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„Interesse so groß wie nie“

Ein Interview mit Professor Harald Fuess, einem der renommiertesten europäischen Japan-Forscher, über die großen Themen zwischen Europa und Japan.

17.06.2013
Harald Fuess
© Exzellenzcluster „Asien und Europa“ - Harald Fuess

Herr Professor Fuess, Sie beschäftigen sich wie kaum ein anderer deutscher Wissenschaftler mit Japan und waren bis 2011 Präsident der European Association for Japanese Studies. Was sind derzeit die großen Themen zwischen Europa und Japan?

Als Gesellschaften mit einem hohen Bildungs- und Entwicklungsstandard stehen beide Regionen vor ähnlichen grundsätzlichen strukturellen Herausforderungen wie dem demographischen Wandel und der Anpassung des Wohlfahrtsstaats. Auch wegen der Fukushima-Ereignisse werden spezifische politische Fragen wie Energie- und Finanzpolitik neu definiert und teilweise unterschiedlich beantwortet. Die Globalisierung und die erstarkte Rolle Chinas und Koreas in Asien sind natürlich gerade für Japan von entscheidender Bedeutung. Wirtschaft spielt vielleicht in beiden Regionen nicht mehr solch eine zentrale identitätsstiftende Rolle wie vorher. Dass sich heute Japan im Bewusstsein der Jugend nicht als Autoproduzent, sondern als „Cool Japan“ präsentiert, ist ein Teil dieses nationalen und internationalen Perspektivenwechsels.

In Heidelberg leiten Sie das Cluster of Excellence „Asia and Europe in a Global Context“. Was muss man sich darunter vorstellen? Und welche Rolle spielen Japan und Deutschland?

Originell an dem Heidelberger Modell ist eine Verschränkung der Forschung der traditionellen europazentrierten Fächer mit den Regionalwissenschaften, um intellektuelle und institutionelle Grenzen zu überwinden. Interdisziplinäre und internationale Forschergruppen arbeiten für einen bestimmten Zeitraum an klar definierten spezifischen Fragestellungen innerhalb von vier größeren Forschungsfeldern. Japan spielt bei vielen dieser Forschergruppen eine Rolle und durch das Cluster hat sich die Anzahl der japanforschenden Wissenschaftler an der Universität Heidelberg substantiell erhöht, so dass wir uns inzwischen zu einer der größeren japanbezogenen Forschungseinrichtungen in Europa entwickelt haben. Die Forschungsergebnisse manifestieren sich nicht nur in Publikationen, sondern fließen ein in unsere Lehre in einem strukturierten dreijährigen Promotionsprogramm und einem neuen M.A. Transcultural Studies in englischer Sprache mit integriertem Auslandssemester. Beide Programme gehören an unserer Universität zu den populärsten internationalen Studienangeboten mit jeweils etwa 200 Bewerbungen pro Jahr.

Darüber hinaus koordinieren Sie die Hexagon Alliance von sechs deutschen und japanischen Universitäten. In welchen Bereichen arbeiten die Universitäten zusammen?

Die meisten internationalen wissenschaftlichen Partnerschaften sind bilateral. Bei dieser deutsch-japanischen Allianz handelt es sich um eines der wenigen multilateralen Forschungsnetzwerke zwischen den Universitäten unserer beiden Länder. Interessant an der Ausrichtung der Hexagon Allianz ist die Spannbreite der in acht Forschungsfelder gegliederten Wissenschaftsfelder von den Lebens- und Naturwissenschaften über die Sozial- und Kulturwissenschaften bis hin zu den technischen Fächern. Inzwischen sind auch einige von beiden Seiten initiierte gemeinsame Graduiertenprogramme im Entstehen, die in neuen Forschungsgebieten über die eher kurzen individuellen Austauschaufenthalte hinausgehen werden.

Sie betreuen zahlreiche Doktoranden und koordinieren das Erasmus-Programm. Wie groß ist das Interesse an Japan in der jüngeren Generation – im internationalen und Zahlen-Vergleich?

