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„Das Interesse an der Zusammenarbeit ist gewaltig“

Der DAAD engagiert sich für den Transformationsprozess in Nordafrika. Ein Gespräch mit DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel.

18.06.2013
Margret Wintermantel
© DAAD/Lichtenscheidt - Margret Wintermantel

Frau Professorin Wintermantel, welche Auswirkungen hatte der „Arabische Frühling“ auf die Wissenschaftsbeziehungen zu Deutschland?

Die historischen Umbrüche in der Arabischen Welt stellen ohne Frage eine Zäsur in Politik, Gesellschaft und Geschichte der Region dar. Auch die bilateralen Wissenschaftsbeziehungen zu Deutschland sind davon betroffen: die Bundesregierung hat sich dazu entschlossen, ihre Partnerländer im demokratischen Transformationsprozess nach Kräften zu unterstützen, wobei den Universitäten eine Schlüsselrolle zukommt. Dafür hat uns das Auswärtige Amt zusätzliche Mittel bereitgestellt. Das bedeutet zunächst einmal konkret, dass der DAAD die Zusammenarbeit mit tunesischen und ägyptischen Universitäten deutlich verstärken konnte. Kurz nach den Aufständen in beiden Ländern zu Beginn des Jahres 2011 haben wir uns mit unseren Partnern beraten, um auszuloten, welche Angebote in dieser Situation die richtigen sind. Es wurden vier Programmlinien entwickelt, die bei ägyptischen, tunesischen und deutschen Hochschulen gleichermaßen nachgefragt sind und allesamt einen Beitrag zur Reform der Strukturen in unseren Partnerländern leisten.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Hochschulen und die Bildungseliten in dem weiteren Transformationsprozess?

Der demokratische Aufbruch wird nur erfolgreich sein, wenn die Menschen eine reale Verbesserung ihrer Lebensumstände wahrnehmen. Nun kommt es darauf an zu zeigen, dass die neu gewonnene Freiheit auch die Lebenschancen des Einzelnen steigern kann. Nicht zuletzt die hohe Jugendarbeitslosigkeit – auch unter akademisch Gebildeten – war eine Ursache der Proteste. Der Förderung von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und anderen Institutionen des „Wissenssystems“ wird sowohl in den Industrie-, als auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern eine deutlich gestiegene Bedeutung für den zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess beigemessen.

Was kann der DAAD konkret an Unterstützung leisten?

Im DAAD wird die deutsch-arabische Transformationspartnerschaft seit 2011 vor allem durch vier Programmlinien umgesetzt: Hochschulpartnerschaften fördern die nachhaltige Strukturbildung in allen Wissenschaftsbereichen, von Sozial- und Geisteswissenschaften über Natur- bis hin zu Wirtschaftswissenschaften, kurz- und mittelfristige Kooperationsmaßnahmen wie Workshops, Summer Schools und Tagungen finden ihren Platz in einer weiteren Programmlinie. Bei den beiden anderen Programmlinien geht es einerseits um die Entwicklung gemeinsamer englischsprachiger Masterstudiengänge in den Bereichen „Kulturgütermanagement“ und Politikwissenschaften, andererseits um die Reintegration von zurückkehrenden Alumni im Hochschulsystem der Partnerländer durch den Aufbau eigener Forschungsnetzwerke.

Welche der geförderten Projekte halten Sie für besonders zukunftsweisend?

Das Fächerspektrum ist breit und es fällt durchaus schwer, hier eine repräsentative Auswahl zu treffen, da sie alle zentrale Aspekte des Transformationsprozesses berühren. Besonders wichtig ist es, die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen zu verbessern. Für den bedeutsamen Tourismussektor ist der 2013 anlaufende gemeinsame Masterstudiengang der BTU Cottbus mit der Helwan Universität Kairo richtungweisend: Studierende werden hier in „Heritage conservation“ ausgebildet. Die Ludwig-Maximilians-Universität München kooperiert mit der Kairo Universität zur Wiederaufforstung großer Wüstenflächen. In Tunesien arbeitet die Universität Sfax mit der TU Chemnitz zusammen, um einen IT-Masterstudiengang zu „embedded systems“ zu etablieren. Tunesische Hochschulen bringen gute Voraussetzungen in der IT-Ausbildung mit und können rasch von der Zusammenarbeit profitieren.

