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Digitale Kontaktpflege

Deutsche und russische Jugendliche nutzen Soziale Medien intensiv.

Оливер Бильгер, 23.12.2014
© dpa/Jens Kalaene - Digitaler Jugendaustausch

Wer in Deutschland über Social Media spricht, denkt als Erstes an Facebook oder Twitter – in Russland ist das anders. Die großen Plattformen aus den USA spielen dort eine deutlich geringere Rolle. Statt auf Facebook verbinden sich Freunde in Russland lieber auf VKontakte, was im Deutschen „in Kontakt“ bedeutet. Das Netzwerk wird in Russland intensiv genutzt. Überhaupt ist in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Internetnutzer in Russland rasant gestiegen. Waren es 2003 noch knapp über drei Millionen, die monatlich online gingen, ist die Zahl inzwischen auf mehr als 66 Millionen gestiegen. Soziale Netzwerke nutzen insgesamt fast 60 Millionen Menschen in Russland. Es wird damit gerechnet, dass die Zahl bis 2017 auf 75 Millionen steigt.

Die russische Bevölkerung gilt unter den Nutzern Sozialer Netzwerke als weltweit mit am aktivsten, vor allem Jugendliche sind öfter und länger online als in anderen Ländern. In Deutschland sind knapp vier von fünf Internetnutzern in mindestens einem Sozialen Netzwerk angemeldet, zwei Drittel nutzen solche Netzwerke auch aktiv. Unter 14- bis 29-Jährigen sind es sogar 87 Prozent, wie eine Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, kurz Bitkom, belegt.

VKontakte, die in Russland mit Abstand meistgenutzte Plattform, zählt mehr als 260 Millionen registrierte Nutzer und 60 Millionen Aufrufe pro Tag. Facebook liegt deutlich dahinter. Dabei diente das internationale Netzwerk seiner russischen Verwandten eindeutig als Vorbild: Nutzer legen Profile an, verknüpfen sich mit Freunden und Bekannten, teilen Interessen, Fotos und Inhalte, tauschen Musik und Videos aus. Zum „Runet“, wie die russischen Webseiten gerne bezeichnet werden, zählt auch Odnoklassniki, das meist von der Eltern-Generation genutzt wird, um mit ehemaligen Schulfreunden im Kontakt zu bleiben. Neben Plattformen für den Austausch von Fotos oder zur Pflege von Geschäftsverbindungen gibt es mit LiveJournal, dem russischen Pendant zu Wordpress, eine sehr beliebte russische Plattform für eigene Blogs.

Für viele junge Menschen, die aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammen, aber heute in Deutschland leben, sind Soziale Netzwerke eine Möglichkeit, mit Angehörigen und Freunden in der alten Heimat weiter in Kontakt zu bleiben, sagt Veronika Kobert, Geschäftsführerin von JunOst, dem Verband der russischsprachigen Jugend in Deutschland. Fotos wie Meinungen können über tausende Kilometer hinweg ausgetauscht werden. Soziale Netzwerke seien „sehr relevant“, sagt Kobert. Manche Freunde und Familienmitglieder hätten sich sogar über das Internet wiedergefunden.

Der digitale Dialog unterstützt auch den Austausch von Russen und Deutschen, die sich noch nicht kennen; das ist in diesen Tagen besonders wichtig. Dabei gab es zuletzt rund um Soziale Netzwerke oft schlechte Nachrichten. Russland hat Gesetze zur Regulierung des Internets verschärft, etwa im vergangenen Sommer: Blogger, Twitterer oder andere Nutzer, die täglich mehr als 3000 Seitenbesucher haben, müssen sich registrieren lassen. Kritiker sehen darin den Versuch des Staates, stärkere Kontrolle über das Internet zu erlangen. Im Zuge der Ukraine-Krise rückte die Rolle von sogenannten Trollen, die in Diskussionsforen mit ihren Meinungen provozieren, stark in den Vordergrund.

Soziale Medien hätten grundsätzlich eine „extrem wichtige Bedeutung für Jugendliche“, sagt Kathrin Haft von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (Stiftung DRJA). Die Stiftung ist bundesweit das zentrale Koordinierungszentrum für den Jugend- und Schüleraustausch mit Russland. In beiden Ländern, so Haft, seien die elektronischen Kanäle die Informationsquelle Nummer eins, wer jung ist in Deutschland oder in Russland beziehe Informationen immer seltener aus klassischen Medien, schon gar nicht aus der Tageszeitung.

Wichtiger als der Informationsaustausch aber ist die digitale Interaktion, der soziale Kontakt im Internet zwischen jungen Deutschen und jungen Russen. „Social Media erleichtert die Kommunikation untereinander“, sagt Haft. Sie nennt ein Beispiel: Der Deutsch-Russische Jugendaustausch organisiert jedes Jahr ein Jugendparlament für 20- bis 25-Jährige aus beiden Ländern. Entweder die Teilnehmer oder die Stiftung richten regelmäßig Facebook-Gruppen ein, über die sich die Jugendlichen schon vor, aber auch nach der eigentlichen Veranstaltung, vernetzen können. Das werde rege genutzt und „verringert die Distanz“, so Haft. Die jüngste Sitzung des Jugendparlaments widmete sich komplett dem Thema „Internet – Freiheit des Wortes, Verantwortung des Einzelnen, Pflichten des Staates“.

Benjamin Spatz, Referent für außerschulischen Austausch bei der Stiftung DRJA, hat beobachtet, dass sich „Kontakte zwischen jungen Menschen durch die digitale Freundschaft verändern“. Beide Seiten bekämen beispielsweise über Facebook mit, wie verschieden Interessen, Bedeutungen und Wahrnehmungen in beiden Ländern bewertet werden können. Noch etwas ist Spatz im Umgang mit Sozialen Netzwerken aufgefallen: Russische Jugendliche würden sich den digitalen Möglichkeiten oft unvoreingenommener nähern, als dies in Deutschland der Fall sei. Während in Deutschland mehr Menschen Angeboten wie Facebook misstrauisch gegenüber stünden, weil sie nicht sicher wissen, was mit all ihren Daten geschehen kann, gingen junge Menschen in Russland lockerer mit ihren persönlichen Angaben um. Das zeige sich etwa an vielen sehr privaten Bildern, die sie auf Facebook oder auf VKontakte einstellten.

Doch das Internet und seine sozialen Netzwerke sind auch ein Fenster in den, je nach Sichtweise, Osten oder Westen. „Die Jugendlichen schätzen den Perspektivenwechsel“, erklärt Spatz. Es sei interessant, vielfältige Meinungen zu hören, die abweichen von der eigenen Meinung oder dem Wissensspektrum des persönlichen Umfeldes. Und gerade in der aktuellen politischen Situation sei es besonders wichtig, beide Seiten kennenzulernen. „Das ist der Anspruch unseres Austauschs“, erklärt Spatz. Es gehe darum, Fremdes kennenzulernen und an sich heranzulassen. Am Ende, so seine Erfahrung, entstünden neue Freundschaften und Beziehungen.