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„Wir müssen radikal umdenken“

Afrika ist auf der Überholspur. Was das für die Entwicklungszusammenarbeit bedeutet, erläutert Günter Nooke, Afrikabeauftragter der Bundesregierung, im Interview.

01.10.2015

Herr Nooke, der G7-Gipfel Anfang Juni 2015 auf Schloss Elmau in Bayern entwickelte sich zu einem kleinen Afrika-Gipfel. Wie kam es dazu?

Unter deutscher Präsidentschaft haben wir den sogenannten Outreach ganz bewusst wieder auf die Tagesordnung gesetzt und die Staats- und Regierungschefs aus Äthiopien, Liberia, Nigeria, Senegal und Tunesien sowie die Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union zu einem ausführlichen Dialog eingeladen. An dem Outreach nahmen auch Irak und Vertreter internationaler Organisationen teil. Nie zuvor wurde auf einem G7-Gipfel so ausführlich über Afrika-Themen gesprochen. Viele Themen wie Klimawandel, Rohstoffnutzung, Wildtierschutz, Sicherheit oder Gesundheit, die weltweit diskutiert werden, haben einen besonderen Bezug zu Afrika. Uns war es wichtig, nicht nur über Afrika zu reden, sondern vor allem mit Afrika. Wenn wir die jeweiligen Staats- und Regierungschefs einbinden, ist es auch einfacher, sie mit in die Verantwortung zu nehmen, um wichtige Ziele zu erreichen.

Welche Ergebnisse wurden aus afrikanischer Sicht erzielt?

Viele Entscheidungen des Gipfels beziehen sich direkt auf Afrika. Zum Beispiel, was die Reduzierung der Treibhausgase angeht: Bis 2020 sollen in Afrika zusätzliche zehn Gigawatt Erneuerbare Energien installiert werden. Auch das neue Ziel, 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu führen, ist für Afrika von großer Bedeutung, ebenso das neue Konzept zur Vermeidung von Pandemien wie der Ebola-Krise durch die schnelle Verfügbarkeit von medizinischen Einsatzkräften. Beschlossen wurde zudem die verstärkte Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten. Wichtige Ergebnisse wurden auch bei den Themen Berufsausbildung sowie Qualifizierung von Frauen und Mädchen erzielt.

Es wurde nicht über, sondern mit Afrika geredet, sagen Sie. Inwiefern steht dieser neue Duktus für ein neues Bild Afrikas in den Industrienationen?

Das Selbstbewusstsein in Afrika ist extrem gestiegen. Viele afrikanische Länder haben deshalb ein verstärktes Interesse daran, international als Partner ernstgenommen zu werden – völlig zurecht. Auch bei den G7-Staaten hat dies eine Veränderung bewirkt, die jetzt vor allem unter der Überschrift „Afrika als Chancenkontinent“ kommuniziert wird. Ich glaube auch, dass es riesige Chancen in Afrika gibt. Dennoch warne ich davor, die Realität aus den Augen zu verlieren. Zwar erzielen einige afrikanische Länder im internationalen Vergleich hohe wirtschaftliche Wachstumsraten. Dennoch stellen die Ungleichverteilung des Reichtums und die hohe Jugendarbeitslosigkeit viele dieser Länder vor riesige Herausforderungen. Das erstarkte Selbstbewusstsein afrikanischer Länder ist nur gerechtfertigt, wenn die Staats- und Regierungschefs sich selbst für alle Menschen in ihrem Land verantwortlich zeigen.

Muss die Entwicklungszusammenarbeit nun neu definiert werden?

Ja, und das beginnt beim Begriff Entwicklungszusammenarbeit. Das Wort „Hilfe“ wird darin zwar nicht genannt, aber es schwingt doch immer mit. Wir müssen radikal umdenken und von einer gleichberechtigten Partnerschaft sprechen. In Gesprächen höre ich immer wieder: „Wir wollen keine Hilfsprojekte, wir wollen wirtschaftlich kooperieren.“ In der deutschen Afrikapolitik wird es in Zukunft vor allem darum gehen, dass Unternehmen zusammenarbeiten. Gut vorstellbar ist zum Beispiel, dass berufliche Bildung bei Investitionsprojekten als Teil des Auftrages fest vorgeschrieben und so gestärkt wird. Natürlich wird es auch in Zukunft vom Staat finanzierte Projekte geben, aber eben nicht als isoliertes Entwicklungsvorhaben, sondern in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft.

Ein Ergebnis des G7-Prozesses ist auch, dass das Afrikanische Partnerschaftsforum zur „Africa Global Partnership Platform“ umgestaltet wird. Was genau ist Ziel der neuen Plattform?

Das Afrikanische Partnerschaftsforum war ein Format im Geber-Nehmer-Verhältnis: Afrikanische Staaten haben sich mit ihren wichtigsten Gebern in der Entwicklungszusammenarbeit getroffen. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Deshalb hat Deutschland einen Umgestaltungsprozess vorangetrieben. Uns war wichtig, dass sich afrikanische Länder auch mit ihren größten Handelspartnern und Investoren austauschen. So wird die Teilnehmerrunde schnell um Staaten wie Indien, China, Brasilien, Südkorea und Australien erweitert, die in Afrika, ob im Rohstoffbereich oder etwa im Handel, sehr präsent sind. Neben Sicherheitsfragen bedeutet eine gute Afrikapolitik, Rahmenbedingungen zu fördern, damit die Wirtschaft vor Ort wächst und Arbeitsplätze schafft.

Kann diese neue Afrikapolitik auch dazu beitragen, die Verhältnisse in afrikanischen Ländern so zu verbessern, dass die Menschen nicht mehr aus ihren Herkunftsländern fliehen?

Eine gute Afrikapolitik hilft dabei, Fluchtursachen zu bekämpfen – ebenso wie eine gute Politik der Regierungen in Afrika es den Menschen ermöglicht, in ihren Ländern erfolgreich zu sein, Arbeit zu finden, Geld zu verdienen, sich selbst zu verwirklichen. Trotzdem gibt es viele andere Dinge, die parallel notwendig sein werden. Wir müssen über ein Einwanderungsgesetz sprechen und den Grenzschutz im Mittelmeer verbessern. Denn es ist auch klar, dass wir nicht alle Menschen – ob aus Albanien, Syrien oder afrikanischen Ländern – aufnehmen können. Jeder muss seiner Verantwortung gerecht werden, auch die afrikanischen Staaten selbst.

Für die Verbesserung der Lebensumstände ist die Modernisierung der Landwirtschaft zentral. Deutschland fördert den Sektor mit „Grünen Innovationszentren“. Was genau erhoffen Sie sich davon?

Wetter und Böden in Afrika ermöglichen viel höhere landwirtschaftliche Erträge als heute erzielt werden. Die wichtigste Idee der Innovationszentren ist, Kleinbauern zu befähigen, ihre Erträge zu steigern und in Wert zu setzen. Das fängt bei der Sortenwahl und Anbaumethoden an, geht über den Nachernteschutz bis zur Vermarktung. Wir wollen Bauern zum Beispiel dabei helfen, eigenständig die Preise auf dem Markt abzufragen – mit Hilfe von Fachwissen und moderner Informationstechnologie. Wir geben den Bauern und den Verantwortlichen in Landwirtschaftsministerien Instrumente an die Hand, mit denen sie diese Produktivitätssteigerung erzielen und die Ausbildung, aber auch die Industrialisierung und Weiterverarbeitung im Landwirtschaftsbereich vorantreiben können. ▪

Interview: Clara Görtz