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Eine Frage der Vernetzung

Digital-Pionier Şahin Albayrak über Zukunftsentwicklungen.

23.12.2014
© Stefan Maria Rother - Sahin Albayrak

Herr Professor Albayrak, einen Tag vor unserem Gespräch haben Sie in Österreich an der Konferenz „Urban Future“ und der Podiumsdiskussion „Vernetztes Leben: Herausforderungen und Stand der Technik“ teilgenommen. Was sind die drängendsten Fragen in diesem Bereich?

Die Frage nach den Städten der Zukunft führt uns zu Fragen nach intelligenter Infrastruktur, intelligenter Energieversorgung, intelligenter Mobilität und intelligenten Gebäuden – allesamt Fragen, die auch mit der Digitalisierung zusammenhängen. In den Gebäuden, über die ich auf der Konferenz gesprochen habe, haben wir es mit immer mehr elektronischen Geräten – von Haushaltsgeräten bis zur Unterhaltungselektronik – zu tun; gleichzeitig tragen die Menschen verstärkt digitale Wearables wie Fitnessarmbänder und Smartwatches. Die Frage ist, wie all diese Geräte zum optimalen Nutzen für den Verbraucher miteinander vernetzt werden können. Wir wollen mit unserer Forschungsarbeit eine Umgebung ermöglichen, in der die Menschen direkt und einfach hochkomplexe Technologie nutzen können und entwickeln dafür Assistenzsysteme mit der Zielsetzung, den Nutzer bestmöglich zu unterstützen.

Was erwarten die Nutzer?

Zum einen: Sicherheit. Das gilt für den Schutz, den digitale Warnsysteme bieten können, etwa vor Feuerausbrüchen oder Überschwemmungen. Aber auch für den Schutz vor einem Missbrauch der digitalen Vernetzung: Informationen müssen verschlüsselt werden können, damit sie nicht etwa von der Werbewirtschaft genutzt werden. Die Verbraucher wollen Energie sparen und auch ihren Teil zur Energiewende beitragen. Immer wichtiger wird der Bereich Gesundheit: Smartwatches messen nicht nur den Puls, sondern erinnern Sie auch, wenn Sie sich zu wenig bewegt haben. In Zukunft werden wir mehr und mehr Informationen zu unserer Gesundheit digital ganz einfach sammeln und auswerten können, zu Bewegungsfragen genauso wie zu Ernährungsfragen. Die digitale Gesellschaft betrifft unser Berufs- wie unser Privatleben – und alle Stationen eines normalen Tagesablaufs.

Für das Nutzen von Daten im Haushalt haben Sie vor fünf Jahren das Innovationszentrum „Connected Living e.V.“ gegründet, in dem heute mehr als 50 Mitgliedsunternehmen und -organisationen Lösungen für die intelligente Heimvernetzung entwickeln. Wer profitiert in erster Linie von diesen Entwicklungen?

Alle Bewohner eines Hauses, von den Jugendlichen, die den hohen Komfort schätzen, bis zu Senioren, die durch digitale Technik in den eigenen vier Wänden unterstützt und abgesichert werden. Die Technik ist mittlerweile soweit, dass sie uns viele Empfehlungen geben kann, etwa, wann wir kurz an die frische Luft gehen sollten oder wieder etwas Wasser trinken, bevor wir Kopfschmerzen bekommen. Solche Warnsysteme lassen sich auch vernetzen. Wenn Ihre Mutter nicht mehr besonders beweglich, vielleicht sogar pflegebedürftig ist, können Sie mithilfe eines kleinen Systems erfahren, wann ihr ein Spaziergang mit Ihnen besonders gut tun würde. Zugleich lässt sich mithilfe digitaler Technik Ihr Haus automatisch komfortabel beheizen und beleuchten, zu den Zeiten und in der Intensität, die für sie am komfortabelsten und für die Umwelt am effizientesten sind.

Das von Ihnen geleitete DAI-Labor an der Technischen Universität Berlin kann auf ein umfangreiches Partnernetzwerk aus Forschung und Industrie bauen. Woher rührt Ihrer Einschätzung nach das große Interesse an Ihrer Arbeit?

Wir beschäftigen uns mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. So ist der Bereich der Gesundheit für eine alternde Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Aber auch die Notwendigkeit, unsere Energienutzung zu verbessern, wird zunehmend erkannt. Digitale Technologie ermöglicht auch die Entwicklung von Smart Grids, die Erzeugung, Verteilung und Verbrauch von Energie intelligent und umweltfreundlich miteinander verknüpfen. Wir werden im Zuhause der Zukunft ganz unterschiedliche Energieverbraucher und -erzeuger haben, die es aufeinander abzustimmen gilt – bis hin zum E-Auto in der Garage. Darin liegt eine Riesenchance, gerade auch mit Blick auf die CO2-Reduktion.

Welche Aspekte stehen im ebenfalls von Ihnen mitinitiierten German-Turkish Advanced Research Centre for ICT in Istanbul im Mittelpunkt?

Dort werden vor allem Lösungen für die Städte von Morgen entwickelt. In Istanbul zählt der staureiche Verkehr zu den Hauptproblemen. Wir entwickeln zum Beispiel Warnsysteme, die die Verkehrsteilnehmer rechtzeitig über Staus informieren und Alternativen vorschlagen. Auch arbeiten wir an einem Projekt für die städtische Verkehrsplanung, bei dem wir umfangreiche Daten über das Verkehrsaufkommen sammeln und die Konzentration von Autos in verkehrssensiblen Bereichen analysieren. Grundsätzlich ist das Interesse in der Türkei an technischen Innovationen sehr groß. Das betrifft auch die Bildung: So will die türkische Regierung in den kommenden Jahren jeden Schüler mit einem Tablet-PC ausstatten. Der Bildungsbereich zählt ebenfalls zu den zentralen Arbeitsfeldern des German-Turkish Advanced Research Centre for ICT.

Lässt sich die enorme Herausforderung durch die rasante Entwicklung im Bereich „Big Data“ nur durch internationale Kooperationen bewältigen?

Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir uns auch auf der Forschungsebene vernetzen und versuchen, Probleme gemeinsam zu lösen. Auch wenn national verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden: Letztlich geht es um Entwicklungen, die uns alle betreffen. So bergen Smartphones und Tablets bei all ihrem Nutzen große Gefahren. Wir laden und installieren einfach Apps, ohne zu hinterfragen, was diese Apps tun. Sie können aber Informationen klauen und uns ausspionieren. Auch für diese Herausforderung entwickeln wir im DAI-Labor Lösungen. Im Sicherheitsbereich sind viele Probleme noch nicht einmal richtig beschrieben; die Angreifer auf digitale Systeme ändern ihre Strategien von Tag zu Tag. Auch deshalb müssen wir international kooperieren. ▪

Interview: Johannes Göbel

Prof. Dr. Sahin Albayrak

Smart Cities, Cyber Security, Big Data: Schon eine Auswahl aus Şahin Albayraks Kernkompetenzen zeigt, wie nah der Professor der Technischen Universität Berlin an digitalen Zukunftsthemen forscht. In Berlin hat er das „Distributed Artificial Intelligence Laboratory“ (DAI-Labor) etabliert, in Istanbul das German-Turkish Advanced Research Centre for ICT, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem türkischen Ministerium für Verkehr, Schifffahrtswesen und Kommunikation unterstützt wird. Albayrak, der als junger Mann zum Studium aus der Türkei nach Deutschland kam, wird heute als Berater von Ministerien, staatlichen Einrichtungen und führenden Unternehmen geschätzt.

www.dai-labor.de