Mythos „Blauer Engel“: UNESCO-Filmstadt Potsdam
Als erste deutsche Stadt wurde Potsdam mit dem Siegel „Creative City of Film“ ausgezeichnet.
"Hollywood in Gemütlich" titelte vor ein paar Jahren eine deutsche Zeitschrift, als Potsdam sich schon einmal ins Zeug warf, um die fruchtbare Verbindung zwischen Stadt und Film herauszustellen. "Stadt des Films" hieß das damals, das war noch eine nationale, deutsche Angelegenheit. Seit kurzem nun darf sich Potsdam ganz offiziell "UNESCO Creative City of Film" nennen - und reiht sich damit ein in eine Kette von 17 nun weltweit ausgezeichneten Städten.
Potsdam gehört jetzt zum Kreis der Filmmetropolen
13 UNESCO-Filmstädte hat es bisher gegeben, jetzt kommen das spanische Valladolid, Mumbai in Indien, Wellington (Neuseeland) und eben Potsdam hinzu. Die Auszeichnung der Kulturorganisation der Vereinten Nationen weist damit auf die besonderen kreativen Kräfte hin, die in Potsdam in Sachen Film, Kino und Fernsehen schon lange walten. Gleichzeitig soll das UNESCO-Prädikat Anstoß geben, sich weiter zu engagieren und die bestehenden Institutionen zu fördern und auszubauen.
"Hollywood in Gemütlich" hieß es also damals ein wenig süffisant, dabei hatte Potsdam eine Zeit lang durchaus auf Augenhöhe mit der amerikanischen Film-Metropole gestanden. Das UNESCO-Siegel wurde nun auch an Potsdam verliehen, weil es dort eine berühmte Filmhochschule gibt, ein anerkanntes Museum, das die Schätze der Film-Historie ausbreitet und weil viele Kreative in der Stadt für Film und Fernsehen arbeiten. Das Herz der Filmstadt Potsdam schlägt aber ohne Zweifel im traditionsreichen Studio Babelsberg.
Babelsberger Studios: erster Spatenstich schon im 19. Jahrhundert
Und das eben schon sehr, sehr lange. Die dortigen Studios (Babelsberg ist heute ein Stadtteil von Potsdam) gelten unter Filmhistorikern als ältestes Filmstudio der Welt. 1899 wurde das sogenannte "Gläserne Atelier" errichtet, ab 1911 kamen weitere Gebäude hinzu. Die Filmproduktionsfirma "Ufa" wurde ein paar Jahre später zum bekanntesten Nutzer der Studios. Hier entstanden in den folgenden Jahrzehnten, vor allem auch während der Weimarer Republik, viele Werke, die in die Filmgeschichte eingehen sollten.
Doch es war "Der blaue Engel" mit Marlene Dietrich und Emil Jannings, der Babelsberg und das deutsche Kino Ende der 1920er Jahre noch einmal einen gewaltigen Schub verleihen sollte - bevor 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen und den deutschen Film zur Unterhaltungs- und Propagandamaschinerie umbauten.
Edgar Rai: "'Der blaue Engel' öffnete die Tore für den deutschen Tonfilm."
Die Bedeutung gerade dieses Films für die deutsche Kino-Historie - und damit auch für die Filmstadt Potsdam/Babelsberg sei gar nicht hoch genug einzuschätzen, sagt der Schriftsteller Edgar Rai im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Was 'Der blaue Engel' für eine Rolle gespielt hat, ist unstrittig: Es war der erste internationale Tonfilm-Erfolg für die Ufa und damit auch für Babelsberg, er hat ganz klar die Tore für den deutschen Tonfilm in aller Welt geöffnet."
Rai hat sich intensiv mit dem Film von Regisseur Josef von Sternberg beschäftigt und ein Buch geschrieben, in dem neben der Dietrich und Jannings, neben Sternberg, dem Produzenten Erich Pommer und Drehbuchautor Karl Vollmöller das Filmstudio eine Hauptrolle spielt. Der deutsche Film und die Babelsberger Studios waren damals eine feste Größe in der Welt des Kinos, konkurrierten nur noch mit Hollywood. Nur eine Entwicklung hatte man verschlafen: "Deutschland war zehn Jahre lang, die ganze Zeit der Weimarer Republik hindurch, relativ präsent international - durch die Stummfilme."
