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Humanitäre und technologische Hilfe

Mit großem Engagement steht Deutschland Japan nach „Fukushima“ zur Seite.

Kurt de Swaaf, 19.04.2016

Der Tsunami vom 11. März erschütterte nicht nur Japan. Auch in Deutschland nahmen sehr viele Menschen Anteil. Und mehr als das. Allein aus Deutschland gingen mehr als 60 Millionen Euro an Hilfsorganisationen und Kommunen, zahlreiche Helfer leisteten Unterstützung direkt im Krisengebiet. Der japanische Botschafter in Berlin veröffentlichte zum fünften Jahrestag der Katastrophe ein Dankesschreiben in der überregionalen deutschen Presse: „Vielfältige Aktivitäten aus Deutschland in der schwer getroffenen Region haben dort in beachtlicher Weise zum Wiederaufbau beigetragen“, schrieb er.

Nach der humanitären Hilfe erhält Japan nun auch technologische Unterstützung aus Deutschland. Das Unternehmen NUKEM NUKEM Technologies hat 2016 den Auftrag über vier Machbarkeitsstudien für den Rückbau der zerstörten Reaktoren in Fukushima erhalten. Das deutsche Unternehmen gilt weltweit als Marktführer auf diesem Gebiet. Um die Komplexität des Auftrags zu verstehen, muss man jedoch genau wissen, was passiert ist. In den Reaktorblöcken 1 bis 3 war es infolge des Tsunami zur Kernschmelze gekommen. Die Meiler selbst überstanden zwar das Beben und die Flutwelle, doch die einbrechenden Salzwassermassen legten die Kühlsysteme lahm. Dadurch konnten sich die Brennstäbe ungehindert weiter erhitzen – bis auf Temperaturen von etwa 2800° C. Das sie umgebende Wasser verdampfte, anschließend setzte die Schmelze ein. Die Entwicklungen gerieten außer Kontrolle. Der Kern von Siedewasserreaktoren wie der in Fukushima ist in einem Druckbehälter eingefasst, und dieser wiederum befindet sich in einer Stahl-Betonkammer, dem Containment. Nachdem die überhitzten Brennstäbe jede Menge Wasserdampf produziert hatten, ließ man diese über Ventile ins Containment entweichen. Bei chemischen Reaktionen entstand gleichwohl auch reichlich Wasserstoffgas. Letzteres wurde nun ebenfalls freigesetzt und explodierte. Schwere Schäden an den Reaktorgebäuden waren die Folge. Das Brennmaterial ging in einen flüssigen Zustand über und fiel auf die Böden der Druckbehälter. Wahrscheinlich hat sich die glühende Masse durch die Stahlhülle hindurchgefressen. Ein Teil dürfte nun unten auf den Betonfluren der Containments liegen oder darin eingebrannt sein.

Fachleute bezeichnen diese stark radioaktiven Überreste als Debris, und sie zu bergen wird extrem schwierig. Zunächst gilt es nun, die unteren Bereiche der Gebäude genau zu untersuchen. Für Menschen ist dort die Strahlung viel zu hoch. Sogar Roboter sind gefährdet. Elektromagnetische Wellen stören die Steuerungssignale, und das Material von Bauteilen und Leiterplatten wird geschwächt. Ist die Lage erst einmal geklärt, steht der nächste Schritt an. Es muss ein größeres Loch in den Bioschild, die äußere Betonhülle des Containments, geschlagen, und die dabei anfallenden Trümmer entfernt werden. Dieser Abfall dürfte ebenfalls radioaktiv sein. Er lässt sich nicht wie normaler Bauschutt behandeln. Die eigentliche Bergung der Debris stellt die größte Herausforderung dar. In welchen Zustand ist sie? Das Materialgemisch aus zerflossenen Brennstäben, Stahl und Sonstigem könnte noch heiß und halbflüssig sein. „Vielleicht aber ist die Masse auch komplett erkaltet“ sagt Jose Fernandez Puga, der zuständige NUKEM-Projektleiter. Das wäre eventuell eine Erleichterung. Insgesamt dürfte die Debris mehrere hundert Kilo wiegen. Diese Menge lässt sich nur in kleinen Portionen abtransportieren, womöglich über einen eigens dafür verlegten Schienenstrang. Die stark strahlende Fracht darf natürlich nicht einfach aus dem Reaktorgebäude herausgefahren werden, erklärt Thomas Seipolt, Geschäftsführer der NUKEM Technologies Engineering Services GmbH. Stattdessen ist die Installation eines schleusenartigen Verarbeitungsraums vorgesehen, welcher direkt am Loch im Bioschild anzudocken ist. Luftdicht, versteht sich. In dieser Kammer soll das Bergungsgut sicher verpackt werden, so dass es keine Gefahr mehr für die Umgebung darstellt.

„Radioaktivität folgt Naturgesetzen, die man gut kennt“, betont Seipolt. Trotz des Gefahrenpotentials lassen sich somit Risiken ziemlich genau einschätzen – vor allem für die vor Ort tätigen Arbeitskräfte. Die Sicherheit dieser Menschen sei deshalb gewährleistet. Abgesehen von den oben genannten Machbarkeitsstudien ist NUKEM in Fukushima bereits an der Optimierung der Abwasserreinigung beteiligt. „Die Gebäude werden permanent abgepumpt“, erklärt Seipolt. Noch lagert man das kontaminierte Wasser in großen Tanks, aber das kann nur eine Übergangslösung sein. Die Radionuklide lassen sich jedoch mittels Absorptionschemikalien binden und anschließend abscheiden. Salz aus Meerwasser erschwert diesen Prozess allerdings. Nun wird nach neuen, effektiveren Bindungssubstanzen gesucht. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gesamtsanierung. Aber nach aktuellen Schätzungen dürften die Aufräumarbeiten erst 2030 vollendet sein. ▪