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„Der Journalismus stirbt nicht“

Deutsch-russischer Medienaustausch: Eine Berliner Podiumsdiskussion blickt auf Journalismus in Russland und das Russlandbild deutscher Medien.

Josefine Janert, 04.08.2017
Journalismus
© dpa

Welchen Weg nimmt Russland? Und welche Rolle spielen russische Medien dabei? Diese Frage wird in Deutschland intensiv diskutiert. Menschen aus vielen Bereichen der Gesellschaft verfolgen mit Spannung, was sich im Osten tut, zumal Deutschland und Russland vielfältige Beziehungen verbinden. Einen Beitrag zu der Debatte leistete die Podiumsdiskussion „Nischen in den Regionen?“ im August 2017 in Berlin, zu der die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, das DokZentrum ansTageslicht.de, Reporter ohne Grenzen sowie das Deutsch-Russische Forum eingeladen hatten. Daran nahmen Medienleute, Wissenschaftler und andere interessierte Bürger aus beiden Ländern teil. Es ging um Journalismus in Russland – und die Frage, wie deutsche Medien Russland sehen.

Negativer Trend

Die deutschen Gastgeber blieben an diesem Abend weitgehend im Hintergrund und überließen es fast völlig den russischen Gästen, über die gegenwärtige Situation zu sprechen. Am Rande der Veranstaltung berichtete Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen jedoch von Sanktionen gegen russische Journalisten. Die Nichtregierungsorganisation führt eine Rangliste der Pressefreiheit. Deutschland steht auf Platz 16, Russland auf Platz 148 von 180 Staaten. „Mehr als 90 Prozent der russischen Bevölkerung nutzen das Fernsehen als erste Informationsquelle“, sagte Ulrike Gruska. „Fast alle Sender sind in staatlicher Hand.“ Viele Kritiker des russischen Staatspräsidenten Putin hätten ihre Jobs verloren. „Nachdem es zu Beginn des Jahrtausends viele kritische Seiten im Internet gab, geht der russische Staat in letzter Zeit rigide gegen Kommunikationsanbieter und Blogger vor“, sagte Gruska. „Blogger haben drastische Geld- und Haftstrafen zu erwarten, selbst wenn sie nur einen kritischen Kommentar geteilt haben.“

Doch russische Leser schätzen die differenzierte Berichterstattung, wie die russsischen Journalisten auf dem Berliner Podium darlegten. Sie erzählten von ihrer schwierigen Arbeit: Unabhängige Medien berichteten zum Beispiel über Umweltverschmutzung, Korruption und einen Skandal im Krankenhaus einer Provinzstadt, wo ein betrunkener Arzt Kinder behandelt hatte. Diese Beiträge würden auf großes Interesse stoßen und hätten mitunter zur Folge, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. Weitab von Moskau, so stimmten die Teilnehmer der Diskussion überein, würden sich Nischen für kritische Berichterstattung auftun. „Unsere Leser bleiben uns treu, weil der Journalismus bei uns nicht gestorben ist und wir alles dafür tun werden, dass er nicht stirbt“, sagte Irina Samochina. Sie ist Geschäftsführerin des Verlages „Krestjanin“ („Landwirt“), den ihr Vater 1991 in Rostow am Don gegründet hatte. 

Die Zeitung, die der Verlag herausgibt, beschäftigt sich mit dem Leben im ländlichen Russland. Im Unterschied zu putintreuen Medien erhalte die Zeitung keine staatlichen Subventionen. Trotzdem, sagte Samochina, würden sie sich aufwändige investigative Recherchen über Missstände leisten. Sie ist Mitbegründerin des Verbandes der unabhängigen Verleger in Russland, zu dem 63 Unternehmen gehören, die etwa in der Fortbildung von Journalisten kooperieren. 

Juristische Erfolge

Die Redaktion des Onlineportals „7x7-journal.ru“ arbeitet in Syktywkar in der nordwestrussischen Republik Komi, mehr als tausend Kilometer von Moskau entfernt. Erdgas- und Erdölförderung ist die wichtigste Wirtschaftsbranche der dünn besiedelten Republik. Im landesweiten Vergleich verdienten die Menschen dort überdurchschnittlich viel, erzählte Pawel Andrejew, Geschäftsführer des „7x7-journals“. Doch die Rohstoffförderung habe auch Schattenseiten: Einer seiner Kollegen habe kürzlich über eine Erdöl-Havarie und die Folgen für Flüsse und Wälder recherchiert. Daraufhin habe die Polizei ihn verhaftet. Mit Hilfe des Rechtsberaters der Redaktion sei es gelungen, ihn freizubekommen und den Bericht zu veröffentlichen. „Die Zensur ist heute viel schlauer als zu Zeiten der Sowjetunion“, resümierte Andrejew. „Ihre Aufgabe besteht darin, das Vertrauen der Leser in die Journalisten zu zerstören.“ Es werde nachhaltig daran gearbeitet, den Ruf der unabhängigen Medienleute zu beschädigen und ihnen das Leben schwer zu machen.

Kritik an deutschen Medien

Kritisiert wurde während der Berliner Veranstaltung auch das Russland-Bild vieler deutscher Medien, vor allem von Tamina Kutscher, Chefredakteurin von dekoder.org in Hamburg. Die Website, die Russland „entschlüsseln“ will, übersetzt dazu Berichte aus unabhängigen russischen Medien und gibt auch selbst Artikel in Auftrag. „Unsere Wahrnehmung von Russland ist zentralistisch“, fasste Kutscher ihre Kritik an der deutschen Russland-Berichterstattung zusammen. Viele deutsche Medien würden sich auf Moskau und Präsident Putin konzentrieren. Sie wären nicht bereit, Recherchereisen in entlegene Gebiete zu bezahlen, wo – wie die Podiumsdiskussion zeigte – interessante Themen warten.

Kutscher kritisierte auch die „Osteuropaexperten“ in manchen Redaktionen, die nicht Russisch sprächen und ihrer Meinung nach zu wenig über Russland wüssten. Die Berichterstattung vieler deutscher Medien sei daher „von Klischees geprägt – Russland-Bashing auf der einen Seite, großes Verständnis auf der anderen Seite und nur wenig Zwischentöne“. Das Team von dekoder.org will dem entgegenwirken, indem es auch über wenig beachtete Personen und Entwicklungen schreibt. So erscheinen zum Beispiel Texte über russische Sänger und Trickfilme, die in Russland jeder und in Deutschland fast niemand kennt. Differenzierte Berichte über Russland, darin waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion einig, tragen zu mehr Verständnis füreinander bei.

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