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Texte fürs Leben

Erst schrieben sie heimlich,  inzwischen aus Überzeugung: Drei irakische Frauen stellen in Deutschland die Texte vor, die sie in einer vom Auswärtigen Amt unterstützen Schreibwerkstatt verfasst haben.

أن-كاترين شتراكة, 15.12.2016
© Suesser/LiteraturhausKoeln - Basra

Sie kommen aus einem Land, in dem nur wenige Frauen alleine reisen. Dass die drei Frauen aus dem Irak alleine nach Deutschland fliegen durften, haben sie sich in ihren Familien hart erkämpft. Iman Abed Alsalih, Mervet Al Khosaii und Muntaha Jaafar Al-Iedani sind gekommen, um die Geschichten vorzulesen, die sie in den vergangenen Monaten geschrieben haben. Erst heimlich, mittlerweile selbstbewusst und aus Überzeugung.

Ihr neues Selbstvertrauen haben sie aus mehrtägigen Schreibwerkstätten mitgenommen, an denen sie in den vergangenen Monaten in Basra und Erbil im Irak teilgenommen haben. „Schreiben fürs Leben“ hat der Schriftsteller Najem Wali diesen Workshop genannt. Frauen aus dem ganzen Land und aus allen Schichten konnten daran teilnehmen und sich austauschen über ihre Erfahrung zu schreiben und über das Gefühl, damit nicht beachtet zu werden. Unterstützt wurde die Schreibwerkstatt vom Auswärtigen Amt, umgesetzt von der Berliner Beratungsorganisation Elbarlament.

„Langsam haben sich die Frauen vorgetastet, nur zögerlich ihre eigenen Texte den anderen Frauen vorgestellt“, beschreibt Najem Wali, Leiter des Workshops, die Schreibwerkstatt. Dann haben sie sich immer mehr erzählt, sich einander anvertraut. Und: Sie haben ein Netzwerk gegründet. In Form einer Facebook-Gruppe. Der Titel: „Schreiben fürs Leben“. Hier tauschen sie sich weiterhin aus, posten ihre neuen Texte, kommentieren die Texte der anderen. Das macht ihnen Mut.

Auf Einladung von Elbarlament reisen die drei Frauen im Dezember 2016 eine Woche lang durch Deutschland, lernen verschiedene Vertreter für Frauenrechte kennen und tauschen sich im Auswärtigen Amt über Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aus. „Das Schönste an diesem Projekt ist die Nachhaltigkeit und wie es die Frauen verändert hat“, sagt Birgit Laubach, Geschäftsführerin von Elbarlament. „Die Teilnehmerinnen haben eine Sektion ,Frauen‘ im Schriftstellerverband gegründet und Lesungen organisiert – und das alles in ihrer Freizeit.“ Die Organisation hofft, die Schreibwerkstatt im Jahr 2017 mit vier weiteren Workshops und einer Studienreise fortsetzen zu können.

Iman Abed Alsalih, Mervet Al Khosaii und Muntaha Jaafar Al-Iedani sind mutige Frauen, die eine Meinung haben und sich einmischen in die männerdominierte irakische Gesellschaft. Im Literaturhaus in Köln haben sie ihre Geschichten vorgestellt.

„Meine Geschichten habe ich immer bewacht“

Iman Abed Alsalih, 32 Jahre, aus Nassirija

Einfach von einer Stadt in die andere zu fahren, um dort zu arbeiten, wie die Frauen in Deutschland, das würde Iman Abed Alsalih im Irak auch gern. Sie kommt aus einem kleinen Dorf im Südirak. Ihr Umfeld ist sehr konservativ: Die Männer haben das Sagen, die Frauen kaum Rechte und keine Stimme in der Gesellschaft, sagt sie. Das hat Iman Abed Alsalih immer schon geärgert.

Seit ihrer Kindheit liest sie gern, doch noch viel lieber schreibt sie Geschichten, über alles, was sie bewegt. „Meine Geschichten habe ich immer bewacht, denn mein Vater und mein Bruder sollten sie auf keinen Fall lesen“, erzählt sie in der Diskussion im Literaturhaus in Köln. Dass sie schreibt, hat den Männern in ihrer Familie nichts bedeutet. Bis zu dem Tag, als Iman Abed Alsalih einen Preis bei einem Literatur-Wettbewerb gewonnen hat. „Den habe ich dann gerahmt und ins Wohnzimmer gehängt. Das konnten dann selbst die Männer in meiner Familie nicht mehr ignorieren“, sagt sie und lacht verschmitzt.

