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„Die Energiewende in Japan ist machbar“

Ein Interview mit dem Energie- und Klimaforscher Peter Hennicke über die Energiewende in Deutschland und Chancen in Japan.

27.12.2012
© Wuppertal-Institut

Herr Professor Hennicke, Sie waren Ende November in Japan und haben Vorträge über die Energiewende in Deutschland gehalten. Wie war die Resonanz?

Das Interesse an der Energiewende ist in Japan sehr groß. Ich habe an vier Universitäten in Tokyo und Osaka Vorträge gehalten und Interviews für große japanische Tageszeitungen gegeben. Professoren, Studenten und Journalisten haben intensiv und kritisch nachgefragt. Das ist keine Selbstverständlichkeit in Japan. Das Hauptinteresse richtet sich auf die angeblich exorbitanten Kosten der Energiewende, auf den vermuteten Import von Atomstrom aus Frankreich, auf die postulierte Unvereinbarkeit von Ausstieg und Klimaschutz sowie auf die scheinbar mangelnde Versorgungssicherheit durch die Systemintegration fluktuierender Photovoltaik- und Windstromeinspeisung. Es ist wichtig, diesen Fehlurteilen mit wissenschaftlich gut fundierten Informationen entgegenzutreten. Vor dem Hintergrund von Fukushima war zudem die Verdeutlichung notwendig, dass die Bundesregierung nicht nur eine „Stromwende“ anvisiert, sondern dass die „Energiewende“ aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes auch den Wärme- und Verkehrssektor einbezieht.

Deutschland hat nach „Fukushima“ die Energiewende ohne Wenn und Aber beschlossen. Japan ist etwas zögerlicher. Warum?

In Deutschland ist eine jahrzehntelange Kontroverse über die Atomenergie geführt worden. Massive Protestbewegungen haben das Thema in Medien und Öffentlichkeit wach gehalten. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz und eine „stille Revolution“ auf dem Land mit „100% Erneuerbare-Energie-Regionen“ haben schließlich das Fundament für den raschen Ausbau grüner Stromerzeugung geschaffen. Fukushima war in Deutschland nur der Zündfunke. Ganz anders in Japan: Fukushima bedeutet eine nationale Tragödie. Sie traf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft weitgehend unvorbereitet, was konkrete Alternativen und Ausstiegsstrategien angeht. Japan steht daher am Anfang eines Weges, auf dem wir in Deutschland schon ein gutes Stück weiter sind.

Wie vergleichbar beziehungsweise wie unterschiedlich sind die Voraussetzungen für eine Energiewende in Deutschland und Japan?

Prinzipiell ist eine Energiewende in Japan ebenso machbar wie in Deutschland. Neben den schon angesprochenen sozioökonomischen Voraussetzung gibt es allerdings weitere strukturelle Hemmnisse. Beispielsweise ist die Atomenergie derzeit nahezu die einzige „nationale“ Energiequelle bei 80 Prozent Energieimportabhängigkeit. Zudem existiert kein transnationaler Stromverbund wie in Europa, der durch den Stromhandel hilft Kosten zu senken. Diesen Nachteilen stehen einige günstige Faktoren entgegen. So gibt es große Windkraftpotenziale im Offshore-Bereich, gute Onshore-Potenziale bestehen in Hokkaido. Darüber hinaus ist vorteilhaft: eine intensivere Sonneneinstrahlung für den Ausbau von Photovoltaik, hochentwickelte ICT-Kompetenz und erfolgreiche Industriepolitik für Hochtechnologie und Fahrzeugbau. Besonders eindrucksvoll war 2011/2012 die Durchführung des nationalen Stromsparprogramms „Setsuden“, als alle 54 Atomreaktoren vom Netz genommen wurden. Bis heute sind erst zwei KKWs wieder in Betrieb. Die erzielten Einsparquoten von 15 Prozent haben nicht nur eindrucksvoll die kollektive Einsparbereitschaft in Japan demonstriert, sondern auch vielfach ungenutzte Stromsparpotenziale aufgedeckt. Selbst der Laie sieht sie in Japan an ineffizienten Gebäuden, der exzessiven Lichtreklame oder auch an der Unzahl öffentlicher Getränkeautomaten.

