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Start für bayerische Ankerzentren

In Bayern nehmen sieben sogenannte Ankerzentren ihre Arbeit auf. An dem Vorhaben gab und gibt es viel Kritik.

01.08.2018
Startschuss für bayerische Ankerzentren
Startschuss für Ankerzentren in Bayern © dpa

Asylverfahren im Zeitraffer, alles unter einem großen Dach. Das ist, einfach ausgedrückt, die Idee der sogenannten Ankerzentren. Bis zu 1500 Flüchtlinge sollen in den Einrichtungen jeweils untergebracht werden. Und dort auch bleiben, bis sie wissen, was weiter mit ihnen passiert. Ankunft, Asylantrag, Entscheidung - alles soll sich auf dem Gelände der Ankerzentren abspielen.

Fällt der Asylbescheid positiv aus, wird der jeweilige Antragsteller wie bisher auf eine Kommune verteilt. Wird der Asylantrag dagegen abgelehnt, soll direkt aus dem Ankerzentrum abgeschoben werden. In jedem der sieben Standorte in Bayern, die ab dem 1. August offiziell unter dem Begriff Ankerzentrum laufen, soll es auch Außenstellen der Landesausländerbehörde, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der Bundesagentur für Arbeit und der Verwaltungsgerichte geben, so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor wenigen Tagen gegenüber der Presse.

Etwa ein halbes Jahr soll die Pilotphase für die Ankerzentren (der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Ankunft, Entscheidung und Rückführung) dauern, danach sind erste Evaluierungen geplant. Erst danach müsste die Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage schaffen und wäre dafür auf die Unterstützung der Länder angewiesen. Bei denen aber hält sich die Zustimmung in Grenzen. Neben Sachsen – wo in Dresden ein weiterer Standort entstehen soll – haben bislang nur noch Hessen und Nordrhein-Westfalen Interesse bekundet.

Halten die Ankerzentren, was sie versprechen?

Ein erklärtes Ziel von Ankerzentren ist es, Asylentscheidungen zu beschleunigen. Doch ob das in der Praxis tatsächlich funktionieren wird, daran hat Werner Schiffauer Zweifel. Er ist Vorstandsvorsitzender des Rates für Migration. Zwar sei es teilweise sinnvoll, sämtliche am Gesamtprozess involvierten Behörden vor Ort zusammenzuführen und so eine bessere Kooperation zu gewährleisten.

Aber Schiffauer glaubt nicht, dass nun alles schneller geht: "In eindeutigen Fällen, allen voran bei Syrern, die direkt aus Kriegsgebieten kommen, werden die Verfahren sicher beschleunigt. Aber was sich kaum verändern wird, das sind die schwierigen Fälle, beispielsweise von Geflüchteten aus Afghanistan, die teilweise schon zum zweiten Mal geflohen sind."

Deren Bearbeitung würde künftig genauso viel Zeit in Anspruch nehmen wie bisher, fürchtet er. "Das zeigt die Erfahrung in Manching und Bamberg." In den beiden bayerischen Aufnahmelagern sind schon jetzt deutlich über 1000 Menschen untergebracht. Menschen, die ohne Beschäftigung und Perspektive eng aufeinander hocken – und von der Außenwelt weitgehend isoliert sind. Genau diesen Zustand kritisieren die Flüchtlingsorganisationen.

Bis zu 18 Monate in einer Massenunterkunft

"Zehn Prozent der Bewohner in Manching sind bereits länger als 18 Monate dort", kritisiert der Bayerische Flüchtlingsrat in einer Pressemitteilung. Die Menschen würden in diesen großen Sammellagern unter anderem unter "Arbeitsverboten, Lagerzwang, Entzug von Bargeld, fehlenden Deutschkursen und mangelndem Schulunterricht" leiden, heißt es weiter.

Offiziell soll nach den Worten von Horst Seehofer (CSU) eigentlich niemand länger als anderthalb Jahre in einem Ankerzentrum bleiben. "Die Aufenthaltszeit ist geregelt: Für Familien sechs Monate, für alle anderen 18 Monate", so der Bundesinnenminister im Mai bei einer Rede vor dem Deutschen Bundestag.

Kontraproduktiver Ansatz?

