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Gutes regieren lernen

An der deutsch-tunesischen Akademie für gute Regierungsführung in Berlin lernen Verwaltungsmitarbeiter, wie sie das neue Tunesien mitgestalten können.

سارا كانّينغ, 22.12.2014
© Stefan Maria Rother - Europäische Akademie

Viel hat sich verändert in Tunesien seit dem Sturz seines Langzeitpräsidenten Ben Ali: Im November 2014 haben die Tunesier ein neues Parlament gewählt, die Stichwahlen zur Präsidentschaftswahl liefen Ende Dezember. Weitgehend gleich geblieben ist jedoch der Beamtenkader der Regierung: Berater, Referatsleiter, Mitarbeiter arbeiteten oft schon unter Ben Ali. Seit April 2012 hatten allerdings mehr als hundert von ihnen die Möglichkeit, an der Europäischen Akademie Berlin das Handwerk für gute Regierungsführung und eine moderne Verwaltung zu lernen.

„Anders als beispielsweise nach der deutschen Wiedervereinigung gab es in Tunesien keinen alternativen Elitekader, den man nach der Revolution hätte einsetzen können“, sagt Eckart D. Stratenschulte, der seit fast 20 Jahren die Europäische Akademie leitet. „Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, diese Mitarbeiter anzusprechen, zu motivieren und zu qualifizieren.“ Die Akademie bietet Seminare, Konferenzen und Vorträge zu europäischen Themen an und führt im Auftrag des Auswärtigen Amts Schulungen zu guter Regierungsführung für Länder im Umbruch durch – wie Tunesien oder die Ukraine.

In fünf Wochen erarbeiten sich die Teilnehmer fünf Module zu „Good Governance“, zum guten Regieren: richtiges Handeln, der Staat als Dienstleister, Zivilgesellschaft, Korruption und Kommunikation. Immer unter den Schlüsselfragen von Effizienz, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation, Anti-Korruption, Inklusion und Nachhaltigkeit. Zum Seminarprogramm gehören auch ein Besuch der Bundespressekonferenz im Bundestag und Diskussionen über die Energiewende in Deutschland sowie eine Visite bei der Müllabfuhr, um zu untersuchen, wie der Staat Dienstleistungen vergibt oder mit Privatunternehmen Partnerschaften eingeht. Exkursionen nach Dresden und Köln, in die Oper und in Museen geben Einblicke in deutsche Kultur und Geschichte.

Eine der Akademie-Teilnehmerinnen ist Olfa Chehbi aus Tunis. Die 33-Jährige ist Beraterin für öffentliche Dienste bei der Regierung und arbeitet in der Kommission für Korruptionsbekämpfung. Die Kommission wurde – wie auch das Anti-Korruptionsministerium – nach der Revolution gegründet, um die undurchsichtigen Geschäfte der Vorgängerregierung aufzuarbeiten. „Unsere Arbeit besteht im Kampf gegen Korruption und in der Prävention“, sagt Olfa Chehbi. „Wir haben gerade eine erste Strategie ausgearbeitet, die Ausbildung, Teilhabe der Zivilgesellschaft und die Rolle der Medien beschreibt.“

Begeistert hat Chehbi in Berlin das föderalistische Konzept Deutschlands kennengelernt: „Das wäre eine Vision für Tunesien – so könnten die Regionen und Kommunen selbstständig über Projekte und Geld bestimmen und müssten nicht immer warten, bis die Genehmigung aus der Hauptstadt kommt.“ Manchmal dauere es Wochen, bis eine Dorfschule Geld erhalte, um beispielsweise ein kaputtes Fenster zu reparieren. Auch bürgerliches Engagement, das seit der Revolution immer wichtiger geworden ist, lasse sich über Kommunen viel leichter dirigieren als von Tunis aus. „Hätten die Regionen mehr Möglichkeiten, Bürger einzubinden und deren Meinung in Debatten aufzunehmen, hätte bürgerliches Engagement viel mehr Gewicht“, sagt Chehbi.

Akademieleiter Stratenschulte sieht jeden Tag Kursteilnehmer aus der halben Welt – doch die tunesischen Seminarteilnehmer liegen ihm besonders am Herzen: „Sie sind super gut, extrem motiviert, gut qualifiziert und sehr angenehm im Umgang“, sagt er. Ausgewählt werden sie von der tunesischen Offiziellen, die in Kurzseminaren in Berlin auf diese Aufgabe vorbereitet werden und Einblicke in die Arbeit der Europäischen Akademie erhalten. Die Kosten für die Ausbildung trägt das Auswärtige Amt im Rahmen der Transformationspartnerschaft mit Tunesien. An den zehn Seminaren seit 2012 nahmen insgesamt 120 Tunesier und Tunesierinnen teil. Die aktuellen Teilnehmer berichten, dass es meist ehemalige Teilnehmer waren, die sie zu einer Bewerbung beim Vorgesetzen ermutigt hätten.

Das Programm variiert von Mal zu Mal ein bisschen: Seit 2014 sind die sogenannten „Wünsch-dir-was-Tage“ im Programm. Allein oder zu zweit können die Teilnehmer einen Betrieb oder eine Behörde ihrer Wahl wie beispielsweise die Berliner Staatsanwaltschaft besuchen, um über Details zu sprechen, die sie besonders interessieren. „Das ist aufwendig, aber es bringt die Teilnehmer voran“, sagt Stratenschulte.

Die Tunesier lernen in Berlin vor allem, wie sie Theorien und Techniken in ihre Arbeit einbauen können. „Wir erstellen mit den Teilnehmern beispielsweise einen Korruptionsatlas – eine Übersicht darüber, wo sich in der Behörde neuralgische Punkte oder korruptionsgefährdetet Stellen befinden“, sagt Stratenschulte. Rot sind die Stellen, an denen Aufträge vergeben werden, wo Geld fließt und Entscheidungen getroffen werden. „Dann können wir die Präventionsmaßnahmen direkt auf die Hot Spots konzentrieren – flächendeckend würden sie viel zu viel Energie kosten.“ Korruptionsexperten erklären zudem, wie die Teilnehmer beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip in ihrem Büro einführen könnten.

Hanen Bouaziz, Beraterin für öffentliche Dienste im Bereich Finanzen im Amt des Premierministers, hat vor allem die Pressearbeit des Bundestags beeindruckt: Während in Deutschland die Bundespressekonferenz die Sprecher aller Ministerien in einer gemeinsamen Konferenz zu Wort kommen lässt, fänden in Tunesien Pressekonferenzen für jedes Ministerium getrennt statt. Das ist aufwendig in der Koordination und behindert häufig eine umfassende, ressortübergreifende Berichterstattung. Bouaziz träumt nun davon, dass solche Konferenzen in Tunesien eingerichtet und dann live im Fernsehen übertragen würden. „Dann könnte sich jeder Bürger einen unverstellten Eindruck von der Politik verschaffen.“