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„Eine Infektion ist nicht gleich ein Todesurteil“

Tankred Stöbe, Präsident von „Ärzte ohne Grenzen“ Deutschland, über den Kampf der Hilfsorganisation gegen Ebola.

19.12.2014
© dpa/Jörg Carstensen - Tankred Stöbe

Herr Stöbe, Sierra Leone, Liberia und Guinea werden immer stärker von Ebola heimgesucht, in Nigeria dagegen scheint die Gefahr gebannt. Wie ist das gelungen?

Bei einer Epidemie wie dieser ist es wichtig, dass die Sicherungsmaßnahmen schnell greifen. Das heißt: Die Erkrankten müssen schnell diagnostiziert und, wenn eine Ebola-Infektion bestätigt wird, sofort isoliert und behandelt werden. Zudem muss man alle ihre Kontaktpersonen aufspüren und informieren. Sollten sie innerhalb von 21 Tagen ebenfalls Symptome entwickeln, müssen sie eine Behandlungsstation aufsuchen und sich untersuchen lassen. Solange die Menschen noch keine Symptome haben, können sie den Erreger auch noch nicht weiterreichen. Das erleichtert den Umgang mit dieser Erkrankung. In Nigeria hat man, nach anfänglichen Fehlern, diese epidemiologischen Kriterien eingehalten. Es war aber auch Glück dabei.

Lässt sich dieses Vorgehen nicht auch in den westafrikanischen Ländern umsetzen?

In Sierra Leone, Liberia und Guinea waren die Gesundheitssysteme schon vor Ausbruch der Epidemie fragil und die Lage wird durch Ebola täglich verschärft. Die medizinische Versorgung ist inzwischen zusammengebrochen. Mittlerweile sterben dort viele Menschen selbst an gut behandelbaren Krankheiten wie Malaria. Diese Länder können die Probleme nicht mehr alleine lösen.

Wann könnte die Epidemie unter Kontrolle sein?

Etwa 15 000 Menschen sind schon infiziert. Mit jedem Tag steigen die Risiken. In Sierra Leone tritt Ebola bereits in allen Regionen des Landes auf. Im Moment ist es sehr schwer, Prognosen über die Entwicklung der Epidemie zu treffen. Wir gehen davon aus, dass wir bis weit in das Jahr 2015 in Sierra Leone, Liberia und Guinea Ebola bekämpfen werden.

Welchen Beitrag leistet „Ärzte ohne Grenzen“ im Kampf gegen die Krankheit?

Wir betreiben in den drei am stärksten betroffenen westafrikanischen Ländern sechs Behandlungszentren mit insgesamt 600 Betten. Dort haben wir mehr als 6000 Patienten aufgenommen. Bei rund 3800 von ihnen wurde Ebola bestätigt. Fast 1600 dieser Menschen konnten später gesund entlassen werden. Im Moment haben wir gut 3400 Mitarbeiter vor Ort. Seit März 2014 wurden 700 internationale Freiwillige entsandt, 35 davon stammen aus Deutschland. Diese Fachkräfte sollen nur vier Wochen am Stück im Krisengebiet arbeiten, aber viele wollen bald wieder dorthin zurück. Wir haben übrigens schon mehr als 1200 Tonnen Hilfsmaterial eingeflogen.

Und wie hoch sind die Kosten dieses Dauereinsatzes?

Im Jahr 2014 werden wir nach derzeitiger Planung 52 Millionen Euro für die Ebola-Bekämpfung ausgeben und 2015 vermutlich eine ähnliche Summe. Die deutsche Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“ hat bisher mehr als 4,6 Millionen Euro zur Finanzierung beigetragen.

Die Regierungen der USA und europäischer Staaten schicken ebenfalls Hilfe, aber das reicht offensichtlich noch nicht. Warum nicht?

Experten gehen davon aus, dass mehr als 4000 Ebola-Behandlungsbetten nötig sind. Davon ist praktisch erst ein Viertel vor Ort. Ausreichende Behandlungskapazitäten sind allerdings der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bekämpfung der Epidemie. Die Bundesregierung verspricht bereits seit Mitte September 2014 schnelle, konkrete Hilfe, aber davon ist noch nichts angekommen. Wir verstehen das nicht.

Wie könnte Deutschland die Unterstützung optimieren?

Wir brauchen qualifizierte Mitarbeiter vor Ort und Krankenstationen. Beides muss zusammenkommen. Auch werden zusätzliche Transportkapazitäten benötigt. Eventuell infizierte Einsatzkräfte sollten innerhalb von 24 Stunden in ihr Heimatland ausgeflogen werden können. Diese Sicherheit sollte man ihnen garantieren. Darüber hinaus müssen ein Impfstoff und bezahlbare Medikamente zur Behandlung der Krankheit entwickelt werden. Da ist Deutschland als Forschungsstandort gefordert. ▪

Interview: Kurt de Swaaf

Ärzte ohne Grenzen

Das 1971 in Frankreich gegründete Netzwerk „Médecins Sans Frontières“ (MSF), zu Deutsch „Ärzte ohne Grenzen“, ist eine unabhängige und unparteiische internationale Hilfsorganisation. Schwerpunkt der Arbeit ist die medizinische Versorgung notleidender Menschen in Krisengebieten überall auf der Welt. Die Organisation finanziert sich zu etwa 90 Prozent aus Privatspenden und unterteilt sich in derzeit 24 verschiedene Mitgliedsverbände, darunter auch MSF Deutschland.

Ebola-Hilfe der Bundesregierung

Für den Kampf gegen die Ebola-Epidemie stellt die Bundesregierung 108,7 Millionen Euro zur Verfügung und unterstützt damit die Weltgesundheitsorganisation WHO, humanitäre Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftliche Institute, die in den betroffenen Ländern Hilfe leisten. Auf Vorschlag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde Botschafter Walter Lindner zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den Kampf gegen die Ebola-Krise ernannt. Er soll die Bemühungen des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung in der Bekämpfung der Ebola-Epidemie koordinieren. Lindner wird darin durch den neuen Arbeitsstab „Ebola“ unterstützt. Auf einem speziellen Ebola-Portal bündelt die Deutsche Welle zahlreiche Beiträge zum Thema und informiert über Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen.

www.auswaertiges-amt.de