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Deutschland, plötzlich cool?

Der aktuelle Titel des Nachrichtenmagazins "Economist" verleiht der Debatte über Heimat und Identität neuen Schub.

Astrid Prange, 17.04.2018
The Economist beschreibt Deutschland als Land im positiven Umruch..
© twitter/the Economist

Das Ost-Ampelmännchen aus DDR-Zeiten steht auf grün. Mit einer kleinen, fast unscheinbaren deutschen Flagge marschiert es in die Zukunft. Das Brandenburger Tor in Berlin dient ihm dabei als Zebrastreifen. Auf der anderen Seite liegt ein neues Land: "Cool Germany".

"Cool Germany", so lautet die Titelgeschichte der jüngsten Ausgabe des "Economist". Das britische Nachrichtenmagazin, das Deutschland aus der Vogelperspektive betrachtet, bringt damit einen neuen Ton in die deutsche Debatte über Heimat und Identität.

Ganz ohne "German Angst" beschreibt Economist-Autor Jeremy Cliffe den Beginn einer neuen Ära. Er ist überzeugt: Deutschland erfindet sich gerade neu. Das Land wird offener, informeller, hipper. Aber auch fragmentierter und polarisierter. Aus der Sicht eines Briten: normaler.

Schmelztiegel Germany

Die einst homogene deutsche Gesellschaft ist für Cliffe zum Schmelztiegel avanciert. Die daraus resultierende Suche nach einer neuen nationalen Identität zwischen amerikanischem Einwanderungsmythos und deutscher Angst vor Überfremdung werde nicht nur die Zukunft Deutschlands, sondern ganz Europas mit bestimmen.

Die Zahlen belegen die vielfach beschriebene Entwicklung Deutschlands zum Einwanderungsland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatte 2016 fast jedes vierte in Deutschland geborene Baby eine ausländische Mutter. Jeder fünfte Einwohner weist einen sogenannten Migrationshintergrund auf - besitzt also mindestens ein Elternteil, das nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

Neue Heimat, fremde Heimat

Auch das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat in seiner jüngsten Ausgabe der Debatte über Heimat und Identität eine Titelgeschichte gewidmet. Unter der Überschrift "Neue Heimat" beschreibt das Magazin ein Land im gesellschaftlichen Umbruch, in dem sich alte und neue Deutsche sowie Flüchtlinge zuweilen fremd fühlen.

In einem sind sich jedoch beide Leitmedien einig: Es gibt ein Unbehagen über die Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge und die damit verbundenen vielfältigen Probleme bei der Integration. Doch während "Der Spiegel" große Teile des Landes "unter Identitätsstress leiden" sieht und beschreibt, dass "Deutsche ohne ausländische Wurzeln Angst haben, Zuwanderer könnten ihnen ihre Heimat nehmen", fällt die Analyse des "Economist" optimistischer aus.

"Die Flüchtlingskrise hat den Horizont Deutschlands erweitert", bescheinigt das Magazin der Bundesregierung. Außerdem bilde sich eine neue gesellschaftliche "Identität heraus, die nationale Zugehörigkeit nicht nur ethnisch, sondern zunehmend staatsbürgerlich definiert".

Vom "kranken Mann" zum "Motor Europas"

Das Lob von britischer Seite kommt nicht überall gut an. "Der Economist schreibt sich Deutschland aus der Brexit-Perspektive schön", kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "In Deutschland werden vor dem Brandenburger Tor Flaggen mit dem Davidstern verbrannt! Cool Germany? Von wegen!"

Cool Germany? Die internationale Wahrnehmung Deutschlands war in den vergangenen Jahren immer wieder Schwankungen unterworfen. In den 1990er Jahren galt das Land als "kranker Mann Europas". 2010 stieg es dann zum "Motor Europas" auf und 2013 schrumpfte es zu einer Nation, die "hinter ihren Möglichkeiten zurückblieb".

Auch Großbritannien galt in den Medien schon einmal als "cool", nämlich als Premier Tony Blair mit "New Labour" (1997 bis 2007) das Land regierte. Doch das Gefühl der Coolness scheint ausländischen Betrachtern beim Blick auf Großbritannien in Brexit-Zeiten wohl abhanden gekommen zu sein.

Ein anerkennender Blick auf das EU-freundliche Germany scheint angesichts dieser Perspektive allzu verständlich. Doch nicht nur der "Economist", auch der "Spiegel" schwärmt vom neuen, "coolen Germany". Zu den Sehnsuchtsorten gelungener Integration gehören süddeutsche Städte wie Augsburg und Stuttgart, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat.

Das Ende der Ära Merkel

Im bayerischen Augsburg funktioniert Integration aufgrund der vielen Jobangebote offenbar reibungslos. "Arbeit ist ein großer Gleichmacher", zitiert der "Spiegel" den Integrationsforscher Jens Schneider, der sich mit Aufstiegschancen für Einwandererfamilien in Städten beschäftigt. "Die Sozialisation über Arbeit hat schon bei den Gastarbeitern (aus der Türkei, d. Red.) funktioniert, und sie funktioniert auch heute noch."

Beim "Economist" steht das Ampelmännchen für Deutschland angesichts solcher Erfolge auf grün. "Es wäre ein Fehler, die Deutschen zu unterschätzen", kommentiert das Magazin. "Allein seit der Wiedervereinigung hat Deutschland den kommunistischen Osten absorbiert, es hat die Finanzkrise Anfang 2000 überwunden und über eine Million Zuwanderer aufgenommen." Für die britischen Journalisten steht fest: Deutschland erfindet sich gerade neu.