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„Wir möchten eine gemeinsame Erinnerungskultur gestalten“

Ruprecht Polenz führt als Sondergesandter der deutsch-namibischen Beziehungen die Verhandlungen zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia.

19.04.2016

Herr Polenz, seit November 2015 sind Sie Sondergesandter der deutsch-namibischen Beziehungen. Sie führen die Verhandlungen zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia. Was genau ist Ihre Aufgabe?

In Zusammenarbeit mit der namibischen Seite möchten wir eine gemeinsame Sprache für den Umgang mit einem sehr dunklen Kapitel deutscher Kolonialzeit finden: der Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama 1904 bis 1908. Das damals geschehene Unrecht soll dabei ausdrücklich benannt werden – und zwar auf eine Art, die Namibia akzeptieren kann. Wir möchten einen Umgang finden, der das Bedauern der deutschen Seite zum Ausdruck bringt. Letztlich geht es uns auch darum, dass Namibia eine Entschuldigung von deutscher Seite annehmen kann. Auf dieser Basis möchten wir dann eine gemeinsame Erinnerungskultur gestalten und pflegen.

Eigentlich befinden Sie sich im Ruhestand. Was reizt Sie so sehr an der Aufgabe, dass Sie zurück in die Politik gegangen sind?

Schon in meiner aktiven Zeit als Außenpolitiker habe ich mich mit Konflikten auf der ganzen Welt beschäftigt. Obwohl das grausame Geschehen in Namibia schon 100 Jahre zurückliegt, ist es immer noch ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte. Für Deutschland und für mich persönlich wäre es ein wichtiges Anliegen, die Geschichte aufzuarbeiten. Außerdem reizt mich die Aufgabe, weil ich – anders als bei meinen früheren Tätigkeiten als Parlamentarier und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses – operativ arbeite und die Auswirkungen unserer Gespräche unmittelbar erleben kann.

Die namibische Seite hatte schon seit längerem auf den Schritt gewartet, dass die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia umfassend aufgearbeitet wird. Im Juli 2015 erkannte das Auswärtige Amt dann die Ermordung Zehntausender Angehöriger der Herero und Nama ab 1904 in der damaligen Kolonie als Kriegsverbrechen und Völkermord an. Was genau sind nun die nächsten Schritte?

Im Dezember 2015 war ich erstmals in meiner neuen Funktion in Namibia zu Gast. Begleitet werde ich auf meinen Reisen vom Regionalbeauftragten des Auswärtigen Amts für Subsahara-Afrika und Sahel, Botschafter Georg Schmidt, und von Martin Schmidt vom Völkerrechtsreferat des Auswärtigen Amtes. Wir sprachen nicht nur mit Vertretern der Regierung in Windhoek, sondern fuhren auch in Siedlungsgebiete der Herero. Es war uns wichtig, die Orte des damaligen Aufstandes und der brutalen Kämpfe zu besuchen und mit Angehörigen der Opfer zu sprechen. Die Verhandlungen führen wir zwar mit der namibischen Regierung, aber wir möchten auch einen Eindruck von den Gefühlen und den Erwartungen der Communities der Hereros und Namas bekommen. Schon unser erster Besuch war ein großer Erfolg: Mein Counterpart auf namibischer Seite, der ehemalige Diplomat und Herero Zed Ngavirue, begleitete uns auf unser gesamten Reise. Das zeigt, welch großen Stellenwert das Thema für beide Seiten hat.

Wie stellen Sie sicher, dass die Interessen der Herero und Nama bei den Verhandlungen berücksichtigt werden?

Die namibische Regierung verhandelt für Namibia – und damit natürlich auch für die Herero und Nama. Sie werden aber von Anfang an einbezogen. In einem „Technical Committee“ äußern sie ihre Erwartungen, Forderungen und Wünsche. In einem vom namibischen Vizepräsidenten Nickey Iyambo geleiteten „Political Committee“ werden diese Erwartungen anschließend eingebracht, bewertet und gewichtet. So ist gewährleistet, dass die Interessen der Herero und Nama in den Verhandlungen vertreten sind.

Welche Hoffnungen verbinden Deutschland und Namibia mit den Verhandlungen?

Zwei Themen sind uns besonders wichtig: die Heilung der Wunden und eine gemeinsame Erinnerungskultur. Beides wird mit dem Ende der Verhandlungen nicht abgeschlossen sein. Vielmehr sehen wir darin eine dauerhafte Aufgabe. Momentan sind wir auf der Suche nach einer geeigneten Form. Denkbar wäre zum Beispiel die Gründung einer Stiftung, in der die betroffenen Communities unmittelbar vertreten sein könnten. Außerdem denken wir über Bildungsprojekte nach, über Stipendien oder ein Jugendaustauschprogramm. Die namibische Seite wird ebenfalls Vorschläge einbringen, über die wir uns dann gemeinsam austauschen.

Welche Auswirkungen haben Ihre Gespräche auf die bilateralen Beziehungen?

Wenn es uns gelingt, die Wunden zu heilen und eine gemeinsame Erinnerungskultur zu pflegen, wird sich auch der deutsche Blick auf die Kolonialzeit verändern. Meinem Eindruck nach wird die Kolonialzeit an deutschen Schulen eher am Rande behandelt. Oft mit der Begründung, Deutschland habe seine Kolonien sehr früh wieder abgegeben und sei als Kolonialherr nicht sehr lange in Erscheinung getreten. Dieser Eindruck täuscht. Bis heute sind die Spuren deutscher Kolonien in einigen Ländern sehr präsent. In der Kolonialzeit wurden viele Verbrechen begangen, an die erinnert werden muss. Wir möchten diesem Kapitel deutscher Geschichte in deutschen Schulbüchern mehr Platz einräumen.

Wie präsent ist das Thema in Namibia?

Die Bedeutung unserer Verhandlungen ist für Namibia ungleich größer. Dort gibt es eine Erinnerungskultur, die der Opfer gedenkt. Die Verbrechen sind gegenwärtig. Viele Menschen in Namibia vermissen einen Versöhnungsprozess. Das steht in gewisser Hinsicht noch zwischen unseren Völkern. Dieses Hindernis möchten wir nun Stück für Stück abtragen. Gelingt uns das, sehe ich darin ein gutes Beispiel für die Gestaltung der Beziehungen Afrikas und Europas im 21. Jahrhundert – nämlich weniger auf paternalistischer als vielmehr auf gemeinschaftlicher Basis. ▪

RUPRECHT POLENZ

saß 19 Jahre lang für die CDU im Deutschen Bundestag und war lange Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses