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Weg mit den Helden

Die südafrikanische Kuratorin Gabi Ngcobo will auf der 10. Berlin Biennale neue Geschichten erzählen. Was heißt das?

07.06.2018
Biennale Kuratorin Gabi Ngcobo
Biennale Kuratorin Gabi Ngcobo © Masimba Sasa

Frau Ngcobo, die 10. Berlin Biennale steht unter dem Motto „We don’t need another hero“. Was muss man sich darunter vorstellen?Helden stehen in der Regel für Macht und übernatürliche Kräfte. Doch welchen Nutzen hat Macht, wenn wir sie nicht dazu verwenden können, uns selbst zu ermächtigen? Wenn Macht nicht dem Allgemeinwohl dient, sondern missbraucht wird, beispielsweise von Politikern und Machthabern, wirkt sie sich schädigend und höchst vernichtend aus, wie die Geschichte uns gelehrt hat. Der Song von Tina Turner kam in den 1980er-Jahren heraus, einer Zeit großer politischer Turbulenzen und Veränderungen. Hier in Europa war das der Fall des Eisernen Vorhangs, was natürlich weltweit Wellen schlug. Heute, im Jahr 2018, sehen wir uns im Zusammenhang mit Migration, Nationalismus und Grenzkontrollen erneut mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die Biennale stellt Künstler und Künstlerinnen vor, deren Werke sich auf unterschiedlichen Ebenen mit diesen Belangen befassen.

Las Nietas de Nonó
Las Nietas de Nonó © Ernesto Gomez

Ihre Themen sind Machtverhältnisse, historische Narrationen, die Demontage von Herrschaftsstrukturen, Dekolonisation. Wie politisch wird die Berlin Biennale?
Die diesjährige Berlin Biennale nutzt Deutschlands Hauptstadt als Ausgangspunkt, um die mannigfaltigen Narrationen zu erforschen, in die jeder von uns eingebettet ist. Wir wollten keine Ausstellung, die einer einzigen Geschichte oder einem einheitlichen Thema gewidmet ist. Wenn man in solch reaktionären Zeiten lebt, besteht eine Strategie, Machtmissbrauch entgegenzutreten, darin, die vielen Subjektivitäten aufzuzeigen, die uns umgeben. Wie können wir das Konzept der eindimensionalen Geschichte durchbrechen? Wir haben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die solche Fragen aus sehr persönlichen und familiären Positionen heraus angehen. Ich denke dabei an das puerto-ricanische Künstlerinnen-Duo „Las Nietas de Nonò“. Die beiden Schwestern gehen beispielsweise der Frage nach, inwieweit Unterdrückung von Seiten des Staats sich nachträglich auf ganz private und intime Bereiche des Familienlebens auswirken kann. Ich bin an Künstlern und Künstlerinnen interessiert, die in der Lage sind, derartige Dynamiken darzustellen.

Berlin gehört momentan sicher zu den kosmopolitischen Zentren
Gabi Ngcobo, Kuratorin der 10. Berlin Biennale

Sie haben Ausstellungen an verschiedenen Orten kuratiert. Was ist das Besondere an dem Ausstellungsort Berlin?
Ich halte Berlin für eine faszinierende Stadt, die eine Menge zu bieten hat, historisch, geographisch und kulturell. Sie gehört momentan sicher zu den kosmopolitischen Zentren. Wie bereits andere Biennale-Ausgaben zuvor haben auch wir uns für mehrere Veranstaltungsorte innerhalb der Stadt entschieden, darunter die Akademie der Künste und das Z/KU – Zentrum für Kunst und Urbanistik, um das Gespräch über Kunst-Werke, den Hauptveranstaltungsort, hinaus weiterzutragen und möglichst viele Örtlichkeiten miteinzubeziehen, die dazu beitragen, einen Diskurs über Kunst zu schaffen. Das Nebeneinander von bekannten Institutionen, die ein langes historisches Erbe repräsentieren, und neu gegründeten Organisationen, die von den Künstlern und Künstlerinnen selbst geleitet werden, kompliziert die vorherrschende oder etablierte Sichtweise auf Kunst auf produktive Art. Wesentlich ist, den Künstlern und Künstlerinnen bei der Festlegung des Kanons mehr Mitsprache zu gewähren. Künstler und Künstlerinnen erzeugen Wissen und dies sollte meiner Meinung nach entsprechend gewürdigt werden. Die Wahl der diesjährigen Standorte spiegelt das hoffentlich wider.

Auf welchen Pragrammpunkt beziehungsweise Künstler sind Sie besonders gespannt?
Ich freue mich über unser öffentliches Programm, über die Möglichkeiten für das breite Publikum, aktiv an Kunst zu partizipieren und sie zu erleben. Hauptsächlich hoffe ich, dass wir Einfluss nehmen werden auf das Gespräch und den Diskurs über Kunst und dass wir die Frage aufwerfen werden, wer an diesem Dialog teilhaben kann und wer nicht. Ich möchte, dass Menschen aus möglichst vielen unterschiedlichen Gruppen Zugang zur Ausstellung finden. Ich denke, die Auswahl der Künstler und Künstlerinnen spiegelt unser kuratorisches Programm, keine einzelnen oder individuellen Helden oder Champions herauszugreifen, sondern stattdessen eine vielstimmige Narration zu schaffen, aus der sich neue, bislang unerzählte Geschichten herauskristallisieren.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de