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Der Alltag 
als Inszenierung

Die ägyptischen Künstler Jasmina Metwaly und Philip Rizk stellen im Deutschen Pavillon auf der Biennale aus.

أوليفر هايلفاغن, 02.10.2015

Abenddämmerung auf der Dachterrasse eines Wohnblocks im Zentrum von Kairo; im Hintergrund funkeln die Lichter der Großstadt. Schauspielübungen, die Kamera läuft mit: Ein schlanker Mann mit Charakterkopf nimmt wie selbstverständlich auf einem Chefsessel Platz und lässt sich als Erstes einen Aschenbecher bringen. Ein anderer preist mit blumigen Worten seine Kompetenz und Weitsicht. Ein junger Mann mit Strickmütze erzählt von einer Polizeikontrolle.

Die Männer gehören zu einer Gruppe von Arbeitern, die im vergangenen Jahr an einem Theater-Workshop in Kairo teilgenommen haben. Jeden Abend trafen sie sich auf dem Wohnhausdach in einem Zelt, das sie vor neugierigen Blicken schützte, spielten Szenen aus ihrem Arbeitsleben nach und improvisierten ein eigenes Stück, das auf einen realen Hintergrund aufbaut: 2011 besetzten die Beschäftigten der „Egyptian Starch and Glucose Company“ ihre acht Jahre zuvor privatisierte Fabrik, um gegen deren Schließung und Zerstörung zu protestieren.

Jasmina Metwaly und Philip Rizk, zwei junge Ägypter, dokumentierten diesen Protest. Sie begleiteten mit ihrem Medienkollektiv Mosireen die politischen und sozialen Umbrüche nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak. Drei Jahre später entschieden die beiden, den Alltag ägyptischer Arbeiter als re-enactment (Nachinszenierung) und enactment (Improvisation) zu inszenieren: Dazu ließen sie die Laienschauspieler den Verwaltungsgebäude-Grundriss ihres früheren Betriebs auf den Boden aufmalen und Schlüsselszenen nachspielen. Metwaly und Rizk filmten alles und stellten daraus den 71-minütigen Film „Out on the Street“ („Barra Fel Share’“) zusammen.

Florian Ebner, seit 2012 Leiter der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang in Essen, hat den Film als einen von mehreren deutschen Beiträgen zur Biennale 2015 in Venedig ausgewählt. Der diesjährige Kurator des Deutschen Pavillons zeigt dort „Out on the Street“ neben Fotografien von Thomas Zielony, einer Video-Installation von Hito Steyerl und einer Kunst-Aktion von Olaf Nicolai. Alle Beiträge entstanden im Auftrag des Auswärtigen Amts zusammen mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Olaf Nicolai lässt sieben Monate lang auf dem Pavillon-Dach Bumerangs anfertigen und testen – sie sind für Besucher nur zu sehen, wenn sie durch die Luft fliegen.

Da ist der Film von Metwaly und Rizk wesentlich anschaulicher; zudem legen sie im Seitenflügel des Pavillons die knirschenden Dachboden-Fliesen mit dem aufgemalten Betriebs-Grundriss aus und lassen die Zuschauer darüber gehen („Draw It Like This“). Ebner kennt das Duo Metwaly/Rizk seit 2012, als er in Ägyptens Hauptstadt Material für die Foto-Ausstellung „Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution“ sammelte, die im Frühjahr 2013 im Museum Folkwang zu sehen war. Im Katalog lobt Ebner die „unmittelbare Notwendigkeit“ und „unbedingte Dynamik“, mit der die Workshop-Dokumentation „überall wirksame Mechanismen der Macht, ihre Sprache und Demütigungen zum Ausdruck bringt“.

„Out on the Street“ beginnt mit grobkörnigen Handy-Aufnahmen, die ein Arbeiter heimlich auf dem ehemaligen Werksgelände gemacht hat: Es ist nun eine Trümmerwüste aus Betonbrocken und Armierungseisen. Dann folgen Schauspiel-Übungen und Vorbereitungen: Der 33-jährige Rubaa, vormals Kranführer, mimt den Boss mit Bravour; ihm gehen herrische Anweisungen und fadenscheinige Ausflüchte leicht von den Lippen. Damit der Ex-Staatsbetrieb Gewinn abwerfe, müsse man viele Leute entlassen, erklärt er seinen Abteilungsleitern. Und legt gleich los: Ein langjähriger Buchhalter wird ins Lager versetzt; dort ist er zwar überflüssig, kostet aber weniger Geld. Um Protesten vorzubeugen, heuert der Manager eine Sicherheitsfirma an. Als die Beschäftigten dennoch streiken und den Mindestlohn von 1.200 Pfund (etwa 140 Euro) fordern, begründet Rubaa seine Weigerung mit laufenden Verlusten.

Ähnliche Szenen dürften sich in zahllosen Unternehmen in Schwellen- und Entwicklungsländern abspielen. Doch diesen Film zeichnet eine quasi mikroskopische Genauigkeit aus, mit der Verhaltens- und Reaktionsmuster vorgeführt werden: etwa der selbstgefällige Paternalismus des Chefs, der Wohlwollen vortäuscht und absoluten Gehorsam fordert. Den zwischen Aufbegehren und Resignation schwankenden Arbeitern fehlt jedes Druckmittel, um die brutale Hackordnung zu verändern.

Metwaly und Rizk sind nicht die ersten ausländischen Künstler, die als deutscher Biennale-Beitrag in Venedig zu sehen sind. So traten 2013 zwei Fotografen aus Südafrika und Indien sowie der Chinese Ai Weiwei mit einer Stühle-Installation an. Allerdings dürften seine ägyptischen Kollegen die ersten Künstler sein, deren Werk auch beim Berlinale-Filmfestival zu sehen war: im Februar 2015 in der Nebenreihe „Forum Expanded“.

Ob diese Erfolge im westlichen Kunstbetrieb ihre heimische Arbeit erleichtern werde, bleibe abzuwarten, sagt Jasmina Metwaly im Gespräch: Bislang hätten sie „Out on the Street“ in Kairo nicht in größerem Rahmen vorführen können. Es gebe zwar eine durchaus aktive Galerien-Szene, doch diese sei klein und erreiche nur ein beschränktes Publikum. Schade: Diese präzise Beobachtung der Unterdrückung und Nöte ägyptischer Werktätiger wäre im Land selbst sicher genauso aufschlussreich wie für internationale Kunstfreunde. ▪