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Spielwiesen für Literaturbegeisterte

Das Internet verändert den Literaturbetrieb. Gelesen und geschrieben wird nicht mehr alleine auf dem Sofa, sondern gemeinsam in der virtuellen Welt.

Astrid Herbold, 23.09.2015
© picture alliance/Zentralbild - E-Book-Reader

Lange haben die Deutschen mit dem digitalen Lesen gefremdelt. Als sich schon die halbe Welt begeistert über E-Reader beugte, wurde in der Heimat von Buchdruck-Erfinder Johannes Gutenberg immer noch die materielle und kulturelle Überlegenheit des papiernen Buches beschworen. E-Book-Verkäufe machten auf dem deutschen Buchmarkt bis 2012 unter ein Prozent des Umsatzes aus. Erst dann stiegen die Zahlen langsam an, auf 4,3 Prozent im Jahr 2014. Dabei sind die Deutschen wahre Leseratten: Mit stabilen 9,6 Milliarden Euro Umsatz und tausenden lokalen Buchhandlungen ist der deutsche Buchmarkt der zweitgrößte der Welt. Nur in den USA werden mehr Bücher verkauft.

Die neue Lust am E-Book scheint übergesprungen zu sein. Das zeigt sich vor allem auf den zahlreichen Self-Publishing- und Social-Reading-Plattformen im Internet, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Das Web hat sich zu einer gigantischen Spielwiese für Lesebegeisterte entwickelt. Unter den Begriff „Social Reading“ fällt alles, was im weitesten Sinne mit dem Meinungsaustausch zwischen Lesenden zu tun hat. Das können Leseblogs sein, Diskussionen bei Facebook, Zitate bei Twitter oder Webseiten, die sich speziell an Fans einer bestimmten Roman- oder Thrillerserie wenden. Auch soziale Lese-Netzwerke wie Lovelybooks.de (das deutsche Pendant zum amerikanischen Portal Goodreads), auf denen Nutzer Profile und virtuelle Bücherregale anlegen, Diskussionen starten und Bücher rezensieren, sind Teil des Trends. Aktuell hat Lovelybooks, das zur Georg von Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehört, rund 165.000 Nutzer.

Doch mit dem Teilen und Bewerten sind die technischen Möglichkeiten des Social Readings noch lange nicht ausgeschöpft. Theoretisch kann man die Interaktion der Rezipienten auch direkt in die Randspalten der E-Books verlagern und diese Kommentare wiederum für alle anderen Leser sichtbar machen. Einige Start-ups wie das von dem bekannten deutschen Blogger und Buchautor gegründete Portal Sobooks.de experimentieren mit dieser Ins-Buch-hineinschreiben-Funktion, noch allerdings ohne allzu großen Erfolg beim breiten deutschen Publikum.

Auch das kollaborative literarische Schreiben, bei dem die Nutzer zum Beispiel gemeinsam an einem Romanepos arbeiten, hat sich noch nicht wirklich durchgesetzt. Dabei lieben die Deutschen das Self-Publishing, das selbständige Publizieren eigener literarischer Werke ohne Verlag im Hintergrund: In allen Altersgruppen und quer durch alle Bildungsschichten wird fabuliert und publiziert – egal ob bei Amazon, Bookrix, Neobooks, Epubli oder Wattpad. Der Wunsch vieler Hobby-Autoren, ihre digitalen Werke ohne Einmischung zu vollenden, scheint deutlich größer zu sein als der nach Kollektiv-Kunst.

Trotzdem gehört das „Social Writing“, wenn auch als Begriff kaum bekannt, längst zur gängigen Praxis im deutschen Internet. Denn woran zehntausende Internetnutzer seit Jahren große Freude haben, ist das gemeinsame Erstellen einer Enzyklopädie: Die deutschsprachige Wikipedia, 2001 gegründet, ist mittlerweile auf 1,8 Millionen Artikel angewachsen und damit die drittgrößte der 280 Wikipedia-Sprachversionen. Mehr als 2 Millionen Nutzer haben sich in den vergangenen Jahren registriert, um Artikel zu bearbeiten. Und 5.600 Autoren schreiben immer noch regelmäßig mit.