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Bundesregierung will Klimapolitik justieren: Worum geht es?

Bisher verfehlt Deutschland seine Klima-Ziele. Nun soll das Klimakabinett nachsteuern. Was sagen Experten dazu?

Gero Rueter , 20.09.2019
Die Bundesregierung bekennt sich zu den Klimazielen von Paris.
© dpa

Dürresommer, Hitzewellen und sterbende Wälder haben viele Bürger in Deutschland aufgeschreckt. Die Klimabewegung "Fridays for Future" macht Druck und fordert, dass die Regierung entschlossen handelt, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt in einem Video-Podcast ein, dass "wir leider noch nicht so gut sind wie wir sein müssten" und bezeichnet die anstehenden Herausforderungen als "einen wirklichen Kraftakt". In den "letzten 50 Jahren haben sich Stürme, Hitzeperioden und Überschwemmungen auch in Deutschland verdreifacht", so Merkel. Und jetzt müssen "wir hier zuhause unsere Hausaufgaben machen. Das ist die Aufgabe vor der wir stehen".

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1. Was will die Regierungskoalition?

Zusammen mit ihren Ministern will Merkel am Freitag (20.9.) im sogenannten Klimakabinett über Maßnahmen entscheiden. Die beiden großen Regierungsparteien CDU und SPD haben dazu Konzeptpapiere geschrieben. Darin bekennen sie sich zum Pariser Klima-Abkommen und zur Verantwortung, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei, möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Das Ziel der Regierung: den Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland bis 2030 um ein Drittel zu senken, von derzeit 866 Millionen Tonnen jährlich auf rund 560 Millionen Tonnen.

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2. Was sagen die Experten?

Für die Einhaltung der Pariser Klimaziele reicht die angestrebte Reduktion von Treibhausgasen von einem Drittel bis 2030 nicht aus. Das Beratungsgremium der Bundesregierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), fordert deshalb in einem offenen Brief effektivere Maßnahmen.

"Deutschland ist im Moment nicht auf dem Pfad die Pariser Klimaziele zu erfüllen", erklärt Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Mitglied im Sachverständigenrat. "Das liegt daran, dass wir die eigenen Ziele für 2020 nicht erfüllen und wir in der Vergangenheit zu wenig gehandelt haben die Minderung von Emissionen wirklich umzusetzen. Das führt dazu, dass wir jetzt mehr handeln müssen, wenn wir auf den Pfad zurückkommen wollen."

Für den Klima- und Energieexperten Volker Quaschning ist es "fatal", dass die Bundesregierung nur über ein selbstgestecktes Klimaziel aus der Vergangenheit berät. "Dieses Ziel stammt aus der Zeit vor dem Pariser Abkommen. Und damals galt noch eine Klimaerwärmung zwischen zwei und 2,5 Grad als akzeptabel. Die Bundesregierung hat ihr eigenes Ziel nicht an das Pariser Klimaziel angepasst. Das haben wir schon sehr oft angemahnt."

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3. Ein CO2-Preis - aber wie?

Das Klimakabinett berät auch über die Einführung eines CO2-Preises, der als ein wichtiges Instrument im Klimaschutz gilt.

"Wer CO2 spart, der fährt besser." sagt etwa CDU-Klimaexperte Andreas Jung. Die Parteien wollen auch einen Preis für CO2 in dem Bereichen Gebäudeheizung und Verkehr einführen. Damit würde das Einsparen von Energie und klimafreundliche Energienutzung belohnt. Die Einnahmen aus der CO2-Abgabe sollen die Bürger an anderer Stelle zurückbekommen. Doch es gibt Uneinigkeit über das System, ob über eine CO2-Steuer oder einem ausgeweiteten Emissionshandel.

Die Energieökonomin Kemfert empfiehlt jetzt die schnelle Einführung einer CO2-Steuer ab Januar 2020 mit anfangs 35 Euro je Tonne CO2. Zügig solle diese Steuer dann bis 2023 auf 80 Euro steigen. Die Idee der Bepreisung von CO2 in den Bereichen Mobilität und Wärme im Rahmen des europäischen Emissionshandels lehnt Kemfert derzeit ab, denn das brauche zu viel Zeit. "Das würde uns noch mal wieder wertvolle Jahre kosten. Und diese Zeit haben wir nicht, um die Minderung der Emissionen zu erreichen", so Kemfert gegenüber der DW.

