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Brückenbauer zwischen Ost und West

Die Beziehungen der Berliner Universitäten mit Russland sind traditionsreich und zukunftsgewandt.

Беньямин Хердле, 24.06.2015

Im Jahr 1969, mitten im Kalten Krieg, galt es als politische Sensation: Die Moskauer Staatliche Bauuniversität, die wichtigste Bauforschungseinrichtung der Sowjetunion, startete eine Kooperation mit einer Westberliner Universität, der Technischen Universität (TU) Berlin. Mehr als 45 Jahre später ist die Zusammenarbeit längst zur Gewohnheit geworden: Mehrere Generationen von Hochschullehrern beteiligten sich bisher an Projekten in Stadt- und Regionalplanung, Architektur, Architekturgeschichte, Bauinformatik und allgemeinem Bauingenieurwesen. Wolfgang Huhnt, seit 2008 Professor im Fachgebiet Bauinformatik und derzeit geschäftsführender Direktor am Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin, hat regelmäßig bis zu zehn Studierende der Moskauer Bauuniversität im Sommersemester zu Gast. Sie besuchen Kurse, etwa in der Siedlungswasserwirtschaft und der Bauinformatik, deren Abschlüsse sie sich für das Bachelorstudium in Moskau anrechnen lassen können. Zudem kommen immer wieder Doktoranden und Gastwissenschaftler zu Forschungsaufenthalten an das Institut, und Huhnt selbst fährt zu Konferenzen und Vorträgen nach Moskau. Die Kooperation hat für beide Seiten Vorteilen. „Unsere wissenschaftliche Arbeit profitiert, der gute Ruf der TU in Russland wird gestärkt und die russischen Studierenden erhöhen ihre Chancen, attraktive Jobs in der Heimat zu bekommen“, sagt Huhnt.

An der Ostberliner Humboldt-Universität (HU) hat die Zusammenarbeit mit Russland eine besondere Tradition, die seit der deutschen Wiedervereinigung noch um viele neue Akzente bereichert wurde: So kooperiert die HU etwa seit 1958 mit der Lomonossow-Universität in Moskau, aus der derzeit pro Jahr fünf Journalistikstudierende zum Studium an die HU kommen. Mit der Higher School of Economics in Moskau bietet die HU einen Doppelabschluss in den Wirtschaftswissenschaften an; sie entsendet Gastlektoren an deutsch-russische Zentren an Russlands Universitäten oder finanziert Konferenzen, bei denen Studierende etwa der Slawistik oder der Theologie aus Moskauer Universitäten und der HU über wissenschaftliche Themen diskutieren. „Die Partnerschaft mit Russland ist etwas Besonderes, denn sie hat nicht nur eine historische und eine wissenschaftliche, sondern auch eine politische Dimension“, sagt Stefan Karsch, Regionalreferent Mittel- und Osteuropa im Internationalen Büro der HU. Das zeigt sich in Zeiten wie diesen, in denen sich der Ukraine-Konflikt auf die deutsch-russischen Beziehungen niederschlägt. Lägen auf politischer Ebene Spannungen vor, sei es besonders wichtig, auf Hochschulebene die Partnerschaften zu pflegen. „Damit bleiben die persönlichen Kontakte der Wissenschaftler erhalten“, sagt Karsch.

Diese Konstanz ist wichtig, zumal eigentlich gute Zeiten für Kooperationen angebrochen sind. Grund sind Hochschulreformen, mit denen Russlands Regierung die Internationalisierung der staatlichen Universitäten vorantreiben möchte. Die Hochschulen, so der Auftrag, sollen sich stärker zum Ausland hin öffnen. Das merken die deutschen Partner. „Russische Einrichtungen pflegen die internationalen Kontakte engagierter als früher“, bestätigt Stefan Karsch. Bei Angela Ittel, an der TU Berlin Vizepräsidentin für Internationales, landen täglich zahlreiche Kooperationsanfragen. „Russlands Hochschulen sind gerade sehr interessiert an einer Zusammenarbeit mit uns“, sagt sie. Zwölf Kooperationsvereinbarungen mit russischen Forschungseinrichtungen hat die TU bereits abgeschlossen. Leidet das binationale Miteinander in der derzeitigen Krise? „Nein“, sagt Ittel, „Mit Russland spüren wir im Unterschied zu anderen Krisengebieten kaum Schwierigkeiten.“ Internationalisierung kenne keine Grenze. Dieser Spruch, so Ittel, habe sich im Kontext des wissenschaftlichen Austauschs bislang bewahrheitet.

In Moskau spürt Tobias Stüdemann beides – den Wandel der Hochschullandschaft, aber auch die Krise. „Die Krise ist ein konstantes Thema“, sagt Stüdemann, der in der russischen Hauptstadt das Verbindungsbüro der Freien Universität (FU) Berlin leitet. Die eigentliche Forschung sieht Stüdemann aber nicht gefährdet. Die Sowjetunion war eines der ersten Länder jenseits des Eisernen Vorhangs, mit denen die FU Anfang der 1960er-Jahre eine Kooperation startete. Mit der St. Petersburger Staatlichen Universität hat die FU 2009 das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) aus Mitteln des Auswärtigen Amts geförderte Exzellenzzentrum German-Russian Interdisciplinary Science Center (G-RISC) in St. Petersburg gegründet, in dem Wissenschaftler beider Staaten in Mathematik, Physik, Geophysik und Physikalischer Chemie zusammenarbeiten. „Wir vertrauen einander“, betont Sergey Tunik, für Forschung verantwortlicher Vizerektor der Staatlichen Universität St. Petersburg. Auf Vertrauen setzt auch Elena Gogina, Vizerektorin der mit der TU Berlin kooperierenden Moskauer Staatlichen Bauuniversität: „Die politische Situation spielt keine Rolle, wenn sich die Professoren und Studenten sehr gut kennen“, sagt sie. Bildung und Wissenschaft seien eine gute Brücke für Deutschland und Russland.

An der TU Berlin hofft Ingenieurwissenschaftler Huhnt deshalb, die Zusammenarbeit intensivieren zu können. „Wir wollen die Kooperation insbesondere in der Forschung ausbauen“, sagt er. Auf russischer Seite bestehe der Wunsch, die Lehre zu stärken. Ziel der Kollegen aus Moskau sei, das Kursangebot an seinem Institut auch auf Master-Studierende zu erweitern. Beides könnten, meint Huhnt, die nächsten Schritte der Kooperation sein.