Der deutsche Film war plötzlich nicht mehr für den Export geeignet
Dann allerdings habe man, so Rai, "den Wechsel zum Tonfilm verschlafen: In England, Amerika und anderswo wollte man nur noch Tonfilme sehen und hören, und das bedeutete: Der deutsche Stummfilm war gar nicht mehr exportierbar." Es sei dann Alfred Hugenberg gewesen, Konzernleiter und Chef der Ufa, der beschlossen hatte, "unbedingt den Anschluss an die internationale Weltspitze wiederherzustellen, indem er neue Studios bauen ließ." Das sollte dann mit einem aufwendigen Filmprojekt in aller Welt bekanntgemacht werden: "Es sollte ein großes, international vermarktbares Projekt geben." Man dachte von Anfang an an den Film-Export: "Weil es damals keine Möglichkeiten gegeben hat, Filme zu synchronisieren, wurde parallel eine deutsche und eine englische Fassung gedreht."
"Der blaue Engel" wurde im sogenannten Babelsberger Tonkreuz gedreht. Wenn die UNESCO jetzt Potsdam als Film-Kreativstadt auszeichnet und die Babelsberger Studios das Herz dieser Filmstadt sind, dann ist das Tonkreuz dessen innerste Herzkammer: "Das Tonkreuz gibt es auch heute noch, es ist heute noch in Betrieb. In sehr kurzer Zeit wurde damals das modernste Tonfilmstudio der Welt errichtet, vier Studios kreuzförmig angelegt und alle miteinander verbunden durch einen Regieturm in der Mitte, von dem aus man auf alle vier Studios gleichzeitig zurückgreifen konnte", beschreibt Rai das legendäre Studiogebäude.
Die Babelsberger Studios werden heute von bekannten Regiegrößen aus aller Welt genutzt
Entscheidend gewesen sei damals, "dass eine völlig neue Technik Einzug gehalten hat". Rai zählt auf: Die alten Lampen seien zu laut gewesen für den Ton, neue Lampen aber zu heiß, deshalb habe alles neu klimatisiert werden müssen, alles wurde "absolut schallisoliert" ausgestattet: "Das wird auch heute noch benutzt, 90 Jahre danach. Das ist in Betrieb!"
Dass der "Der blaue Engel" damals in Babelsberg entstand, war auch eine Fügung des Schicksals: "Der Film ist in ein ganz kleines Zeitfenster reingefallen", erzählt Rai: "Kurze Zeit später haben sich die Nazis Zugriff auf die Ufa gesichert und dieser nationalistische und rückwärtsgewandte Grundgedanke, der ja bei der Konzernleitung der Ufa schon vorhanden war, hätte ein Jahr später einen so innovativen Film nicht mehr möglich gemacht." Und vorher, so Rai, "hätte es auch nicht klappen können, weil da die Technik nicht vorhanden war: Das war dieses Kipp-Moment der Weimarer Zeit."
Mit "Der blaue Engel" wurde Marlene Dietrich weltberühmt
Der Rest ist Filmgeschichte: "Der blaue Engel" wurde zu einem Welterfolg, Marlene Dietrich ging mit Regisseur Josef von Sternberg nach Hollywood und wurde dort zu einem Dreamteam des Kinos, die Dietrich selbst zum wohl größten Filmstar, der aus Deutschland kam. Die Studios in Babelsberg hatten mit "Der blaue Engel" den Weg geebnet.
Und sie werden heute genutzt, nicht nur von deutschen Regisseuren und Produzenten. Aus Hollywood haben in den vergangenen Jahren Regie-Größen wie Quentin Tarantino, Steven Spielberg oder Wes Anderson in den Studios gedreht. Es entstanden US-Großserien für moderne Streaminganbieter wie "Homeland". Regisseure wie Roman Polanski drehten gleich mehrfach in den Studios. Auch diese internationale Ausstrahlung der traditionsreichen Filmbetriebe in Babelsberg wird die UNESCO bei ihrer Auszeichnung im Kopf gehabt haben.
Zum Weiterlesen: Der Roman von Edgar Rai "Im Licht der Zeit" ist im Piper-Verlag erschienen.