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Einwanderungsland Deutschland

Den Vergleich mit den „klassischen Einwanderungsländern“ USA und Kanada muss Deutschland nicht scheuen.

Christine Mattauch, 23.06.2015

Etwa 100 junge Frauen und Männer aus Vietnam werden derzeit in Deutschland zu Altenpflegern ausgebildet. Wenn sie nach ihrer Lehre übernommen werden und zwei bis drei Jahre arbeiten, erhalten sie ein unbeschränktes Bleiberecht. Das nützt allen, denn in Deutschland gibt es viel zu wenige Fachkräfte in der Altenpflege. In Vietnam wiederum ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch, besonders unter jungen Menschen.

Das Pilotprojekt hat die Bundesregierung mit dem vietnamesischen Arbeits- und Sozialministerium und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt – in der Hoffnung, dass Altenheime das Modell in der Praxis weiterführen. Es ist ein Beispiel dafür, wie kreativ und flexibel Deutschland in der Einwanderungspolitik geworden ist. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) konstatiert in seinem Jahresgutachten 2015: „Deutschland reiht sich mittlerweile ein in die Riege der als fortschrittlich eingestuften Einwanderungsländer.“

Es ist ein Urteil, das viele überrascht. „Wir sind besser als wir glauben“, sagt die SVR-Vorsitzende Christine Langenfeld. Deutschland ist seit der Wiedervereinigung bunter und offener geworden. Heute berücksichtigen Gesetze und Vorschriften zunehmend, dass das Land qualifizierte Zuwanderer braucht. Die öffentliche Diskussion spiegelt das nicht immer wider – wohl auch, weil viele gar nicht wissen, wie viel sich in den vergangenen 25 Jahren verändert hat. Längst herrscht innerhalb der Europäischen Union Freizügigkeit: Jeder kann arbeiten, wo er möchte. Auch Akademiker aus dem nichteuropäischen Ausland können mit der so genannten Blue Card unbürokratisch eine Beschäftigung aufnehmen oder auf Arbeitssuche gehen. Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen Facharbeiter wie Klempner, Monteure oder Pfleger unabhängig von ihrer Heimat gesucht und willkommen.

Den Vergleich mit klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada muss Deutschland laut Experten nicht scheuen. Schon 2013 stellte ein Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fest, dass Deutschland zu den OECD-Ländern mit den geringsten Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte gehört: Es gibt keine jährlichen Kontingente wie etwa in den USA, die Verfahren sind kurz und kostengünstig. Hinzu kommt, dass sich gerade Kanada und Deutschland in der Einwanderungspolitik „stark aufeinander zubewegt“ haben, wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration feststellt.

Während Kanada über eine Zuwanderung früher ausschließlich aufgrund der Qualifikation der Bewerber entschied, ist heute – wie in Deutschland – ein Arbeitsvertrag das wichtigste Kriterium. Deutschland wiederum erlaubt inzwischen Akademikern aus Nicht-EU-Staaten, auch ohne feste Stellenzusage einzureisen. Sie haben sechs Monate Zeit, um eine Beschäftigung zu finden. Und die Entwicklung wird weiter gehen, denn je mehr die Gesellschaft altert, desto weniger steht die Frage im Vordergrund, was Arbeitssuchende mitbringen müssen. Immer wichtiger wird es, die Regelungen so zu gestalten, dass sie es sind, die Deutschland attraktiv finden.