Wie groß ist das Interesse deutscher Hochschulen sich zu engagieren?

Um ehrlich zu sein, uns hat das gewaltige Ausmaß des Interesses auf Seiten der deutschen Hochschulen an der Zusammenarbeit mit tunesischen und ägyptischen Partnern selbst ein wenig überrascht. Für kurzfristige Kooperationsmaßnahmen erleben wir beispielsweise einen nicht enden wollenden Strom an Anträgen für die verschiedensten Projekte von Hochschulen aus dem gesamten Spektrum des deutschen Wissenschaftssystems. Neben den „klassischen“, auch vorher in der Region schon sehr aktiven Disziplinen wie Medizin, Pharmazie, Agrar- oder Ingenieurswissenschaften erhalten wir nun auch Anträge aus den Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaften. Auch kommen viele gute und neue Projekte aus den zahlreichen Fächern, in denen deutsche Hochschulen besonders profiliert sind, wie zum Beispiel Materialwissenschaft, Biotechnologie, Wasserwirtschaft oder Erneuerbare Energien.

2012 wurde das Deutsche Wissenschaftszentrum in Kairo eröffnet, seit März 2013 hat der DAAD ein Büro in Tunis. Warum ist es auch im virtuellen Zeitalter wichtig „vor Ort“ ansprechbar zu sein?

Der DAAD ist eine durch und durch internationale Organisation. Wir verfügen über ein Netzwerk von 64 Büros und Informationszentren in aller Welt. In aller Bescheidenheit darf ich sagen, dass niemand in Deutschland die ausländischen Wissenschaftssysteme, ihre Stärken und Schwächen besser kennt als der DAAD. Nehmen Sie unsere Außenstelle in Ägypten: Wir sind dort seit mehr als einem halben Jahrhundert präsent, unsere Kolleginnen und Kollegen in Kairo kennen alle wichtigen Akteure in den Universitäten, Forschungseinrichtungen und Ministerien persönlich, über Jahre konnte so ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Mit dem Aufbau des Deutschen Wissenschaftszentrums in Kairo unter Führung des DAAD werden die ohnehin exzellenten Beziehungen in Wissenschaft und Forschung zwischen unseren beiden Ländern noch zunehmen. Ich freue mich auch sehr, dass wir nun in Tunis mit einem eigenen Büro vertreten sind. Das Interesse an Zusammenarbeit mit Deutschland ist ausgesprochen groß – mit unserer Vertretung sind wir nun noch besser aufgestellt, um die Zusammenarbeit intensivieren zu können.

Durch die Transformationspartnerschaft liegt der Fokus besonders stark auf Ägypten und Tunesien. Was bedeutet diese Konzentration für die anderen Partnerländer des DAAD in der arabischen Welt?

Der DAAD hat seine Aktivitäten in der gesamten Region Nordafrika/Nahost in den letzten Jahren deutlich verstärken können. Neben den klassischen Stipendienprogrammen sind zunehmend auch größere und Großprojekte ins Leben gerufen worden, die breite Kreise an jungen Nachwuchskräften mit einbeziehen. Dazu zählen zum Beispiel bikulturelle Studiengänge, in denen arabische und deutsche Studierende im Hinblick auf besonders drängende Problemen der Region gemeinsam qualifiziert werden – wie zum Beispiel Wassermanagement, Urbanisierung, ökonomischer Wandel und erneuerbare Energien –, aber auch der Aufbau deutsch-arabischer Hochschulen wie in Ägypten, Jordanien oder dem Oman. Gemeinsam finanzierte Stipendien mit einer Reihe arabischer Staaten vergrößert beträchtlich die Zahl derjenigen, die in den Genuss der angesehenen deutschen Hochschulausbildung kommen. Die Transformationspartnerschaft schmälert keineswegs das DAAD-Engagement in der Region, sondern ergänzt es durch spezifische Angebote für die beiden post-revolutionären Staaten Ägypten und Tunesien und schafft dadurch Leuchtturmprojekte, die auf die Region ausstrahlen. ▪

Interview: Janet Schayan

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