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Das wundersame Werk des Wolfgang Laib

Der deutsche Künstler Wolfgang Laib hat 2015 den Praemium Imperiale, den japanischen „Nobelpreis der Künste“, erhalten. Wer ist dieser Künstler? Eine Annäherung an Werke aus Pollen und Reis.

Nicola Kuhn, 15.01.2016
© dpa/Kyodo/MAXPPP - Wolfgang Laib
Die Widersprüchlichkeit steckt in Werk wie Preis. Wolfgang Laibs aus Blütenpollen aufgehäufte Hügel sind nur wenige Zentimeter hoch, ein Windstoß könnte sie bereits zerstören, trotzdem wirken sie monumental. In ihrer Dimension springen sie hin und her. Sie besitzen zwar die Fragilität eines aus winzigen Partikeln bestehenden Häufchens und strahlen doch die Größe eines Siebentausenders aus. Auch der Praemium Imperiale Preis imponiert, den der Künstler jetzt erhielt. Mit 114000 Euro dotiert, gilt er als „Nobelpreis der Künste“. Auch hier verkehrt der Künstler die Dimensionen. Die enorme Summe gleicht plötzlich Blütenstaub, viel oder wenig spielt keine Rolle mehr. „Es geht um die Bedeutung der Kunst“, sagt Laib bei der Preisverleihung. „Unsere Gesellschaft wird durch Wissenschaft und Ökonomie dominiert. Kunst aber führt zu einer anderen Zukunft für die Menschheit.“
 
Ein zierlicher Mann spricht diese mächtigen Worte, seine Erscheinung gleicht einem einem buddhistischen Mönch. Die Kunst ist sein Exerzitium. Vor 40 Jahren trat der 1950 geborene Wolfgang Laib erstmals öffentlich auf den Plan mit einem bereits völlig ausgereiften Werk. Medizin hatte er studiert, sogar promoviert, aber nie praktiziert. Das menschliche Dasein reduziert auf den naturwissenschaftlichen Körper, das wurde dem schwäbischen Arztsohn schon während des Studiums zu eng. In der Kunst aber fand er das große Ganze, im Naturmaterial, dessen er sich für seine Arbeiten stets bedient, die Essenz des Lebens. Das erste Werk des gerade 22-Jährigen, ein schwarzer, glatt geschliffener Findling, scheint immer schon dagewesen zu sein, wie aus dem All gefallen, die perfekte Form. Glatt, schwer, rund, dunkel – auch die weiteren Arbeiten Laibs sollten klare Setzungen sein. Bereits sein zweites Stück öffnet ihm die Tür zur Kunstwelt. 1976 präsentiert Laib dem Düsseldorfer Galeristen Konrad Fischer seinen Milchstein. Der staunt und nimmt ihn sofort unter Vertrag. So etwas hatte er zuvor noch nicht gesehen: eine Verbindung aus Natur und Minimal Art, aus Kraft und Verletzlichkeit, aus Flüssigkeit und Festem. Seitdem hat der Künstler seine Milchsteine auf der ganzen Welt präsentiert: Marmorplatten mit einer leichten Mulde, in die er Milch gießt, bis sich die Oberfläche unter der Spannung leicht wölbt. Kaum entdeckt, vertritt Laib 1982 auch schon die Bundesrepublik im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig, im gleichen Jahr sind seine Arbeiten auf der Documenta in Kassel zu sehen.
 
Seitdem ist Wolfgang Laib fester Bestandteil der Kunstwelt und hält sich doch fern, seine Position ist singulär. Alle Versuche, ihn einzuordnen, schlagen fehl. Eine Nähe zu Beuys und seiner mystischen Materialästhetik ist zu erkennen. Was dem Düsseldorfer Schamanen Fett und Filz ist, sind dem Autodidakten aus Metzingen Wachs und Pollenstaub. Beide Künstler besitzen eine große Nähe zu Asien, für Laib ist die östliche Spiritualität explizit Bestandteil seines Schaffens. Bereits als Jugendlicher hat er mit seinen Eltern, die für ein südindisches Dorf Entwicklungshilfe leisteten, den Subkontinent immer wieder bereist und während seines Studiums Sanskrit, Hindi und Tamil gelernt. Heute unterhält er ein Atelier in Tamil Nadu neben seinem Studio im heimischen Biberach. Da kommt es nicht von ungefähr, dass dem Träger einer kleinen runden Hornbrille immer wieder große äußerliche Ähnlichkeit mit dem „Siddharta“-Autor Hermann Hesse bescheinigt wird. Wer Laibs Reishäuser sieht – bestehend aus einfachen weißen Marmorsteinen in der archaischen Form von Riegelhäusern, um die Reis gehäuft ist – oder die auf dem Boden gereihten Messingschalen ebenfalls mit Reis gefüllt, assoziiert sogleich Asien. Laibs Arbeiten mit Blütenwachs, ganze ausgekleidete Räume oder pyramidale Skulpturen, weisen wiederum in den Nahen Osten.  
 
Auch wenn der Kunstbetrieb in Deutschland diesen Ausnahmekünstler groß gemacht hat, so erfährt Laib seine stärkste Bewunderung in den Vereinigten Staaten, in der Heimat seiner Frau, wo er ebenfalls einen Teil des Jahres lebt. 2013 feierte ihn das New Yorker Museum of Modern Art mit einer Ausstellung, zu der das Publikum pilgerte, um seinen sieben mal acht Meter großen Teppich aus goldgelben Haselnusspollen zu sehen, der im Atrium des Hauses ausgebreitet war. Seinem bislang größten Bodenbild – oder sollte man sagen Skulptur? – gingen zehn Jahre Vorbereitungszeit voraus, denn Laib sammelt die Pollen jedes Frühjahr von Hand. Es ist ein Ritual. In dem Werk steckt nicht nur die reine Kraft der Farben, die unmittelbare Stofflichkeit der Natur, sondern auch die mühevolle Aufbereitung durch den Künstler, der in einer guten Saison zwei Schraubgläser voll von Haselnussstrauch, Kiefer, Löwenzahn, Hahnenfuß oder Moos rund um sein Haus im heimischen Biberach einsammeln kann, in weniger guten nur ein halbes. Im Atelier werden die Pollen dann auf Pergament ausgebreitet und gereinigt. Für Ausstellungen verteilt der Künstler dann kniend sein kostbares Material mit einem kleinen Sieb auf dem Boden der Galerie sukzessive zum rechteckigen Feld, ein Bild der Hingabe ans Werk. Das Ergebnis ist ein Teppich, der sanft zu den Seiten ausläuft. Wer sich zu sehr nähert, dem entzieht sich das Werk in seiner Wirkung, aus der Ferne scheint es zu schweben. ▪