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Wenn Tiere Leben bedeuten

Wie die deutsche Nichtregierungsorganisation „Tierärzte ohne Grenzen“ Fluchtursachen in Afrika bekämpft.

Martina Propson-Hauck, 02.11.2017
Tierärzte ohne Grenzen in Äthiopien
Tierärzte ohne Grenzen in Äthiopien © Cornelia Heine

Cornelia Heine, Gerald Gerlach und Wilhelm Dühnen landen im März 2017 in Semera, Äthiopien, in der Hauptstadt der sehr trockenen Halbwüstenregion Afar. Zwei Millionen Menschen leben dort, die meisten von ihnen als Wanderviehhirten. Die drei Deutschen gehören oder gehörten zum Team der Tierärzte ohne Grenzen (ToG), die in Afar sechs Hilfe-Projekte betreuen. Sie wollen sich ein Bild davon machen, ob und wie diese funktionieren. Afar ist eine der heißesten Regionen der Erde mit oft weniger als 400 mm Niederschlag pro Jahr und Temperaturen von 50 Grad Celsius und mehr. Die Helfer treffen dort  Esmael, den lokalen Projektmanager der Organisation. Er hat das erste Projekt in dieser Region aufgebaut, mit dem Tierärzte ohne Grenzen zugleich die erste ausländische NGO dort war.

Tierärzte ohne Grenzen in Äthiopien
Kind mit Ziege in Äthiopien © Cornelia Heine

Die Region im Nordosten Afrikas hatte 2016 mit der stärksten Dürre seit 30 Jahren zu kämpfen. Mehr als 500.000 Tiere sind allein in Afar an Wasser- und Futtermangel, aber auch an Infektionskrankheiten gestorben, weil sie ohnehin durch die Dürre stark geschwächt waren. Und wenn die Tiere sterben, verlieren auch die Menschen ihre Lebens- und Nahrungsgrundlagen. Zudem wütet in Äthiopien wie in anderen afrikanischen Ländern die „Pest der kleinen Wiederkäuer“ (PPR). Das ist eine sehr ansteckende Virusinfektion und in der Region eines der größten Probleme. Viele Schafe und Ziegen sterben daran, die dezimierten Herden bieten auch den Menschen immer weniger Überlebensmöglichkeiten.

Die deutsche Hilfsorganisation, so berichtet Heine, bildet im Kampf gegen die Krankheit sogenannte „Community Animal Disease Reporters“ aus, die den Ausbruch früh erkennen und melden. Dann organisiert der Verein sofort Impfungen der betroffenen Herden. Damit sind sie Teil eines globalen Bekämpfungsplans zur Ausrottung dieser Tierseuche, die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) haben ihn erstellt. Auch die Pocken und die Rinderpest sind durch so ein Programm ausgerottet worden. Mit der Ausbildung von Tiergesundheitshelfern in Ostafrika waren Tierärzte ohne Grenzen bereits in den 90er Jahren an der Ausrottung der Rinderpest stark beteilig.

Ein wichtiger Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung

Insgesamt konnten die Tierärzte im vergangenen Jahr 3,2 Millionen Menschen in Afrika helfen, unter anderem dadurch, dass sie 6,5 Millionen Tiere entwurmt und geimpft haben. Damit leistet die Nichtregierungsorganisation nicht nur einen Beitrag zur Existenzsicherung der Bevölkerung, sondern trägt auch zur Fluchtursachenbekämpfung bei. „Wir arbeiten mit Menschen zusammen, deren Lebensunterhalt auf Tierhaltung und der Herstellung tierischer Produkte beruht oder eng damit verknüpft ist“, sagt eine Sprecherin der Organisation. Dorfgemeinschaften, Frauengruppen,  Viehhirten, Fischereigemeinden und örtliche Behörden suchen den Rat der Tierärzte, die mehr als 1300 örtliche Tiergesundheitshelfer in die verschiedenen Gebiete entsenden.

Tierärzte ohne Grenzen in Äthiopien
Impfung von Ziegen in Äthiopien © Christoph Gödan

In den nördlicheren Regionen Äthiopiens ist die Landschaft karg, besteht nur aus Vulkangestein. Hier leben die Menschen in typischen Rundhütten. Als die Besucher aus Deutschland vorbeikommen, bitten sie die Bewohner dringend um Wasser, die nächste Wasserstelle ist sieben Kilometer entfernt.  Lastwagen der Regierung bringen seit der großen Dürre Wasser in entlegene Dörfer, das dann in Betonbehälter gefüllt wird. „Doch nicht überall kommt die Hilfe an“, berichtet das Team. Deshalb kümmert sich Tierärzte ohne Grenzen in seinen Projekten nicht nur um die Impfung von Tieren, sondern auch um die Wasserversorgung der Menschen. Mit einer sogenannten Birka, einem Wasserauffangbecken aus Stein, kann abfließendes Wasser während der Regenzeit gesammelt und so gespeichert werden. Der Bau eines solchen Beckens kostet 7000 Euro. Der Verein unterstützt außerdem den Bau von Wasserleitungen, lässt defekte Wasserstellen instand setzen und schafft  solargetriebene Pumpsysteme an.

In einer weiteren Region des Landes, in dem 80 verschiedene Volksgruppen leben, oft mit eigener Sprache und Kultur, hatte das Projektteam zwei Monate vor dem Besuch der deutschen Delegation Ziegen an Familien vergeben, die ihre Tiere durch die Dürre verloren hatten. „Ziegen und Familien erfreuen sich bester Gesundheit und in den kleinen Ziegenherden hat es sogar schon Nachwuchs gegeben“, berichten die Besucher zufrieden.

Auch die Konservierung des Bodens ist ein Projekt der engagierten Tierärzte und ihrer Helfer und Unterstützer. Denn starke Erosion führt zum Verlust des kostbaren Weidelandes. In sogenannten  Cash-for-Work-Programmen arbeiten oft mehrere hundert Menschen der örtlichen Gemeinde. „An einer spärlich bewachsenen Bergkuppe kann man in regelmäßigen Abständen Steinwälle sehen. Bei Niederschlag verlangsamen diese die Abflussgeschwindigkeit des Wassers, damit der Boden mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. So wird der Hügel in wenigen Jahren wieder mit  Gräsern und Sträuchern bewachsen sein“, erläutert Heine eines dieser Projekte.

Die Organisation Tierärzte ohne Grenzen hilft seit 1998 am Horn von Afrika. Die Verwaltung sitzt in  Berlin, ein zentrales Regionalbüro steht in Nairobi. In Äthiopien, Kenia, Somalia, Sudan und Südsudan unterhält die NGO Büros und Niederlassungen in den einzelnen Projektgebieten. 2016 hatte die Organisation für ihre Arbeit 6,7 Millionen Euro zur Verfügung, gespeist aus Zuschüssen von Entwicklungshilfefonds der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und Australiens sowie der kirchlichen Diakonie. Ein Teil der Projekte wird auch aus eigenen Spendenaktionen finanziert, etwa einer jährlichen Impfaktion, an der sich 1250 Tierärzte in Deutschland beteiligen. Sie spenden an einem Tag des Jahres die Hälfte ihrer Einnahmen aus Impfungen.