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In der Werkstatt der Welt

Jedes Kunstwerk erzählt eine Geschichte. Wie Deutschland sich dafür einsetzt, dass diese Geschichten gehört werden, erfuhren internationale Gäste bei einem Besuch in Berlin.

24.07.2017
In den Werkstätten der Staatlichen Museen zu Berlin
In den Werkstätten der Staatlichen Museen zu Berlin

Anna Beselin freut sich auf morgen, so einen Termin hat sie nicht oft: Die Restauratorin des Berliner Museums für Islamische Kunst wird nach München fahren und sich mit der Besitzerin eines antiken Teppichfragments treffen. Die Frau möchte es dem Museum überlassen. Dem gehört bereits ein anderes Stück des Werks – es liegt vor Beselin auf dem Tisch der Restauratorenwerkstatt. Grafische, fast moderne Muster schmücken den Teppich. Er stammt aus dem Kaukasus, die Kunsthistorikerin erkennt das unter anderem an der Knüpftechnik. Sie vermutet, dass er Mitte des 17. Jahrhunderts hergestellt wurde.

Beselin zeigt, welche der vielen beschädigten Stellen des Teppichs sie ausbessern will, und welche sie belässt, um das Gesamtbild nicht zu stark zu verändern. „Alle unsere Patienten brauchen eine individuelle Behandlung, jeder Teppich hat seine eigene Geschichte zu erzählen“, erklärt die Expertin für historische Textilarbeiten ihren Besuchern, die sich um den Tisch versammelt haben. Die Gäste des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland informieren sich bei ihrer einwöchigen Reise über das deutsche Engagement für den Kulturerhalt. In den Werkstätten der Staatlichen Museen zu Berlin sehen sie an diesem Tag noch ein Stück Stoff aus einem ägyptischen Grab, steinerne Särge aus der Zeit der Etrusker und vieles mehr.

International gefragtes Expertenwissen

Rund 5,3 Millionen Objekte besitzen die Staatlichen Museen zu Berlin. Der größte Teil davon befindet sich hier in den Lagern und Werkstätten. Der kleinere Teil ist in den 15 Museen im ganzen Stadtgebiet ausgestellt. Nikita Korytin, Leiter des Museums der Schönen Künste in Jekaterinburg, zeigt sich beeindruckt, aber auch skeptisch angesichts der vielen Ausstellungsorte. „Solche Großstrukturen sind nicht immer effektiv“, so der Fachmann aus Russland. „Das stimmt“, sagt Christina Haak, stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen. „Aber in unserem Fall lassen sich die Aufgaben nicht trennen. Vielfalt ist unsere Stärke.“ So sorgen Publikumsmagneten wie das Pergamonmuseum mit seinen jährlich mehr als eine Million Besuchern dafür, dass auch kleinere Häuser, wie das Kupferstichkabinett oder das Kunstgewerbemuseum, eine Zukunft haben.

Schmuggel und illegale Ausgrabungen zerstören das Erbe der Menschheit.

Außerdem bieten die Staatlichen Museen und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als ihr Träger ein so großes und vielfältiges Expertenwissen, dass davon auch andere profitieren. Denn neben der Pflege und Ausstellung der eigenen Sammlung gehören zu ihren Aufgaben auch der Kulturerhalt weltweit und der Kampf gegen Schmuggel und illegale Ausgrabungen. „Unsere Forschungsmethoden sind international gefragt“, sagt Haak. Deutsche Experten geben Workshops beispielsweise in China oder der Arabischen Welt. Derzeit entwickeln sie eine Datenbank für zerstörte und gefährdete Kulturgüter in Syrien. „Schmuggel und illegale Ausgrabungen zerstören das Erbe der Menschheit“, sagt Haak.

Klare Regeln beim Kunstkauf

Dementsprechend hoch sind die Maßstäbe, wenn die Berliner Museen selbst Kunst kaufen oder leihen. „Wir haben klare Regeln und fordern eine eindeutige Provenienz“, so Haak. „Um die Herkunft der Werke zu beleuchten, treiben wir viel Aufwand. Wenn wir feststellen, dass der Hintergrund unklar ist, verzichten wir.“ Munaa Alfazea nickt. Die Kulturjournalisten der Kuwait Times findet, Deutschland müsse bei der Bewahrung von Kulturgütern weltweit eine wichtige Rolle spielen. „Deutschland sollte in dieser Angelegenheit vorweg gehen.“

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Christina Haak verweist auf die Bedeutung von Partnerschaften – etwa mit anderen europäischen Ländern und mit der UNESCO. Beim Besuch auf der Museumsinsel am Nachmittag sehen die Gäste, wie wichtig diese Zusammenarbeit auch im eigenen Land ist. Denn die Museumsinsel mit ihren fünf Ausstellungshäusern verändert sich. Ralf Nitschke, bei den Staatlichen Museen für die Bauplanung zuständig, zeichnet beim Rundgang den Masterplan Museumsinsel nach. Er sieht vor allem drei Neuerungen vor: Am Eingang zur Museumsinsel entsteht ein neues Besucherzentrum, die James-Simon-Galerie, entworfen vom britischen Architekten David Chipperfield. Auch am Pergamonmuseum drehen sich die Kräne: Das Haus bekommt einen vierten Flügel. Als letztes wird der „Archäologische Rundgang“ fertig – ein unterirdischer Weg, der vier der fünf Museen miteinander verbindet. Ende aller Bauarbeiten: voraussichtlich 2040.

UNESCO eingebunden

Mancher Gast ist erstaunt, dass auf einem von der UNESCO geschützten Areal so viel gebaut wird. „Ein neues Gebäude in einem Welterbe-Ensemble – wie funktioniert das?“, fragt der kosovarische Stadtentwickler Enes Toska mit Blick auf das Besucherzentrum. Taimur Islam, der in Bangladesch eine Initiative zum Schutz von Kulturgut gegründet hat, vermutet gar, die UNESCO sei Deutschland gegenüber weniger streng als bei anderen Ländern. Er beklagt doppelte Standards.

Mit der Vorgeschichte der James-Simon-Galerie leistet Ralf Nitschke Aufklärung: Denn den ersten Entwurf von Frank O. Gehry lehnte die UNESCO ab. Beim zweiten Versuch banden die Verantwortlichen die UNESCO stärker ein, unter anderem war die Organisation in der Jury vertreten. Mit dem Ergebnis sind alle zufrieden: Der Chipperfield-Bau nimmt Merkmale der älteren Gebäude auf und ist doch modern. Überhaupt sei es nicht neu, dass an dieser Stelle ein Gebäude steht, so Nitschke. Bis in die 1930er-Jahre war dort der „Packhof“, ein Zollhaus und Warenlager. Also alles eine natürliche Entwicklung, findet der Planer. Die Museumsinsel ist über 100 Jahre entstanden und gewachsen. „Jetzt geht es weiter.“

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