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Gestärkte Hochschulen

Das EU-Kooperationsprogramm TEMPUS verbindet Russland und Europa.

Беньямин Хердле, 13.08.2012
© David Ausserhofer/DAAD

Landwirtschaftliche Erzeugnisse mit einem regionalen Gütesiegel zu vermarkten, ist in Deutschland schon lange verbreitet. Ob Bienenhonig aus der Rhön, Heidschnuckenfleisch aus der Lüneburger Heide oder Schafskäse aus dem Schwarzwald, in vielen Gegenden bringen Landwirte zumeist mit gutem Erfolg ihre ökologischen Erzeugnisse als lokale Besonderheiten an die Kunden. In Russland steht die Vermarktung regionaler Produkte aus den ländlichen Räumen dagegen noch am Anfang. „Langsam beginnt dort aber ein Umdenken“, sagt Angelika Thomas. Die promovierte Agrarwissenschaftlerin managt von der Universität Hohenheim aus ein internationales Forschungsprojekt, das diesen Bewusstseinswandel weiter stärken soll. Unter dem Titel Weiterbildung in ländlicher Entwicklung und Ökologie fördert die Europäische Union über das EU-Kooperationsprogramm TEMPUS mit etwas mehr als einer Million Euro ein Vorhaben, das 29 Partner vor allem aus Russland und Deutschland zusammenbringt und an den russischen Agraruniversitäten Fortbildungsangebote für Angestellte aus der öffentlichen Verwaltung professionalisieren will.

Das TEMPUS-Programm gilt als Flaggschiff. Seit 1990 treibt es die Hochschulkooperation der EU-Staaten mit den Nachbarländern voran. Alleine in die vierte Programmphase zwischen 2007 und 2013 investiert Brüssel pro Jahr um die 60 Millionen Euro. In Deutschland laufen die Fäden für TEMPUS bei Nina Salden zusammen. Die 35-Jährige leitet beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Bonn die nationale TEMPUS-Kontaktstelle. Ihr Team informiert und berät deutsche Hochschulen bei allen Fragen rund um das EU-Förderprogramm. Damit fördert Brüssel Projekte und Strukturmaßnahmen, die Hochschulen in Osteuropa, Zentralasien, dem Westlichen Balkan, Nordafrika und dem Nahen Osten helfen sollen, näher an den Hochschulraum der EU zu rücken. Das Know-how deutscher, französischer oder niederländischer Wissenschaftler soll Universitäten in den Partnerländern dabei unterstützen, Lehrpläne zu entwickeln, Studiengänge aufzubauen oder die Kooperation von Hochschule und Wirtschaft zu forcieren. Ziel ist, das Hochschulsystem in diesen Staaten zu modernisieren.

Für Deutschlands Hochschulen ist
TEMPUS seit jeher attraktiv, die Begeisterung auch in der vierten Phase ungebrochen. „Mit 115 Projekten hat kein anderer EU-Staat in der jetzigen Phase mehr Projekte eingeworben als Deutschland“, sagt Salden. Das Interesse geht quer durch die Disziplinen, von den Sprach- über die Ingenieur- bis hin zu den Agrarwissenschaften. Dass TEMPUS so populär ist, liege daran, dass die Hochschulen gemeinsam vorschlagen können, woran sie arbeiten und wie sie das umsetzen wollen. Nina Salden: „Die Vorgaben aus Brüssel sind nicht so eng.“ Hinzu kommt, dass die Universitäten TEMPUS-Projekte oft zum Aufbau von Partnerschaften nutzen: Was einst als TEMPUS-Projekt begann, kann in einer engen Forschungskooperation münden, bei der gemeinsame Förderanträge geschrieben oder Doktoranden ausgetauscht werden. Die Technische Universität (TU) Dresden, die im Jahr 2010 vom DAAD als aktivste deutsche TEMPUS-Hochschule ausgezeichnet wurde, nutzt das Programm beispielweise, um gezielt ihre Marktchancen zu verbessern und Netzwerke in Europa aufzubauen. „Wir befinden uns in einem immer härter werdenden Wettbewerb um die für Wissenschaftseinrichtungen typischen Ressourcen“, sagt Matthias Winker, Direktor des European Project Centers an der TU. Je mehr sich die TU an EU-Projekten beteilige, umso begehrter werde sie für Studierende und Forscher, um die Hochschulen weltweit buhlten.

Mit keinem anderen Staat sind deutsche Hochschulen so häufig über TEMPUS-Projekte verbandelt wie mit der Russischen Föderation: Bei einem Viertel der seit 2007 bewilligten Vorhaben mit deutscher Beteiligung sitzen russische Partner mit im Boot. „Traditionell gibt es in Forschung und Lehre eine sehr gute Kooperation zwischen Deutschland und Russland“, sagt Professorin Olga Oleynikova, die in Moskau die russische TEMPUS-Kontaktstelle leitet. Russische Hochschulen könnten sich über
TEMPUS-Programme sehr gut internationalisieren und modernisieren. Wie vital die deutsch-russischen Beziehungen sind, zeigte sich Ende April 2012 auf einem
TEMPUS-Treffen an der Kasaner Föderalen Universität. Dort kamen mehr als 100 Hochschulvertreter aus beiden Staaten zusammen, um neue Partner zu suchen und sich über mögliche Projekte auszutauschen.

Die Universität Hohenheim ist durch ihre Gründerin, die Zarentochter und spätere Königin von Württemberg Katharina Pawlowna, traditionell mit Russland verbunden. Heute verweist die Hochschule auf 16 TEMPUS-Projekte mit Russland. Noch bis Jahresende 2012 läuft das vom Osteuropazentrum der Universität koordinierte Weiterbildungsprojekt. Bis dahin wollen die Hohenheimer Wissenschaftler zusammen mit ihren Projektpartnern das Lehrpersonal an den Universitäten schulen und Fortbildungsmodule für elf Themen erarbeiten – von Ökotourismus und Umweltrecht, umweltgerechter Bewirtschaftung über den Umbau landwirtschaftlicher Farmen zu Ökobetrieben bis hin zur Lebensmittelsicherheit und zu regionalen Gütesiegeln. Gerichtet sind die Lehrangebote, die sich aus einem Mix von Online-Kursen und Präsenzveranstaltungen an den elf beteiligten russischen Hochschulen und Akademien zusammensetzen, an Angestellte der lokalen und föderalen Verwaltung, die wiederum Landwirte über neueste Trends der nachhaltigen Entwicklung informieren sollen.

Für den Hohenheimer Ökologieprofessor Martin Dieterich ist es das erste TEMPUS-Projekt, das er als wissenschaftlicher Leiter koordiniert und betreut. „Das Vorhaben ist für uns sehr wichtig, weil wir als landwirtschaftliche Universität auf praxisorientierte Forschungsprojekte angewiesen sind“, sagt er. Dass sich Verwaltungen, Landesanstalten zur Entwicklung des ländlichen Raums oder Agrarverbände an dem Projekt beteiligen, sei etwas Besonderes. „Über unsere russischen Projektpartner bekommen wir einen Einblick in die Praxis, den wir anders nicht erfahren hätten“, sagt Dieterich. Das mache den Reiz von TEMPUS aus.