„Ich möchte Menschen weltweit nachdenklich machen“
Der belarussische Regisseur Aliaksei Paluyan über sein politisches Engagement und seine Verbindung zu Deutschland.

Der belarussische Regisseur und Drehbuchautor Aliaksei Paluyan lebt seit 2012 in Deutschland. Für seinen ersten langen Dokumentarfilm „Courage“ drehte er 2020 in Minsk unter anderem während der Massenproteste gegen Manipulationen bei der belarussischen Präsidentschaftswahl. 2021 wurde „Courage“ auf der Berlinale gezeigt und erhielt den Hessischen Filmpreis für Newcomer. Aufgrund dieses Films wird Aliaksei Paluyan heute politisch verfolgt und kann nicht mehr in sein Geburtsland einreisen. Ein Gespräch über seine künstlerische Arbeit und sein politisches Engagement.
Ich empfand eine große Liebe zu den Menschen, die für die Gerechtigkeit aufgestanden sind.
Herr Paluyan, was bedeutet Ihnen Ihr Dokumentarfilm „Courage“ persönlich?
„Courage“ ist mein erster Langfilm. Ich habe drei Jahre lang in Belarus daran gearbeitet. Als junger Filmemacher war es für mich enorm wichtig zu verstehen, was künstlerische Freiheit in einem autoritär regierten Land bedeutet – in dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Ich hatte in Deutschland gelernt, was Kino ist, und nun kam es für mich darauf an, aus dieser Distanz meiner Heimat wieder näher zu kommen. Dieser sehr persönliche Film ist in einer Extremsituation während des großen Aufstands entstanden, und ich hatte dann auch viel Angst: um meine Kamerafrau, um mich, um Menschen, die um mich herum waren. Zugleich erlebte ich ein Gefühl von Würde und empfand eine große Liebe zu den Menschen, die für die Gerechtigkeit aufgestanden sind. Jeder vierte in der Zwei-Millionen-Stadt Minsk ging damals auf die Straße. Nach den Dreharbeiten in dieser revolutionären Zeit wurde mir klar, dass ich das Filmmaterial schnell nach Deutschland in Sicherheit bringen musste. Erst beim Schnitt der Aufnahmen habe ich verstanden, was das für ein brisanter Film ist: über eine Nation, die eine Art Coming-of-Age erlebt. Ich habe mich bewusst an die Seite von Menschen gestellt, die in einer unmenschlichen Situation die Kraft haben, ihre Angst zu überwinden und für Menschlichkeit einzustehen.

Seit der Premiere von „Courage“ auf der Berlinale ist es für Sie zu gefährlich, nach Belarus einzureisen. Wie engagieren Sie sich weiterhin?
Nach der Weltpremiere meines Films auf der Berlinale habe ich Drohungen erhalten. Das war eine sehr emotionale Zeit für mich. Von Deutschland aus habe ich mit anderen Exilantinnen und Exilanten die Belarusian Independent Film Academy (BIFA) gegründet. Wir betreiben eine Art Lobbyarbeit für Filmemacherinnen und -macher im Exil, und möchten ein klares Statement setzen: Wir belarussischen Filmleute sind gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine und erklären uns solidarisch mit unseren ukrainischen Kollegen. Wir engagieren uns gemeinsam gegen kulturelle Unterdrückung durch Russland. Die Gründung der BIFA erhielt Unterstützung von der Europäischen Filmakademie und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Außerdem bin ich Mitglied eines Runden Tisches des Auswärtigen Amts, zu dem belarussische sowie russische Vertreterinnen und Vertreter aus allen Kultursparten eingeladen wurden, die sich vom Exil aus mit unterschiedlichen Initiativen für Demokratie und Freiheit in ihren Ländern einsetzen. Das ist ein wertvoller Austausch.
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Einverständniserklärung öffnenWas hoffen Sie, mit Ihren Filmen zu bewirken?
Ich wünsche mir vor allem, dass die Filme gesehen werden, und dass die Fragen, die ich in ihnen stelle, Menschen weltweit nachdenklich machen. Ich frage nach der Rolle von Filmschaffenden und Künstlern in jeder Gesellschaft – vor dem Hintergrund schwieriger und demokratiegefährdender Ereignisse. Demokratie ist nicht selbstverständlich. Gerade erleben wir eine neue Realität: 2020 las man in der Zeitung über die Zerstörung demokratischer Prozesse in Belarus, heute gibt es unter anderem auch Sorgen um die US-amerikanische Demokratie. Welche Rolle fällt jetzt Kunst und Kultur zu? Kultur kann in Gesellschaften wichtige Fragen stellen: Was läuft richtig oder falsch? Was können wir besser machen? Es wird immer wichtiger, die Stimme zu erheben und die Demokratie zu verteidigen. „Courage“ trifft da einen Nerv. Ich habe bei dieser Arbeit zudem erlebt, wieviel Solidarität entstehen kann. Wir Filmemacher aus allen Ländern helfen und unterstützen einander, ob materiell oder mental. Auch in Deutschland spüre ich diesen Zusammenhalt.
Wie sind Sie mit Deutschland verbunden?
Meine Eltern lebten und arbeiteten als Lehrer und Ärztin in den 1980er-Jahren in Bernau bei Berlin. Ich habe später in Minsk am Goethe-Institut Deutsch gelernt und bin 2012 zum Studium an die Kunsthochschule Kassel gegangen. Heute pendle ich beruflich zwischen Kassel, wo ich mit meinen Kollegen die Filmproduktionsfirma Living Pictures Production gegründet habe, und Berlin.
Woran arbeiten Sie im Moment?
Ich arbeite an meinem Spielfilmdebüt, einer deutsch-polnischen Produktion. Es ist ein Familiendrama und spielt auch während der Proteste in Belarus 2020, wobei wir aus Sicherheitsgründen in Warschau drehen. Die zentralen Figuren sind ein Vater, der im System von Präsident Lukaschenka als Bürgermeister arbeitet, und sein Sohn, der sich für Freiheit und Demokratie einsetzt. Was macht das mit der Familie? Wie verhält man sich? Wie geht man konsequent seinen Weg? Weltweit werden solche Konflikte angesichts der Bedrohung der Demokratie Realität.