Ein Thema Ihrer Vorträge lautete „Technologische Innovation zur Unterstützung der Energiewende“. Was sind die größten Herausforderungen?

Ich habe mich in Japan aus naheliegenden Gründen auf die Stromwende konzentriert. Hier liegt die größte Herausforderung beim Umbau des Strommarkts für die Aufnahme und versorgungssichere Bereitstellung rasch wachsender Anteile fluktuierender Stromerzeugung aus Wind- und Photovoltaik-Anlagen. Derzeit wird in Deutschland für das Jahr 2020 ein Anteil von 50 Prozent prognostiziert, das offizielle deutsche Regierungsziel liegt bei 35 Prozent. Wind- und Photovoltaik-Kapazitäten betragen jeweils etwa 30 GW, eine historisch einmalig rasche Markteinführung grüner Stromerzeugung! Die Bereitstellung der etwa 35-40 GW rund um die Uhr nachgefragten Kapazität wird durch den Einspeisevorrang von Wind- und Photovoltaik-Strom stark wetterabhängig und bedarf der hochflexiblen Absicherung. Kostengünstige Flexibilitätsoptionen zur Garantie der Versorgungssicherheit sind für das neue Strommarktdesign zentral. Es gibt eine Vielzahl von technischen und institutionellen Innovationen für diese Aufgabe: Ausbau von Stromautobahnen, Kapazitätsmärkte mit mehr Einsatzflexibilität traditioneller Kraftwerke, dezentrale, nationale und transeuropäische Speichersysteme, Lastverschiebung vor allem in Industrie und Gewerbe, aber auch bei Haushalten, Smart Grids, Power-to-Gas- oder Power-to-Heat-Systeme, Einbindung von E-Mobilität in Flexibilitätskonzepte, um nur einige Beispiele zu nennen. Hocheffiziente neue Steuerungs- und Regelungssysteme sind bei alledem von zentraler Bedeutung. Hier wird Deutschland zum weltweit führenden Pionier einer völlig neuen Systemtechnik.

In Deutschland wird vor allem die Leitungs- und Speichertechnik diskutiert. Sind Lösungen absehbar?

Speicher sind heute noch relativ teure Flexibilitätsoptionen. Ein optimierter Netzausbau ist weit kostengünstiger. Insofern sollte zwar durch massive Forschung und Entwicklung an effizienten und kostengünstigen Speicherkonzepten weiter gearbeitet werden, aber prioritär der Netzausbau rasch vorangetrieben werden. Selbst wenn dabei, wie die Dena-Netzstudie postuliert, 3800 Kilometer neue Hochspannungstrassen notwendig werden, liegt dieser Ausbau noch um den Faktor Acht geringer als seinerzeit beim Netzausbau für die Atomenergie.

Kurz zu Ihnen: Sie gingen 2008 in den Ruhestand und werden im Januar 71 Jahre alt. Was ist Ihr vordringlichster Wunsch in Sachen Klima, Umwelt, Energie.

„Ruhestand“ heißt, dass ich seit 2008 keine Pflichten mehr als Präsident des Wuppertal Instituts habe. Ich kann mich daher ganz auf die Kür, das heißt auf spannende Projekte, Vorträge und Publikationen konzentrieren. Es ist ein großes Privileg, produktiv und „unruhig“ alt werden zu dürfen. Mein Wunsch für Menschen jeden Alters ist: Sich nicht lähmen zu lassen von den geringen Fortschritten der zähen, globalen Klimadiplomatie, sondern auf persönlicher, regionaler und nationaler Ebene die Energiewende massiv voranzutreiben. Für mehr Lebensqualität für alle.

Interview: Martin Orth