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Mit offenem Blick am Bosporus

Die Künstlerin Patrizia Bach durchstreift den „Geschichtsspeicher Istanbul“ und lässt sich von alten Fotos inspirieren.

Canan Topçu, 02.09.2021
Patrizia Bach in der Kulturakademie Tarabya
Patrizia Bach in der Kulturakademie Tarabya © Erhan Arık

Wenn Patrizia Bach Istanbul durchwandert, wird sie immer wieder von Einheimischen angesprochen. Die Zeichnerin versucht dann, ihr Tun zu erklären: Wie sie sich von alten Fotos leiten lässt und die Stadt zu Fuß erkundet. Das Gehen und Hinbewegen zu Orten ist für sie Recherchearbeit und gehört zur Feldforschung für ihre künstlerischen Projekte.

2014 und 2015 war sie mit einem DAAD-Stipendium für Bildende Kunst zu ersten Vorarbeiten für ihr Projekt in Istanbul. Die Fotos, von denen sich Bach inspirieren lässt, kaufte sie  von verschiedenen „Eskicis“, fahrenden Trödlern. Interesse für Fotonachlässe habe sie schon als Schülerin gehabt, erzählt die gebürtige Münchnerin, die in Berlin und Istanbul Freie Kunst und Visuelle Kommunikation studiert hat.

Bilder einer Stadt: Blick auf Bachs Arbeitsunterlagen in Tarabya
Bilder einer Stadt: Blick auf Bachs Arbeitsunterlagen in Tarabya © Patrizia Bach

Seit sie ihr Projekt über den von ihr so genannten „Geschichtsspeicher“ Istanbul begonnen hat, war Patrizia Bach immer wieder in der Stadt und dort inzwischen rund 500 Kilometer zu Fuß unterwegs. Bisher hat die Künstlerin 46 Stadtwanderungen dokumentiert – mit Fotos und Notizen, aus denen dann Zeichnungen entstanden sind. Als Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya macht sie das nun wieder seit Februar 2021 – und bis Oktober hat sie noch einige Touren geplant. In der Pandemie von Berlin nach Tarabya zu kommen, empfand sie als eine „Erleichterung“. „Wir leben hier sehr privilegiert, Bosporus-Blick von den Wohnungen aus, der riesige Wald, der zu dem Gelände gehört“, schwärmt sie.

Wegen der Pandemie konnte sie sich zu Beginn mit den anderen Stipendiaten weder drinnen noch draußen treffen. „Die regelmäßigen Dienstagstreffen fanden digital und sobald es ging im Garten statt“, erzählt sie. Die Zurückgezogenheit in der Kulturakademie sei wunderbar, um sich zu konzentrieren, fernab von Pandemie und Trubel.

Kulturakademie Tarabya: ruhiger Ort der Inspiration
Kulturakademie Tarabya: ruhiger Ort der Inspiration © Barıș & Elif

In Istanbul initiierte Bach zwischen 2014 und 2016 das interdisziplinäre Ausstellungsprojekt „Vergangenheit, in jedem ihrer Momente zitierbar“ zu Walter Benjamins Thesen „Über den Begriff der Geschichte“. Dazu lud sie türkische und deutsche Künstler ein, die Stadt mit Benjamins Text gemeinsam zu begehen. Dieses Projekt führt sie nun in der oben beschriebenen Art fort. Dem deutsch-jüdischen Philosophen Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, gilt schon lange ihr besonderes Interesse. Sie liest ihn visuell: 2014 gab Patrizia Bach Walter Benjamins Passagen-Werk in digitaler Form neu heraus und 2018 publizierte sie ihre eigene, zugehörige „Passagen-Arbeit“.

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