Zum Hauptinhalt springen

„Wir müssen auch im Internet Zivilcourage zeigen“

11.05.2017

Deutschland. Hasskommentare im Netz, „alternative Fakten“ und Erosion demokratischer Werte – das sind brisante Themen im Wahljahr 2017. Die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüşay aus Hamburg bringt es auf den Punkt: „Der Hass im Netz ist nicht virtuell, sondern real.“ Im Interview spricht sie darüber, wie eine Veränderung der Gesprächskultur gelingen kann.

Frau Gümüşay, Ihre Rede „Organisierte Liebe“ auf der re:publica 2016 hat viele Menschen berührt. Sie war die Inspiration zum Motto der diesjährigen re:pulica: „Love out loud!“ Ist das für Sie ein Ansporn?

Ja, das hat mich sehr gefreut. Der Vortrag war aus einer Frustration heraus entstanden. Mich ärgerte, dass sich viele den Luxus herausnehmen, sich nicht um bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen zu sorgen, dass sie den Hass im Netz nicht ernst nehmen und für eine Widerspiegelung unserer gesellschaftlichen Meinungsvielfalt halten. Es ist einfach für sie, den Hass wegzuklicken – während andere, marginalisierte Gruppen ihm täglich ausgesetzt sind. Brexit und Trump haben dann im Laufe des Jahres viele wachgerüttelt. 

Dieses YouTube-Video kann in einem neuen Tab abgespielt werden

YouTube öffnen

Inhalte Dritter

Wir verwenden YouTube, um Inhalte einzubetten, die möglicherweise Daten über deine Aktivitäten erfassen. Bitte überprüfe die Details und akzeptiere den Dienst, um diesen Inhalt anzuzeigen.

Einverständniserklärung öffnen

Piwik is not available or is blocked. Please check your adblocker settings.

Welche Reaktionen gab es auf Ihren Appell?

Ich habe sehr viele positive Reaktionen bekommen. Beispielsweise zitierte ein Pfarrer in seiner Sonntagsrede meinem Beitrag. Das fand ich schön und symbolisch, weil es unterstreicht, dass es um ein universelles Thema geht. Viele Menschen haben mir persönlich geschrieben, was der Vortrag bei ihnen ausgelöst hat.

Am 9. Mai sprechen Sie auf der re:publica über „Die Emanzipation der Gutmenschen“ Was sagt es über unsere Gesellschaft, dass dieses Wort als Schimpfwort verwendet wird?

Es sagt viel über unsere Zeiten aus, wenn sich diejenigen verteidigen müssen, die helfen und Gutes bewirken wollen, und nicht diejenigen, die ihre Hilfe verweigern. Doch ich habe den Begriff bewusst verwendet. Es geht darum, die Bedeutung, die andere damit verbinden, nicht für sich anzunehmen.

Hegen Sie die Hoffnung, dass die heranwachsende Generation Hasssprache, Rassismus, Sexismus und Nationalismus überwindet?

Es ist weniger eine Generationenfrage als eine Frage von Strukturen und der demokratischen Diskussionskultur, die wir leben oder vernachlässigen. Was für eine Diskussionskultur fördern die Strukturen von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter? Aufmerksamkeit ist dort eine dominante Währung. Das kreiert eine Kultur, in der laute, destruktive Positionen Verbreitung finden. Man sieht es auch in der medialen Berichterstattung: Kalkulierte Provokationen von Rechtspopulisten gehen immer wieder auf. Wir müssen uns deshalb fragen: Wie sehen die Meinungsmacher/innen von morgen aus? Das bereitet mir Sorgen. Hoffnung machen mir Medienschaffende, die versuchen die Strukturen auf technischer und kultureller Ebene zu verändern – und: Ich erlebe eine politisierte Jugend, die ein stärkeres Bewusstsein für politische Prozesse entwickelt.

Reflektieren, argumentieren, konstruktiv kritisieren – ist es nicht auch die Verantwortung von Eltern und Lehrern, gute Gesprächskultur zu vermitteln?