Mehr dazu: Welcher CO2-Preis ist fair? und EU: Mit Steuern und Zöllen gegen Kohlendioxid

4. Welcher Mix für Klimaschutz?

Ausser einem CO2-Preis sind viele weitere Maßnahmen für die Klimaziele erforderlich, da sind sich die Experten der Regierungskoalition einig. "Wir brauchen einen Instrumentenmix aus öffentlichen Investitionen, Ordnungsrecht und einer nachhaltigen Ausgestaltung des Steuer- und Abgabensystems", heißt es entsprechend im Beschluss des SPD-Präsidiums für mehr Klimaschutz. Doch welche Maßnahmen gut und schnell wirken und jeweils sinnvoll sind, ist umstritten.

Im Verkehrssektor müssen die Emissionen schnell sinken und mittelfristig auch auf Null gehen. Die Energiewissenschaftler Kemfert und Quaschning dafür, dass der Verkauf von PKW mit Verbrennungsmotor ab 2025 deshalb sehr stark eingeschränkt werden muss, da diese Fahrzeuge auch noch 10 Jahre später fahren werden und mit ihren Abgasen die Klimaschutzziele gefährden. Ob Verbote, hohe Steuern oder EU-Grenzwertvorgaben eingesetzt werden sollen, um das Ziel zu erreichen, müssen die Politiker entscheiden.

Mehr dazu: Sachverständigenrat der Bundesregierung fordert Elektroquote für Autoindustrie

Eine frühzeitige Weichenstellung sei zum Beispiel auch im Gebäudesektor notwendig. Öl- und Gasheizungen sind rund 20 Jahre in Betrieb und aus Klimaschutzgründen ist deshalb der Verkauf und Einbau schon heute nicht mehr sinnvoll. "Man müsste jetzt im Prinzip Ölheizungen am besten sofort verbieten und die Gasheizung ziemlich schnell verteuern, damit man diese Systeme aus dem Markt kriegt. Dänemark und Norwegen haben das ja auch gemacht", so Quaschning.

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5. Wie viel Erneuerbare werden gebraucht?

Im Grundsatz einig sind sich die Regierungsparteien mit den Experten, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder stärker vorangetrieben werden muss, um Kohle, Öl und Gas in allen Bereichen zu ersetzen und so die Klimaziele im Energiesektor zu erreichen. Die Technik ist vorhanden, sie ist inzwischen kostengünstig, und es gibt Speichertechniken für die Erneuerbare Energien.

"Wenn wir bis 2035 klimaneutral werden wollen, dann bräuchten wir jetzt den Zubau von etwa 20 Gigawatt Solarenergie pro Jahr", so Quaschnig gegenüber der DW. Dieses Ausbautempo wäre etwa dreimal so hoch wie 2012, als der Ausbau der Solarkraft in Deutschland noch blühte. Technisch sei das auch wieder möglich. Problematisch könnte jedoch der hohe Bedarf an Arbeitskräften sein, sagt Quaschning. "Wenn wir den Ausbau von Photovoltaik so hochziehen, dann brauchen wir zusätzlich über 200.000 Leute, um das bewerkstelligen zu können."

Auch der kräftige Ausbau von Windkraftanlagen wird für den Klimaschutz in Deutschland gebraucht. In Deutschland boomte er jahrelang und zwischen 2014 und 2017 wurden Windanlagen mit einer Kapazität von vier und 5,5 Gigawatt pro Jahr an Land aufgestellt. Durch veränderte Gesetze brach der deutsche Windausbau jedoch stark ein und liegt in diesem Jahr bei voraussichtlich unter einem Gigawatt. Laut Quaschning sollte Deutschland zu den früheren Ausbauraten zurückkehren und diese für die Klimaziele noch moderat steigern, "auf sieben bis acht Gigawatt pro Jahr."