Doch diese Zeitspanne geht nicht nur Hilfsorganisationen zu weit. Kritik am Gesamtkonzept kommt auch von Seiten der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Selbstverständlich werde man sich an die Rechtslage halten, sagt Sprecherin Regina Kreiding im Gespräch mit der DW. "Aber politisch schätzen wir es als kontraproduktiv und nicht förderlich für die Integration ein, wenn man so viele Menschen über eine längeren Zeitraum in so großen Unterkünften unterbringt."

Ähnlich sieht es auch Migrationsforscher Werner Schiffauer. "Ankerzentren dienen der Abschreckung, das ist ganz klar. Es geht darum, Flüchtlingen das Signal zu schicken, dass sie hier nicht unbedingt willkommen sind." Dies würde unter Umständen auch funktionieren, ginge aber auf Kosten von Integration. Denn die erschwerten Bedingungen in einem Ankerzentrum - wie beispielsweise eine umstrittene Residenzpflicht - könnten für die Geflüchteten zusätzlich traumatisierend sein.

Sorge vor Gefängnischarakter

Schiffauer warnt auch vor den Folgen für die gesamte Region, in der ein Ankerzentrum entsteht. Probleme seien hier vorprogrammiert. Ankerzentren würden sowohl von den Bewohnern als auch von der Umwelt eher als Gefängnisse wahrgenommen. "Es ist für eine Stadt sehr belastend, ein Ankerzentrum zu haben. Damit wird ein Fremdkörper hingesetzt, der dann das soziale Klima vergiftet und auch Gegeninitiativen hervorrufen wird."

Auf der anderen Seite rechnet der Vorstandsvorsitzende des Rates für Migration damit, dass die Bewohner ihrerseits versuchen, dem Alltag im Ankerzentrum zumindest zeitweise zu entfliehen. "Es ist zu erwarten, dass gerade junge Männer der Unwirtlichkeit dieser Einrichtungen entgehen wollen, indem sie kleine Fluchten in die Stadt unternehmen. Das ist hochgradig konflikterzeugend. Es wird zu Spannungen mit der Umgebung kommen." Insgesamt, so ist Schiffauer überzeugt, hat das Konzept der Ankerzentren teilweise symbolpolitischen Charakter. "Es soll das Signal in die Mehrheitsgesellschaft geschickt werden: 'Wir tun etwas, wir kriegen das Ganze unter Kontrolle'."

Doch das sei ein Trugschluss, glaubt er. "Hier wird Ordnung versprochen, faktisch aber mehr Unordnung gestiftet." Weil diese Politik mehr Menschen in die Illegalität treibe. Schiffauer verweist auf die Erfahrungen der Schweiz, wo es vergleichbare Einrichtungen bereits gibt. Und auch ernüchternde Erkenntnisse. "Die Hälfte derjenigen, die abgeschoben werden sollten, ist einfach abgetaucht und hält sich jetzt illegal in der Schweiz oder in den Nachbarländern auf." In Manching und Bamberg gebe es laut des bayerischen Flüchtlingsrates jetzt schon eine Abtauch-Quote von zirka 30 Prozent.

Bayerns Alleingang in der Flüchtlingspolitik

Unterdessen hat die bayerische Landesregierung am Freitag (27.7.) den Startschuss für ein weiteres umstrittenes Projekt gegeben. Begleitet von öffentlichen Protesten gründeten Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) in Manching ein eigenes Landesamt für Asyl und Rückführungen. Zwar ist auch hier das Hauptziel die schnellere Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern: Maßnahmen gegen ausländische Gefährder und Straftäter sollen verbessert und Betroffene rigoroser in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Gleichzeitig versprach Ministerpräsident Söder aber auch eine "bessere Balance" zwischen Straftätern und Integrationswilligen. Letztere sollen bei "erbrachter Integrationsleistung" die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zu machen oder sich eine Arbeit zu suchen.

Offiziell nimmt die auch "Bayern-Bamf" genannte Behörde am 1. August ihre Arbeit auf. Am selben Tag also, an dem aus den Aufnahmeeinrichtungen in Manching, Bamberg und fünf anderen bayerischen Standorten offiziell Ankerzentren werden.