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Ein Finale als Startschuss

Das „Deutsch-Türkische Jahr der Forschung, Bildung und Innovation“ setzt auf langfristige Wirkung.

Bettina Mittelstraß, 23.12.2014
© N. Michalke - Science Tunnel

Sie sind jung und ehrgeizig und kommen aus Deutschland und der Türkei – die Wissenschaftler, die Anfang November 2014 in der Piazzetta des Historischen Rathauses zu Köln zum „Science Slam“ antraten. In wenigen Minuten präsentierten sie humorvoll, abwechslungsreich und faszinierend der Öffentlichkeit ihre Forschung und wurden frenetisch beklatscht – der Auftakt der „Türkei-Woche“ an der Universität zu Köln. Insgesamt 14 deutsche Hochschulen richten im Rahmen des „Deutsch-Türkischen Jahrs der Forschung, Bildung und Innovation“ noch bis Ende Dezember 2014 Türkei-Wochen aus und präsentieren einer breiten Öffentlichkeit, Wissenschaftlern und jungen Studierenden ausgewählte Aktivitäten aus jahrelangen Beziehungen zu türkischen Hochschulen.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Veranstaltungen werden seitens der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) koordiniert und könnten bunter nicht sein: Vorträge und Workshops über kulturelle, politische oder ökonomische Beziehungen beider Länder öffnen den Blick für das Partnerland Türkei in der Forschung. Ausstellungen, etwa über Kartografie wie an der Universität Bremen, setzen unter anderem die Blütezeit arabisch-islamischer Wissenschaften und ihre europäische Rezeption ins Bild. Weiter geht es um Kunst, Musik und Soziales, um Film und Finanzen, Migration und Minderheiten, um Religion, Architektur oder Recht und Gesetz. Das Paderborner Campusradio spielt türkische Musik und informiert über den deutsch-türkischen Austausch und Veranstaltungen, am „Istanbul-Tag“ der TU Berlin werden gemeinsame Forschungsprojekte mit der Partnerstadt vorgestellt und selbstverständlich geht der Austausch wie im Innenhof der Humboldt-Universität zu Berlin auch durch den Magen und Döner meets Currywurst.

Die Türkei-Wochen im Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahr sollen aber nicht nur kurzfristig für öffentliche Aufmerksamkeit sorgen und breit über das Wissenschaftsland Türkei informieren, sagt Stefan Bildhauer, der Leiter des Akademischen Auslandsamts der Universität zu Köln. Die Wochen haben als Bestandteil der intensiven Konzentration auf die Zusammenarbeit mit den türkischen Partnerhochschulen einem konkreten Zweck: „Unsere Studierenden im Studium Integrale bekommen Leistungspunkte angerechnet, wenn sie bestimmte Informationsveranstaltungen besuchen und können so ihr Interesse für die Türkei direkt mit dem Studium verbinden.“ Das vielschichtige Veranstaltungsprogramm verdeutlicht ihnen das Potenzial deutsch-türkischer Hochschulkooperationen und motiviert deutsche Studierende zu einem Auslandsaufenthalt in der Türkei und umgekehrt. Ähnlich vertiefen alle Türkei-Wochen die Kenntnisse über die türkische Studien- und Forschungslandschaft und informieren zum Beispiel auch über Fördermöglichkeiten oder Praktika.

„Unsere Erfahrung aus anderen Wissenschaftsjahren mit Länderthemen ist, dass die kontinuierliche Informationsarbeit über ein ganzes Jahr langfristige Wirkungen hat“, sagt Stefan Bildhauer. Es ist ein wichtiges Ziel der HRK, dass die Aktivitäten ihrer Mitgliederhochschulen während der Türkei-Wochen die ganze Universität einbeziehen. Deshalb bahne die Universität zu Köln auf diese Weise nicht nur den Austausch der Studierenden an, sagt Bildhauer, sondern auch eine offizielle Delegationsreise der Universitätsleitung im nächsten Jahr: „Partnerschaften werden so gefestigt, neue Partner gewonnen und das alles sorgt nachhaltig für produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit.“

Besonders deutlich wird diese fruchtbare Art der Kooperationsarbeit derzeit in 26 Projekten, die im Rahmen des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahrs seit Dezember 2013 gesondert gefördert werden und auf langjährigen Partnerschaften aufbauen. Türkische und deutsche Wissenschaftler bündeln darin die Kompetenzen und konzentrieren sich auf Forschungsbereiche, die für eine gemeinsame Zukunft weltweit entscheidend sind: Schlüsseltechnologien für mehr Innovation und den globalen und gesellschaftlichen Wandel.

In einer globalisierten Welt wird beispielweise im Umgang mit Patienten das Wissen um kulturelle Unterschiede für den Behandlungs- und Forschungserfolg immer wichtiger. Wissenschaftler von der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Istanbul Tıp Fakültesi Hastanesi Farmakoloji ve Klinik Farmakoloji knüpften deshalb an eine seit den 1930er-Jahren bestehende Verbindung der Universitäten München und Istanbul an und organisierten für die Nachwuchsförderung und den Ausbau ihres Netzwerkes Informationsveranstaltungen zum Thema „Interkulturelle Kompetenz in der Medizin“.

Um kulturelle Vielfalt geht es auch in einem Projekt aus den Musikwissenschaften, das an der Humboldt-Universität zu Berlin mit Musikfakultäten in Deutschland und der Türkei koordiniert wird. Auf zwei Symposien in Berlin und Istanbul reflektierten zwölf türkische und zwölf deutsche Kultur- und Musikwissenschaftler anhand historischer und populärer Beispiele das Musizieren als wichtige transkulturelle Praxis zum gegenseitigen Verständnis und verdeutlichen in öffentlichen Podiumsdiskussionen die Chancen des interkulturellen Zusammenspiels.

An der Bauhaus-Universität Weimar verbindet ein interdisziplinäres Projekt schließlich alle Themencluster des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahrs und arbeitet mit der Fakultät für Architektur der Mersin Üniversitesi in Yenisehir, Mersin, über effiziente Energievernetzungen in Architektur und Kultur. Für eine Architektur von Morgen organisieren die Partner den Ideen und Wissensaustausch über Megastädte, türkische Bautradition und moderne Energiesysteme.

Auch jenseits von Ideenwettbewerb und Türkei-Wochen schlägt das Wissenschaftsjahr neue Brücken zwischen Deutschland und der Türkei – mit dem ersten „Deutsch-Türkischen Innovationsgipfel“ für Industrieunternehmen beider Länder, mit der erstmaligen Reise der erfolgreichen Ausstellung „Max Planck Science Tunnel“ nach Istanbul, mit einem Kreativwettbewerb, der die Zusammenarbeit auf Plakaten ins Bild setzt oder mit der Auszeichnung von Nachwuchsforscher Burak Güzeltürk aus der Türkei als „Green Talent“ durch Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Der 27-jährige Elektrotechniker Güzeltürk forscht für mehr Nachhaltigkeit und glaubt daran, dass das Wissenschaftsjahr die Synergieeffekte zwischen der Türkei und Deutschland im Hinblick auf die wissenschaftliche, technische und Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit noch verstärken kann: „Ich denke, dass beide Länder viel voneinander lernen können.“