Zum Hauptinhalt springen

Deutsch-amerikanische Innovationen für die Gesundheit

In der Pharma- und Biotech-Industrie gibt es eine Fülle transatlantischer Kooperationen.

Klaus Max Smolka, 13.01.2016

Draußen an der großen Ausfallstraße gen Norden tut sich gerade viel in Darmstadt. Wer aus der südhessischen Stadt herausfährt, auf der Frankfurter Straße in Richtung des großen Städtenachbarn, blickt links auf die Labors und Werkshallen des Arznei- und Chemiekonzerns Merck. Bis vor Kurzem erhob sich hier noch eine markante Glaspyramide, aber der Konzern, der auch im Leitindex Dax der deutschen Börsenelite zu finden ist, hat sie niedergerissen. Ein „Innovationszentrum“ entsteht nun, soeben ist der Grundstein gelegt, rechtzeitig zum 350-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2018. Dazu ein neuer Markenauftritt, ein neues Logo in wilden Farben: Das Unternehmen, das sich gerne als ältestes Pharma- und Chemieunternehmen der Welt bezeichnet, tritt momentan mit großem Selbstbewusstsein auf.

Dabei hat es eine beachtliche Krise hinter sich, jedenfalls in seiner größten Sparte, dem forschungsgetriebenen Geschäft mit patentgeschützten Originalpräparaten. Fast drei Jahrzehnte lang forschten und entwickelten die Wissenschaftler vergebens, brachten keinen eigenen neuen Wirkstoff auf den Markt. Doch das soll sich bald ändern: mit Hilfe auch aus den Vereinigten Staaten. Merck schloss mit dem dortigen Marktführer Pfizer eine Kooperation, die eine lukrative Krebsarznei aus den eigenen Labors voranbringen soll. Avelumab heißt sie und gehört zur Klasse der immunonkologischen Präparate: jener neuartigen Medikamente, die das körpereigene Abwehrsystem des Patienten animieren sollen, gegen den Tumor zu kämpfen.

Arbeit am Durchbruch

Reüssiert das Mittel, soll es die Wende einleiten in der Pharmaforschung von Merck; und die Chancen stehen nicht schlecht: Vor Kurzem verlieh die amerikanische Zulassungsbehörde FDA der experimentellen Arznei den Status eines potenziellen „therapeutischen Durchbruchs“, der ein beschleunigtes Zulassungsverfahren vorsieht. Das gilt für eine sehr spezielle Tumorvariante, könnte aber der Anfang für breitere Anwendungen sein.

Amerika spielt eine beachtliche Rolle für die Forschung und Entwicklung der deutschen Pharmaindustrie. Merck hatte vor mehr als zehn Jahren schon einmal auf Ressourcen dort zurückgegriffen: Das Unternehmen kaufte sich von Imclone Rechte an der Krebsarznei Erbitux ein und führte sie zur Marktreife. Imclone hätte das alleine wohl nicht geschafft, während Merck so den Nukleus eines ganz neuen Forschungsfeldes aufbaute. Das half, die Flaute der eigenen Labors ein wenig zu kaschieren. Erbitux ist heute kommerziell gesehen das zweitwichtigste Medikament des Konzerns, mit gut 900 Millionen Euro Jahresumsatz. Seine beiden zentralen Projekte stemmte oder stemmt die Pharmasparte von Merck also in Zusammenarbeit mit Amerikanern.

Vielfalt der Kooperationen

Kein Wunder, sind die USA doch heute die führende Nation im Pharmageschäft. Auch der Merck-Konkurrent Bayer hat sich mit Amerikanern zusammengeschlossen, etwa beim Krebsmittel Nexavar. Die Labors in Wuppertal fanden den Wirkstoff, aber ausentwickelt wurde er zusammen mit Onyx. Mit der Münchner Einheit des amerikanischen Konzerns Amgen vereinbarte Bayer, einen neuen Antikörper zu entwickeln und zu vermarkten – auch dies wieder eine Allianz gegen den Krebs.

Forschungsallianzen sind in der Pharmaindustrie gang und gäbe: So verteilen sich die enormen Kosten und Risiken bei der Entwicklung neuer Arzneien. Boehringer Ingelheim – der zweitgrößte deutsche Pharmakonzern, hinter Bayer und vor Merck – tüftelt seit 2011 zusammen mit Eli Lilly an einem Sortiment von Diabetes-Mitteln. Und auch Biotechunternehmen schauen gerne Richtung USA, um die Kräfte zu bündeln. Von dort kommt ein beträchtlicher Teil des Geldes, um das Biotechgeschäft in Deutschland überhaupt zu finanzieren, denn deutsche Investoren scheuen nach dem Platzen der Biotech-Blase um die Jahrtausendwende das Risiko. Biontech aus Mainz wartete im Mai 2015 mit einem Paukenschlag auf: Von Eli Lilly erhielt das Unternehmen 60 Millionen Dollar im Zuge einer Krebsallianz. Curevac, ein Tübinger Entwickler von Krebsmedizin und Impfstoffen, sicherte sich im Frühjahr eine 52-Millionen-Dollar-Spritze von der Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates und dessen Frau Melinda. Anfang November 2015 legte Curevac nach, sammelte noch einmal 100 Millionen Euro von institutionellen Investoren ein – die größte Summe, die eine deutsche Biotechgesellschaft je auf einen Schlag außerhalb der Börse bekommen hat. Und wieder kommt das Geld zu einem Gutteil aus Amerika. Evotec aus Hamburg arbeitet wiederum mit dem amerikanischen Nationalen Krebsinstitut zusammen. Beide verwalten gemeinsam eine Sammlung möglicher Wirkstoffe: Erst im Oktober 2015 wurde ein entsprechender Vertrag um fünf Jahre verlängert. ▪