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Der Brexit-Handelspakt

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Brüssel und London.

29.12.2020
Der Brexit-Handelspakt
© dpa

London/Brüssel (dpa) - In letzter Minute haben Brüssel und London ihren Handelspakt für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase über die Ziellinie gebracht. Der mehr als 1200 Seiten starke und mittlerweile online veröffentlichte Vertragstext regelt Fragen zum Handel, der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und dem Krankenversicherungsschutz Reisender bei Notfällen. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Kein No Deal also, aber ist das nun ein weicher Brexit?
Nein. Die weiche Landung, die sich viele in der EU noch lange erhofft hatte, war spätestens mit dem Wahlerfolg Boris Johnsons im vergangenen Jahr vom Tisch. Großbritannien verlässt Binnenmarkt und Zollunion und ist deutlich weiter von Brüssel entfernt als beispielsweise Norwegen oder die Schweiz. Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten des Ärmelkanals hatten sich deutlich mehr erhofft. Die Zusammenarbeit ist auf ein Minimum beschränkt. Der Brexit ist also eher hart.

Was bedeutet das für den Handel?
Es wird erheblich schwieriger als bisher. Für Unternehmen auf beiden Seiten werden deutlich mehr Formalitäten zu erledigen sein. Zwar fallen für britische Waren durch den Handelspakt künftig keine Zölle an, doch britische Exporteure in die EU müssen aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte tatsächlich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden. Auch Nachweise für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards müssen künftig erbracht werden.

Die britische Regierung hat angekündigt, vorerst alles durchzuwinken, was aus der EU kommt. Erst nach und nach sollen Papiere vorgelegt werden müssen und Kontrollen stattfinden. Doch auf EU-Seite sieht das anders aus. Die französische Regierung kündigte an, britische Waren vom Jahreswechsel an „massiv“ zu überprüfen.

Auch für die Dienstleistungsbranche, die rund 80 Prozent der britischen Bruttowertschöpfung ausmacht, wird der Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit dem Ende der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember erheblich schwerer.

Warum war das Thema Fischerei so schwierig?
Obwohl die Fischerei wirtschaftlich kaum eine Rolle spielt, war das Thema am schwierigsten zu lösen. Das hat mit dem Gewicht zu tun, das die britische Regierung bei den Verhandlungen auf das Thema Souveränität und Kontrolle legte. Großbritannien müsse seine Unabhängigkeit wiedererlangen - das war das Mantra der Brexit-Befürworter seit dem Referendum im Jahr 2016. Die Kontrolle über die eigenen Fischereigewässer wurde dafür zum wirkmächtigsten Symbol. Trotzdem hat London bei den Verhandlungen große Zugeständnisse gemacht. Europäische Fischer müssen zunächst nur auf ein Viertel ihrer Fangquoten verzichten - gestaffelt auf fünfeinhalb Jahre. Sollte London ihren Zugang später weiter beschneiden, könnte Brüssel das mit Zöllen beantworten.

Woran hakte es zuletzt noch?
Vor allem am Thema der gleichen Wettbewerbsbedingungen. Brüssel wollte verhindern, dass die Briten ihre Standards bei Arbeitnehmerrechten und dem Umweltschutz senken und sich dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Auch die Gefahr, dass London die Standards „einfriert“, während sie in der EU weiter steigen, sollte gebannt werden. Ob das der Fall ist, soll nun von unabhängiger Seite geprüft werden. Notfalls könnte die EU mit Zöllen reagieren, um ihren Markt zu schützen.

Was ändert sich für Deutsche, die nach Großbritannien reisen oder auswandern?
Die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und Großbritannien endet mit dem 31. Dezember 2020. Das bedeutet, wer künftig in Großbritannien arbeiten und leben will, muss ein Visum beantragen. Das soll durch ein punktebasiertes System geregelt werden, bei dem Faktoren wie die Höhe des Einkommens und die Branche eine Rolle spielen. Für Touristen wird es bei kürzeren Reisen keine Visumspflicht geben. Die Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) wird erst einmal gültig bleiben. Auch in der Zukunft sollen Reisende im Notfall von ihrem Krankenversicherungsschutz im Heimatland Gebrauch machen können. Auch ohne Regelung im Abkommen wollen die großen Telefonanbieter weiterhin keine Roaming-Gebühren erheben.

Gefährdet der Brexit den Frieden in Nordirland?
Die Gefahr, dass zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitgliedsstaat Irland Grenzkontrollen eingeführt werden müssen, wurde eigentlich bereits im Austrittsabkommen gebannt. Nordirland erhält einen Sonderstatus und bleibt enger an die EU gebunden als der Rest des Königreichs. Damit steht ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands und überwiegend protestantischen Anhängern der Union mit Großbritannien in Nordirland jedenfalls derzeit nicht im Raum.

Was bedeutet der Deal für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz?
Hier bleiben beide Seiten verhältnismäßig eng zusammen. Die Kooperation britischer Behörden mit den EU-Agenturen Europol und Eurojust soll weiterlaufen. Aber London kann die Regeln für diese Agenturen nicht mehr mitgestalten. Auch gibt es Vorkehrungen für eine enge Zusammenarbeit der britischen Polizei und Justiz mit denen der EU-Staaten. Auf bestimmte EU-Datenbanken haben die Briten künftig keinen Zugriff mehr – etwa das Schengener Informationssystem, das unter anderem zur Fahndung ausgeschriebene Personen speichert. Wohl aber kann das Vereinigte Königreich weiter auf die EU-Datenbank zur Fluggastdaten-Speicherung, auf Fahrzeugregisterdaten oder das EU-Strafregister zugreifen. Auch bei grenzüberschreitenden Gefahren für die Gesundheit – siehe Corona – und dem Austausch geheimer Informationen soll weiter zusammengearbeitet werden.

Welche Bereiche sind nicht im Brexit-Handelspakt geregelt?
Das Thema Außen- und Sicherheitspolitik wurde auf Wunsch der britischen Regierung von den Verhandlungen ausgenommen. „Vom 1. Januar an wird es keinen Rahmen zwischen Großbritannien und der EU geben, um eine koordinierte Antwort auf außenpolitische Herausforderungen zu entwickeln und zu koordinieren“, heißt es in einer Übersicht der EU-Kommission. Das betreffe beispielsweise Sanktionen gegen Einzelpersonen oder die Wirtschaft von Drittstaaten.

Auch die automatische Anerkennung von Berufsabschlüssen fällt weg. Ärzte, Ingenieure, Architekten und viele weitere Berufsgruppen müssen ihre Qualifikation künftig nach den Regeln der einzelnen Länder, in denen sie arbeiten wollen, nachweisen. Am europäischen Erasmus-Programm zum Studentenaustausch wird Großbritannien künftig nicht mehr teilnehmen.