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Gründer mit Teamgeist

Migranten in Deutschland gründen selbstbewusst und schaffen oft weitere Arbeitsplätze, wie mehrere neue Studien zeigen. Ihre Ideen sind dabei vielfältig. Wir stellen zwei Gründer vor.

Sarah Kanning, 05.10.2016
© Sarah Kanning - Hiba al-Bassir

In Hiba al-Bassirs kleinem Laden duftet es nach Holz und Olivenölseife. Die Syrerin setzt sich an einen der wuchtigen Gartentische, die sie hier am Stadtrand von Berlin zum Verkauf anbietet, und gießt Wasser in zwei Gläser. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass sie mit ihrer Familie von Damaskus nach Deutschland flüchten konnte. Ihr Möbelgeschäft mit den von ihrem Mann entworfenen Stühlen, Tischen und Bänken und die Reitschule musste sie zurücklassen.

Doch Hiba al-Bassir lässt sich nicht unterkriegen: Schon in den 1990er-Jahren machte sie in Deutschland eine Ausbildung als Restauratorin und lernte Deutsch. Für sie und ihren Mann Khaled Karimo war klar, dass sie lieber ein Unternehmen gründen wollten, als das Etikett „Flüchtling“ zu tragen. „Wir sind Menschen, die immer etwas geschafft haben“, sagt Hiba al-Bassir. „Wir wollen die Zeit hier nutzen.“ Bei Verwandten und Freunden liehen sie sich Geld, dann suchten sie einen Spediteur, der ihre Möbel von Syrien nach Deutschland brachte.

Erst kürzlich hat der Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) belegt, dass Hiba al-Bassir und Khaled Karimo keine Ausnahme sind: Etwa jeder fünfte Gründer in Deutschland hat eine ausländische Staatsbürgerschaft oder hat die deutsche Staatsbürgerschaft erst nach der Geburt angenommen; Migranten gründen lieber als Nicht-Migranten. Ihre Quote von 1,86 Prozent liegt fast zwei Zehntel höher als die allgemeine Gründerquote. Nun sind Existenzgründungen sicher nicht immer ganz freiwillig und entstehen oft auf Grund schlechterer Arbeitsmarktchancen. Doch die KfW hat ermittelt, dass Migranten generell risikobereiter sind und mehr entsprechende Rollenvorbilder haben. „Migranten gehen ihre Gründungsprojekte offensiver an, selbst wenn die Gründung eine Entscheidung aufgrund fehlender Erwerbsalternativen war“, sagt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. „Sie leisten einen wichtigen Beitrag zum Gründungsgeschehen in Deutschland.“

Nizar Rokbani erinnert sich gut daran, wie seine Mutter ihm einst den Ausbildungsvertrag von Osram zerriss – „dafür sind wir nicht nach Deutschland gekommen. Du machst Abitur“, habe sie gesagt. Heute dürfte Rokbani, Sohn tunesischer Einwanderer und aufgewachsen in einem bildungsfernen Milieu, Millionär sein. Mit zwei Freunden und einem Businessplan entwickelte er Ende der 1990er-Jahre ein Konzept für Low-Budget-Unterkünfte. 1999 öffnete in Berlin das erste Meininger-Hotel mit 50 Zimmern – das Konzept hatte rasanten Erfolg. Zehn Jahre später bestand die Hotelkette aus 16 Häusern in Deutschland und europäischen Metropolen wie London, Wien, Amsterdam und Brüssel.

„Unternehmer mit ausländischen Wurzeln sind ein Jobmotor für Deutschland“, sagt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, die im August 2016 eine Studie dazu vorgelegt hat. Zwischen 2005 und 2014 hat sich die Anzahl von Arbeitsplätzen, die durch selbstständige Unternehmer mit ausländischen Wurzeln geschaffen wurden, von 947000 auf 1,3 Millionen erhöht. Die Zahl selbstständiger Unternehmer mit Migrationshintergrund ist von 567000 auf 709000 gestiegen.

Auch das Profil der Unternehmer mit Migrationshintergrund hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Fast die Hälfte der Selbstständigen mit Zuwanderungsgeschichte (48 Prozent) ist mittlerweile im Dienstleistungsbereich außerhalb von Handel und Gastronomie tätig. Handel und Gastgewerbe machen nur noch 28 Prozent aus – das ist ein Rückgang um zehn Prozent im Vergleich zu 2005. Baubranche und verarbeitendes Gewerbe heißen jetzt die Zauberwörter: Jeder fünfte Selbstständige mit Migrationshintergrund ist hier tätig.

Nizar Rokbani, der Hotelketten-Unternehmer, hat seine Anteile im Jahr 2012 verkauft. Doch Stillstand ist nicht sein Metier. Neben einem neuen Hotelprojekt hat er noch ganz andere Gründungspläne: In Berlin-Wilmersdorf hat er die Freudberg Gemeinschaftsschule initiiert. Gerade ist der Schulbetrieb mit den ersten beiden Klassen angelaufen. An der Schule sollen vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien gefördert werden, es gibt Stipendien für Schüler, die sich das Schulgeld nicht leisten können. Damit alle später einmal die gleichen Chancen haben. ▪