Das Interesse der jüngeren Generation in Deutschland an Japan war noch nie so groß wie heute und die Studierendenanfängerzahlen der deutschen Japanologien wie derjenigen in Europa übersteigen konstant die Zahlen vergleichbarer Fächer wie beispielsweise der Sinologie. Bei den Doktoranden hingegen herrscht in Deutschland inzwischen schon fast ein Doktorandenmangel, da viele BA-und MA-Absolventen sich entscheiden, interessante japanbezogene Arbeitsangebote im In- und Ausland anzunehmen anstatt weiter zu studieren oder zu promovieren. Weltweit hat sich die Zahl der internationalen Studierenden, die die staatliche japanische Sprachprüfung ablegen, im letzten Jahrzehnt verdreifacht.

In der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland ist der Austausch mit Japan im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich, den USA oder China in den Hintergrund getreten. Woran liegt das? Oder täuscht das?

Mit unseren Nachbarländern hat es schon immer einen intensiven und konstanten Austausch gegeben, der durch das erfolgreiche Erasmus-Programm der EU noch einmal substantiell verstärkt wurde. Ob der Austausch mit den USA durch die restriktivere Visapolitik wirklich international nachgelassen hat, weiß ich nicht, jedoch sehe ich in meinem engeren Arbeitsbereich mehr Absolventen amerikanischer Universitäten, die beispielsweise im Post-Doc Stadium bei uns arbeiten wollen, was wir noch viel mehr als bisher als eine massive Rekrutierungschance begreifen müssen. Der Japanaustausch aus Deutschland hat nach 2011 kurzfristig gelitten, ist aber inzwischen wieder auf das normale Niveau zurückgekehrt, und in Heidelberg sind unsere Zahlen inzwischen auf einem historischen Höchststand, da wir auch diejenigen Fachgruppen angesprochen haben, denen traditionell die Sprachbarriere Japanisch zu hoch erschien und die die zunehmende Internationalisierung japanischer Hochschulen noch nicht bemerkt hatten. Grundsätzlich ist unser Problem in Deutschland, dass wir Japan als innovative Wissenschaftsnation weiterhin unterschätzen und Stärken, selbst in unseren engeren Forschungsgebieten, nur mit hohem Zeitaufwand identifizieren können. Problematischer ist allerdings der signifikante Rückgang der Japaner, die im Ausland studieren wollen, weil sie glauben, dass ihnen durch eine damit verbundene längere Studiendauer berufliche Nachteile entstehen. Auch nach der Promotion wollen sicher zu wenige qualifizierte junge Japaner derzeit ins Ausland beziehungsweise nach Europa.

Sie haben 15 Jahre in Japan gelebt, am Deutschen Institut für Japanstudien gearbeitet und an der Sophia Universität gelehrt. Wie ist der Blick von Japan auf Deutschland beziehungsweise die Europäische Union?

Ich erinnere mich noch, als ein japanischer Student an der Sophia-Universität den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder während seines Japanbesuchs fragte, warum er als junger Japaner die deutsche Sprache erlernen soll, wenn deutsche Firmen in Japan nur englische Fremdsprachenkenntnisse für notwendig erachten. In dieser Frage spiegelt sich die relativ abnehmende wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Deutschlands in Japan als auch die Veränderung des Selbstverständnisses deutscher global agierender Institutionen im Ausland wieder. Japanische Nachwuchswissenschaftler orientieren sich auch in vielen Disziplinen daher eher an Amerika als an europäischen Wissenschaftsvorbildern. Nichtsdestotrotz ist das Bild Deutschlands in der Wissenschaftsgemeinde und in der allgemeinen Bevölkerung ein sehr anhaltend positives, auch mit den Dauerbrennern deutscher Fußball und die klassische Musik. Es wird eigentlich auf allen Ebenen mehr Austausch gewünscht und Deutsche sind hochwillkommen. ▪

Interview: Martin Orth