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Von Helden und hartgekochten Eiern

Die kenianische Multimedia-Plattform „Shujaaz“ will das Verhalten junger Menschen verändern. Das Geld dafür kommt auch von der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung.

Bettina Rühl , 07.02.2017
© Well Told Story - Media

Die Sache mit den hartgekochten Eiern hat Rob Burnet mit am meisten beeindruckt. Aber davon später. Der Brite ist Gründer und Geschäftsführer von „Well Told Story“ (WTS), einem in Kenia angesiedelten Unternehmen, das einerseits verschiedene Medien produziert und andererseits soziologische Forschung betreibt. Das Geld für diese Forschung kommt unter anderen von der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung. Seinen Sitz hat WTS in Karen, einem Ort nahe der Hauptstadt Nairobi. Das wichtigste Produkt des Unternehmens ist „Shujaaz“ („Helden“), „eine Art interaktive Medienplattform für Jugendliche“, wie Burnet umschreibt.

Den Kern des Shujaaz-Universums bilden einige Comic-Figuren, unter denen „DJ B“ der wichtigste ist. DJ B, der im Shujaaz-Universum mit bürgerlichem Namen Boyie heißt, ist ein ganz durchschnittlicher kenianischer „Loser“: Er hat die Schule abgebrochen und ist jeden Tag damit beschäftigt, sich ein paar Schillinge und etwas Respekt zu erkämpfen. Aber DJ B hat sich einen Fluchtweg aus diesem tristen Alltag geschaffen: In seinem Schlafzimmer steht der von ihm selbstgebaute Radiosender „Shujaaz.fm“. Über den verbreitet Boyie Geschichten aus seinem Alltag, und mit diesen Geschichten wurde der Verlierer zum Helden – nicht nur im Comic, sondern auch in der Realität.

4, 7 Millionen Leser

Das Comicbändchen wird von WTS kostenlos verteilt und liegt unter anderem der größten Tageszeitung Kenias bei, der „Daily Nation“. Burnet schätzt, dass jeder Band 4,7 Millionen Leser erreicht – eine gewaltige Zahl bei einer Bevölkerung von rund 40 Millionen Einwohnern. Hinzu kommen diejenigen, die DJ B aus den Radioprogrammen von „Shujaaz“ kennen, Sendungen also, die Burnets Team aus jungen Schreibern, Zeichnern und Radiomachern produziert und von etlichen privaten Sendern in Kenia und Tansania ausstrahlen lässt. Natürlich sind DJ B und seine Freunde auch in den sozialen Netzwerken aktiv. Überall agieren sie interaktiv, die Leser, Hörer und User können die Geschichten ständig beeinflussen. Die Sprache von Shujaaz ist in Kenia der Jugendslang Sheng, in Tansania die lokale Variante des „jungen“ Kishuaheli.

Hinter den unterhaltsamen und deshalb so beliebten Geschichten steckt ein sehr ernstes Ziel: „Wir wollen das Verhalten der Jugendlichen verändern“, sagt Burnet beim Gespräch im Büro des Unternehmens in Karen. Junge Männer und Frauen sitzen an großen Holztischen vor ihren Laptops, die Arbeitsatmosphäre ist konzentriert und zugleich familiär. In dem 40-köpfigen Team sind zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschließlich mit Forschung beschäftigt. „Wir wollen die Gedankenwelt unserer Leser und Hörer genau kennen, ehe wir ein neues Thema einführen“, sagt Burnet. Denn nur so finde man Gehör, was die erste Voraussetzung dafür ist, Verhalten zu beeinflussen.

Neue Einkommensquellen für junge Menschen

Shujaaz will jungen Menschen vor allem helfen, kreativ zu sein und sich Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Denn auf formelle Jobs können die wenigsten hoffen – „bis zu 90 Prozent der jungen Leute werden keinen Job mit einem Arbeitsvertrag bekommen“. Jedes Jahr kommen laut Burnet 1,2 Millionen junge Menschen neu auf den kenianischen Arbeitsmarkt, in Tansania sind es jährlich 800.000. Arbeit, die Gründung von Mikro-Unternehmen und dergleichen sind also ständige Themen in der Welt von Shujaaz. Aber auch vermeintliche Tabuthemen werden von DJ B und seinen Freunden angepackt: Sex und Verhütung, der Hass zwischen Ethnien. Viele Politiker schüren die gegenseitigen Vorurteile, weil sie sich davon Wählerstimmen und finanzielle Vorteile erhoffen. Nach der Präsidentschaftswahl von 2007 eskalierte diese „Politik“ zu schweren Ausschreitungen mit hunderten Toten, nur knapp entging Kenia dem Bürgerkrieg. DJ B und seine Freunde wollen mithelfen, eine Wiederholung zu verhindern.

Mit Mitteln der Hanns-Seidel-Stiftung hat das WTS-Team auch den Stand und die Gründe der religiösen Radikalisierung unter kenianischen Jugendlichen untersucht. Das Ergebnis fasst Burnet so zusammen: „Anfangs geht es den Jugendlichen, die sich später radikalisieren, fast nie um Religion. Stattdessen fühlen sie sich von der Gesellschaft und der kenianischen Regierung abgelehnt.“ Letztlich suchten sie Respekt und Anerkennung, außerdem ein Einkommen. Radikale Gruppen wie die somalische Terrormiliz Al-Shabaab finden auch in Kenia Anhänger, weil sie den jungen Leuten genau das versprechen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen will WTS zum Thema der Geschichten im Shujaaz-Universum machen, sobald die finanziellen Mittel dafür gefunden sind.

Gute Ideen dank Shujaaz

Dass sie mit ihrer Arbeit erfolgreich sind und Verhaltensänderungen erreichen können, veranschaulicht Burnet mit einer Reihe von Statistiken. Und er erzählt die Geschichte mit den hartgekochten Eiern. WTS erfuhr davon, weil eine junge Frau DJ B begeistert und aufgeregt schrieb: Dank Shujaaz verdiene sie jetzt drei Mal so viel wie früher! Die 21-Jährige lebte davon, dass sie morgens Eier hart kochte und tagsüber an Arbeiter auf Baustellen verkaufte. Angeregt von Shujaaz hatte sie die Idee, zu den Eiern Kachumbari anzubieten, die kenianische Variante von Tomatensalat. Seitdem verkauft sie drei Mal so viele Eier am Tag, konnte deshalb täglich etwas Geld sparen und davon in weitere Mikro-Unternehmen investieren. Die junge Frau ist eine der vielen Heldinnen, von denen Shujaaz erzählt, und die sich dadurch aneinander ein Beispiel nehmen.

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