In allen Altersgruppen ist es wichtig, kritisches Denken zu fördern, denn sie ist Grundlage einer engagierten Zivilgesellschaft. Genauso wichtig ist es zu erlernen, konstruktive Kritik auszuüben oder Zustimmung zu äußern. Wir müssen lernen kritisch zuzustimmen. Ich habe oft den Eindruck, dass Zustimmung als Unterordnung wahrgenommen wird. Dabei steckt darin das Potenzial Gedanken gemeinsam weiterzuentwickeln.

Wie kann jeder Einzelne im Internet und im Alltag Zeichen gegen Hass und Gewalt setzen?

Erstens: Auch im Internet Zivilcourage und Solidarität zeigen – und sei es „nur“ in einer privaten Nachricht, mit der man Betroffenen gegenüber Zustimmung und Unterstützung bekundet.

Zweitens: Dem Hass und populistischen Debatten nicht zu viel Raum geben. Sie zwar diskutieren und problematisieren, aber unter eigenen Bedingungen. Also beispielsweise nicht ernsthaft tagelange Diskussionen darüber führen, ob Schwarze gute Nachbarn sein können oder nicht.

Drittens: Das eigene Verhalten reflektieren – auch im Umgang mit Menschen, die eine ähnliche Meinung vertreten. Unterstützung und Zustimmung im Netz müssen wir häufiger äußern, statt nur zu denken.

Hamburg – die Gipfelstadt

11.05.2017

Alles fließt in Hamburg. Weil die Stadt lebt und sich verändert, weil sie sich offen zeigt für Neues und Internationalität hier Alltag ist. Und natürlich weil hier alle Wege zum Wasser führen – oder über eine von 2500 Brücken. Die Segelboote auf der Außenalster, die Tanker und die Kreuzfahrtschiffe auf der Elbe, das Wasser und Hamburg gehören zusammen. Wer die Stadt spüren will, geht zum Hafen. Hier zaust der Wind die Haare, hängen die Wolken tief über der Elbe, die breit Richtung Nordsee strömt. Hier ahnt man das Meer, fühlt die Weite, die Welt, mit der die stolze Kaufmannsstadt seit je so eng verbunden ist.

Rechts geht der Blick zu den Landungsbrücken von St. Pauli. Von dort ist es nicht weit zur Reeperbahn, einst verruchtes Viertel, heute Kultstadtteil mit Musicalhäusern, schrägen Vögeln und mehr Touristen als Matrosen. Auf der anderen Seite des Elb­ufers recken Kranriesen die Hälse in endloser Reihe in den Himmel. Nicht zu übersehende Zeugen Hamburger Geschäftstüchtigkeit. Und links, ja, links glitzert die Sonne auf einer etwas unwirklich scheinenden gigantischen Schaumkrone aus Glas, Stahl und Beton. Sie schwingt sich blauweiß und kühn über einem alten Backsteinspeicher nach oben: die Elbphilharmonie.

Das Anfang 2017 eröffnete Konzerthaus mit bester Akustik ist so spektakulär, dass es kaum zum Klischee von den zurückhaltenden Hanseaten passt. Doch die hatten ihre „Elphi“ schnell adoptiert und die um Jahre verzögerte Fertigstellung und die Baukosten verdrängt. Jeden Gast zieht es zur Elbphilharmonie, Hamburgs neuem Wahrzeichen. Wer sie von innen sehen will, muss Schlange stehen. Der schönste Weg zu ihr führt durch die als Weltkulturerbe geschützte Speicherstadt. Das Backsteinensemble mit seinen spitzen Giebeln war einmal größter Lagerhauskomplex der Welt. Heute arbeiten hier Teppichhändler und Kreative Tür an Tür. Das Morgen liegt nur ein paar Schritte weiter, in der HafenCity mit ihren Glasfassaden. Die Bauarbeiten in dem neuen Stadtteil sollen 2030 enden. Kann sein. Aber auch danach wird Deutschlands zweitgrößte Stadt weiter in Bewegung bleiben.

RSS