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Partnerschaft mit Praxiswert

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm ermöglicht einen deutsch-amerikanischen Austausch der besonderen Art.

22.01.2014
© GIZ/privat - Training

Mount Prospect, Illinois: Claudia Fest erwartete nicht viel von der Kleinstadt im Mittleren Westen. Doch die 23-jährige Brandenburgerin sollte dort ein aufregendes Jahr verbringen: Sie ging auf ein amerikanisches College, lebte sich bei einer Gastfamilie ein und absolvierte ein Praktikum in einem US-Unternehmen, der Robert Bosch Tool Corporation. „Es war eine unglaubliche, spannende Zeit“, sagt sie, „ich bin stolz darauf, mich behauptet zu haben.“

Ihre Erfahrungen verdankt Fest dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm (PPP), dem einzigen offiziellen Austauschprogramm zwischen Amerika und Deutschland, das sich an junge Nicht-Akademiker richtet – Handwerker, Techniker, Industriekaufleute. Jedes Jahr können 75 Deutsche erleben, wie der Alltag im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tatsächlich aussieht. Im Gegenzug kommen ebenso viele junge Amerikaner nach Deutschland, mit dem Congress-Bundestag Youth Exchange for Young Professionals (CBYX). Die Teilnehmer leben für ein Jahr in Gastfamilien, besuchen Schulen, absolvieren Praktika in Betrieben.

30 Jahre gibt es diesen Austausch bereits. Er hat an Attraktivität nichts eingebüßt: Auf einen Platz kommen rund sieben Bewerber, und das, obwohl die Teilnehmer mehrere tausend Euro aus eigener Tasche investieren müssen. „Die jungen Leute versichern uns, dass die persönlichen Erfahrungen durch nichts zu ersetzen sind“, sagt Ute Gabriel, Projektleiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die das Programm in Deutschland organisiert; amerikanischer Partner ist die Organisation Cultural Vistas.

Einer der ersten PPPler war der Bankkaufmann Jürgen Fiedler, der 1987/88 in Spokane (Bundesstaat Washington) bei der Washington Mutual Savings Bank volontierte. Seine Betreuer trauten ihm eine Menge zu: Er war dabei, wenn mit Farmern über Kredite und Versicherungen verhandelt wurde, und durfte nach vier Wochen allein hinter den Kassenschalter. „Es gibt keine Grenzen, nur Türen, die man öffnen kann“: Diese Lehre habe er aus dem USA-Aufenthalt mitgenommen, sagt er. „Sie half mir bei allen späteren Auslandsaufenthalten, ob in der Schweiz oder in Indien.“ Heute hat Fiedler einen Top-Job – als Managing Director der Deutschen Bank in New York.

Auch für andere begann mit dem Austausch eine internationale Karriere: Der ehemalige Maschinenschlosser Thomas Döring, 1984/85 in Oregon, arbeitet heute im Einkauf des globalen Konzerns Procter & Gamble; Fremdsprachenkorrespondentin Katharina Michalczyk wechselte ins Auswärtige Amt, nachdem sie 2003/2004 durch das PPP nach New Jersey kam. Und auch die Industriekauffrau Claudia Fest will künftig jede Möglichkeit wahrnehmen, international zu arbeiten.

Während deutsche Bewerber eine Lehre abgeschlossen haben sollten, sind die Voraussetzungen für Amerikaner weniger formal – schließlich gibt es in den USA kein duales Ausbildungssystem. Wichtig ist, dass sie sich überhaupt für Deutschland interessieren und „relevante Erfahrungen“ mitbringen. So wie Jesse Shiroma aus Honolulu (Hawaii). Der 23-jährige Student und Hobby-Akkordeonspieler träumte schon lange von einem Praktikum beim schwäbischen Musikinstrumentenhersteller Hohner. Dann hörte er von dem Austauschprogramm – „und ich wusste, das ist meine Chance“. 2012 klappte es. Shiroma studierte ein Semester in Heidelberg, dann kam er zu Hohner nach Trossingen. „Es war das beste Jahr meines Lebens“, schwärmt er.

Die Begeisterung der Teilnehmer ist fast immer groß, obwohl die wenigsten in ihre Traumstadt kommen – für viele Deutsche ist das New York oder Los Angeles. Stattdessen werden sie ins ländliche Oregon geschickt oder nach Alaska. Doch das hat auch sein Gutes. „In einer Kleinstadt sind sie etwas Besonderes und gehen nicht so unter wie in der Großstadt“, sagt Ute Gabriel. Außerdem sind die Kosten für College und Lebensunterhalt vergleichsweise niedrig.

Die Gastfamilie kann schon mal unkonventionell sein, so wie bei dem 24-jährigen Bankfachwirt Tino Lehmann, den es in Chicago in einen Männerhaushalt samt Kater und Hund verschlug. Von manchem Gast wird erwartet, dass er sich ehrenamtlich betätigt, weil in den USA „Volunteering“ zum guten Ton gehört – Claudia Fest hütete zweimal in der Woche Kinder im örtlichen YMCA. Und im College gehört zu den wichtigsten Fertigkeiten das Aufsatzschreiben, weil man sich in den USA mit Essays für weiterführende Hochschulen bewirbt.

Der Höhepunkt ist für viele das Praktikum. Jesse Shiroma begann seine Bewerbungsmail an Hohner gewohnt locker mit „Hallo, ich bin der Jesse, ich komme aus Hawaii“, was in der Personalabteilung des Mittelständlers ein gewisses Schmunzeln ausgelöst haben dürfte. Doch er bekam seinen Praktikumsplatz, lernte Produktion und Marketing kennen und durfte schließlich unter Anleitung sein eigenes Akkordeon auseinanderbauen und wieder zusammensetzen. Seitdem hat der Hawaiianer, der gegenwärtig an der University of Hawaii at Manoa Europäische Geschichte und Germanistik studiert, einen neuen Berufswunsch: Er will sich in Deutschland zum Handzuginstrumentenbauer ausbilden lassen. Wie er das finanzieren kann, weiß er zwar noch nicht, doch mit amerikanischem Optimismus setzt er darauf, dass sich eine Lösung findet: „Ich drücke mir selbst die Daumen.“

Als Teil einer gelebten Völkerverständigung fördern beide Regierungen den Austausch finanziell, Politiker fungieren als Paten, und ausgewählte Teilnehmer dürfen einige Wochen in Abgeordnetenbüros hospitieren. „Man wird ganz selbstverständlich zum Botschafter zwischen den Welten“, findet Claudia Fest. Jesse Shiroma hat bei sich selbst erlebt, wie sich Vorurteile auflösten: „Ich dachte immer, die Deutschen wären so zugeknöpft – und war ganz überwältigt von der Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die ich dann erlebte.“ ▪

Christine Mattauch