Deutsch-amerikanische Zukunftsfabrik
Berlins Start-up-Szene boomt und zieht US-Investoren an.

Es ist nicht lange her, da war Eric Schmidt zu Besuch in Berlin. Der Google-Chef wollte dabei sein bei der Eröffnung der „Factory“ – eines neuen Start-up-Zentrums in Berlin-Mitte, in das Google über drei Jahre hinweg eine Million Euro investieren will. Normalerweise schaut die deutsche Gründerszene mit großen Augen nach Amerika. Dort stellen Investoren Venture Capital in Größenordnungen zur Verfügung, von denen Start-ups in Deutschland nur träumen können. Dort sind Internetgiganten wie Facebook, Google, Twitter oder Amazon entstanden. Dort befindet sich mit dem Silicon Valley die Herzschlagkammer der Gründerwelt. Nun aber zeigt sich, dass auch Amerika nach Deutschland blickt – nach Berlin, das deutsche Epizentrum der Start-up-Szene.
Bei seinem Auftritt in der Factory sagte Schmidt, dank der Potenziale der digitalen Welt sei ein neues deutsches Wirtschaftswunder greifbar. Google werde weiterhin neu entstehende Internetfirmen unterstützen. „Es steckt in unserer DNA, digitales Unternehmertum zu fördern.“ Für die Berliner Gründer hatte er den Rat: Um ein Global Player zu werden, müssten sie den Mut haben, global zu denken. „Ihr müsst eure verrückten Ideen im Kontext denken: Ich mache etwas von Berlin aus für die ganze Welt.“
Neu ist das der Berliner Szene nicht. Vor allem der Blick nach Amerika ist eingeübte Praxis. Die drei Brüder Alexander, Marc und Oliver Samwer etwa haben sich mit ihrer Beteiligungsfirma Rocket Internet darauf spezialisiert, erfolgreiche Geschäftsmodelle aus den USA für andere Märkte zu kopieren. Mit Erfolg: Gerade erst ist der Online-Händler Zalando, den die Samwers groß gemacht haben, an die Börse gegangen; kurz darauf folgte der Start-up-Entwickler Rocket Internet. Beteiligt an der Firma ist auch der amerikanische Investor Access Industries. Manchmal aber ist es auch umgekehrt, da kopieren die Großen in Amerika die Kleinen aus Berlin: Das Berliner Start-up Taptalk etwa hat eine App entwickelt, mit der man sehr einfach Bild- und Video-Nachrichten aufnehmen und verschicken kann, die sich nach dem ersten Ansehen selbst zerstören. Das fanden Facebook und Instagram offenbar so interessant, dass sie schnell eigene Apps bastelten, die Taptalk sehr stark ähneln.
Ohne amerikanische Investoren wäre der Start-up-Boom in Deutschland kaum denkbar. Zwar gibt es inzwischen ein gutes Fördernetz für junge Start-ups; auch zahlreiche Inkubatoren, also „Brutkästen“ für Jungunternehmer helfen Gründern bei den ersten Schritten – in Berlin etwa der „Hubraum“ der Deutschen Telekom oder „Plug and Play“ des Medienunternehmens Axel Springer. Wenn die Firmen aber in die Wachstumsphase kommen und mehrstellige Millionenbeträge brauchen für ihre Expansion, stehen sie in Deutschland oft vor einem Problem. Denn der Risikokapitalmarkt ist verglichen mit Amerika weiterhin stark ausbaufähig. „In den USA kommt das Kapital aus Sammelstellen, die in Deutschland nicht in Start-ups finanzieren dürfen, wie Versicherungen oder Pensionsfonds“, sagt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups. Außerdem gebe es in den USA fast im Wochenrhythmus Börsengänge junger Firmen. Auch Deutschland brauche wieder ein Börsensegment für Start-ups, damit die Firmen nicht mehr in die USA abwanderten, um sich dort über einen Börsengang oder auf anderen Wegen Geld zu beschaffen. „Die amerikanischen Investoren sind eine große Bereicherung für uns. Sie sind Partner, Investoren – und oft übernehmen sie deutsche Firmen“, sagt Nöll. Das notwendige Wachstumskapital für die deutschen Start-ups brächten derzeit fast ausschließlich amerikanische Investoren mit. „Dann werden die deutschen Unternehmen aber auch schnell mal selbst amerikanisch und verschwinden in die USA“, gibt Nöll zu bedenken.
Die internationale Szene sei inzwischen so aufmerksam geworden gegenüber Berlin als Start-up-Standort, dass sie viel Geld investiere, sagt Sven Ripsas, Professor an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. „Aber die deutschen Start-ups beklagen sich trotzdem, dass sie nur ein Siebtel bis ein Fünftel von dem bekommen, was amerikanische Jungunternehmen einsammeln.“
In der von Google geförderten Factory, die im Juni ihre Türen öffnete, arbeiten derzeit rund 20 Unternehmen, deutsche wie amerikanische. Der US-Kurznachrichtendienst Twitter etwa ist mit einer kleinen Dependance vertreten, das Berliner Vorzeige-Start-up Soundcloud ebenfalls. Soundcloud hat inzwischen weltweit rund 250 Millionen Nutzer. Der Marktwert der Musikplattform wird auf 700 Millionen Euro geschätzt – und ausgerechnet Twitter, dem neuen Büronachbarn in der Factory, wurde bereits ein Interesse an dem Berliner Unternehmen nachgesagt. Noch eine interessante deutsch-amerikanische Factory-Geschichte: Einer der Mieter ist die Firma 6Wunderkinder, die für ihre To-do-Listen-App „Wunderlist“ als erstes Berliner Start-up Geld von dem berühmten US-Risikokapitalgeber Sequoia Capital bekam – der von Apple über Instagram bis WhatsApp eigentlich überall mitgemischt hat, wo eine Idee groß und wertvoll geworden ist. 19 Millionen Dollar sammelte 6Wunderkinder zuletzt ein, den Großteil davon bei Sequoia Capital. Auch die Macher der Fußball-App Onefootball haben schon Geld aus Amerika bekommen; 5 Millionen Euro vom Twitter-Investor Union Square Ventures. Und das Berliner Reiseportal GetYourGuide sammelte zuletzt 25 Millionen Dollar von ihren US-Risikokapitalgebern Spark Capital und Highland Capital ein – nachdem diese zuvor schon 14 Millionen Dollar investiert hatten.
Mehr als die Hälfte des Risikokapitals, das in Deutschland von in- und ausländischen Unternehmen vergeben wird, fließt nach Berlin. Deutsche und ausländische Wagniskapitalgeber haben nach einer Studie des Branchenverbands Bitkom 2012 in Berlin 133 Millionen Euro in Start-ups investiert, im zweitplatzierten Baden-Württemberg waren es gerade einmal 24,9 Millionen. Aber, so der Start-up-Bundesverband, die Summen decken den Kapitalbedarf noch bei Weitem nicht. Die Türen in Berlin stehen weit offen für amerikanische Investoren. ▪
Henrike Roßbach