Programme finanzieren dürfen, die nicht mit den Prioritäten der Regierung eines Entwicklungslands übereinstimmen. Diese Regierungen achten natürlich auf kulturelle Normen. Vermeintlich aufgeklärte Normen stehen manchmal im Widerspruch zu lokalen Traditionen. Die Weltsicht der Menschen prägt ihre Vorstellungen davon, was Entwicklung bringen soll.

Letztlich muss die pakistanische Gesellschaft die Geschlechterfrage im eigenen Land klären. Internationale Geber sollten sich nicht aktiv in diese Debatte einmischen, auch wenn eine unauffällige Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen wahrscheinlich nicht schaden wird.

Die Lage in Pakistan ist besser, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bildung von Mädchen hat sich im Laufe der Jahre verbessert. Frauen werden allmählich selbstbewusster. 1988 wurde Benazir Bhutto die erste Premierministerin Pakistans, noch 17 Jahre bevor Angela Merkel Deutschlands erste Bundeskanzlerin wurde. Heute sind rund 20 Prozent der Parlamentsabgeordneten Frauen. In der verfassungsgebenden Versammlung 1947 lag dieser Anteil noch bei zwei Prozent. Es stimmt zwar, dass viele Politikerinnen politischen Dynastien angehören oder von Bevorzugung profitiert haben, aber das schmälert ihre Bedeutung als Vorbilder nicht.

Daten können verschieden interpretiert werden. Rund 70 Prozent der Medizinstudenten in Pakistan sind Frauen, aber nur etwa die Hälfte von ihnen wird später als Ärztin arbeiten. Für viele pakistanische Frauen geht es beim Erwerb eines Abschlusses mehr darum, einen guten Ehemann zu finden, als um eine Berufswahl. Das ist bedauerlich. Positiv ist, dass mehr als die Hälfte der Medizinstudierenden, die eines Tages in diesem angesehenen Beruf arbeiten werden, Frauen sind.