Iman Abed Alsalih ist mehrfach bedroht worden, weil sie schreibt. Daher schrieb sie lange Zeit unter einem Pseudonym. Doch die Schreibwerkstatt und die Reise nach Deutschland haben ihr Mut gemacht: Ab sofort möchte sie ihre Geschichten unter ihrem richtigen Namen veröffentlichen.  

„Ich bin ein Kind des Krieges“

Mervet Al Khosaii, 40 Jahre, aus Basra

„Frei“ – so nimmt Mervet Al Khosaii die Frauen in Deutschland war. Sie ist zum ersten Mal in Köln und Berlin und begeistert, dass Frauen so verschiedene Berufe ausüben können. Die 40-Jährige ist Hausfrau in Basra. Sie schreibt das auf, was ihr Freunde, Verwandte und Nachbarn erzählen. Die richtigen Namen nennt sie nicht. Ihre Kurzgeschichten sind politisch, handeln vom Iran-Irak-Krieg und davon, wofür Frauen im Irak jeden Tag kämpfen müssen. „Ich bin ein Kind des Krieges“, sagt Mervet Al Khosaii über sich.

Ihr erster Leser ist meist ihr Mann, erzählt Al Khosaii. Er weiß, dass sie schreibt und ist stolz auf seine Frau und dass sie deshalb sogar nach Deutschland reisen durfte. Dabei stand er der Schreibwerkstatt anfangs sehr misstrauisch gegenüber. Auch Mervet Al Khosaii traute sich kaum dorthin zu gehen. Sie zog sich einen Nikab an, den sie normalerweise nicht trägt, nur, um nicht erkannt zu werden. Zu groß war ihre Angst, offen ihre Meinung zu sagen.

Mittlerweile geht Mervet Al Khosaii selbstbewusst mit ihren Geschichten um: Sie hat ihre Kurzgeschichten in einem Buch veröffentlicht und sich mit den anderen Frauen vernetzt. Sie postet ihre Geschichten in der Facebook-Gruppe und ist gespannt auf die Kommentare der anderen Frauen.

„Manchmal“, sagt sie, „tut es weh, wenn man sieht, wie Frauen im Irak behandelt werden.“ Das will sie verändern. Dafür wird Mervet Al Khosaii weiter schreiben.

„Wir haben etwas verändert“

Muntaha Jaafar Al-Iedani, 54 Jahre, aus Basra

Muntaha Jaafar Al-Iedani arbeitet als Grundschullehrerin in Basra. Geschrieben hat sie immer schon gerne, vor allem als Kind. Doch als sie älter wurde und selbst Kinder bekam, hat sie darüber vergessen, wie gerne sie eigentlich geschrieben hat. Inzwischen sind fast alle ihrer vier Kinder erwachsen, und die 54-Jährige schreibt wieder. Auch dank der Schreibwerkstatt.

Auch nach der Schreibwerkstatt blieb sie weiterhin mit anderen irakischen Frauen in Kontakt, diskutiert und kommentiert. Nicht nur in der Facebook-Gruppe, sondern auch auf Podien und in Zeitungen. Ihre Kommentare werden von einigen Zeitungen gedruckt, sie wird zu Diskussionen eingeladen und kämpft mutig für die Rechte der Frauen.

Erst vor kurzem hat sie bei einer großen Lesung in Basra mit auf der Bühne gesessen, als einzige Frau. Mehrere Fernsehsender waren da. Einer der Männer in der Diskussionsrunde sagte, unter den Schriftstellern gebe es keine Frauen. Muntaha Jaafar Al-Iedani widersprach und sagte: „Kein Wunder, denn die Männer unterstützen uns nicht.“ Die Reaktionen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Großer Protest auch bei den Männern, Applaus von den Frauen im Saal. Sie wünscht sich noch mehr mutige Frauen, die sich engagieren. Denn für sie steht fest: „Wir haben etwas verändert: Frauen sind nur mehr als ein Name, der irgendwo registriert ist.“

http://elbarlament.org