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Dialog 
statt Dilemma

Die Junge Islam Konferenz und eine aktuelle Ausstellung fördern den gesellschaftlichen Austausch.

28.10.2014
© picture-alliance/dpa - Religion

Etwa fünf Prozent der deutschen Bevölkerung sind Muslime. Sie arbeiten als Ärzte oder Anwälte, Angestellte oder Automechaniker, manche auch als Abgeordnete oder Fußball-Nationalspieler. Genau wie Nichtmuslime. Die türkischstämmigen Familien, die sich zum Teil schon seit den 1960er-Jahren Wohlstand in Deutschland erarbeitet haben, sind zumeist gut integriert. Ihre Kinder erreichen oft höhere Schulabschlüsse als die Eltern. 14 Prozent von ihnen machen das Abitur; Bildungsgewinner sind vor allem die Mädchen. Das Zusammenleben klappt an vielen Orten reibungslos. Doch an anderen Orten lebt man eher neben- als miteinander. Es gibt zahlreiche Initiativen, die den Dialog zwischen Einwanderern und Einheimischen fördern, sei es auf Ebene der Kommunen, sei es zwischen christlichen Kirchen und Moscheen oder deren Dachverbänden. Der Islam, so sagte es der damalige Innen- und heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble 2006, ist Teil der Gegenwart und der Zukunft Deutschlands.

Auch die Bundesregierung unternimmt einiges, um den Dialog mit dem Islam zu fördern: Schon 2006 rief sie die „Deutsche Islam Konferenz“ (DIK) ins Leben. Repräsentanten der Muslime und des deutschen Staates diskutierten in verschiedenen Arbeitsgruppen darüber, wie sich muslimisches Leben in Deutschland erleichtern und verbessern lässt. Im weiteren Sinne war das eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Doch es steckte auch die Erkenntnis dahinter, dass Deutschland zwar de facto ein Einwanderungsland ist, aber Vielfalt noch nicht überall als Bereicherung angesehen wird. Die Bundesregierung wollte besser verstehen, was Einwanderer aus islamischen Ländern brauchen, um sich in Deutschland angenommen, heimisch und respektiert zu fühlen. Dass Terroranschläge einer der Auslöser für die DIK waren, blieb allerdings eine Hypothek: Viel zu lange, so fanden die meisten muslimischen Repräsentanten in der DIK, wurde dort über Sicherheitsfragen geredet. Moscheegemeinden arbeiten längst gut mit der Polizei zusammen, um darauf aufmerksam zu machen, wenn sich ein Jugendlicher radikalisiert. Aber nur ein winziger Bruchteil der Muslime denkt extremistisch, und von diesen ist nur ein Bruchteil gewaltbereit.

Die Überlagerungen, die nach den Terroranschlägen von 2001 stattgefunden haben, machen Einwanderern in Deutschland bis heute zu schaffen: „Das Wort ‚Islam‘ wird pauschal mit Terror, Unterdrückung, Angst und Gefahr in Verbindung gebracht“, beklagt zum Beispiel Esra Kücük. Die junge Politologin, deren Eltern aus Istanbul stammen und die in Hamburg aufgewachsen ist, möchte das ändern. Sie gründete 2011 die „Junge Islam Konferenz (JIK)“: 40 Jugendliche und junge Erwachsene, die sich zuvor für die Teilnahme beworben hatten, entwickelten Empfehlungen für die „große“ Islamkonferenz und übergaben sie 2013 auch dem damaligen Innenminister.

Zu diesen Empfehlungen gehört zum Beispiel, über extremistische Randgruppen nicht mehr im Rahmen der Islamkonferenz zu sprechen. Auch sollten Themen, die eigentlich in der Hoheit der Bundesländer liegen, etwa die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen, auf Länderebene behandelt werden. Mittlerweile gibt es in fast allen Bundesländern islamischen Religionsunterricht – wenn auch noch nicht an jeder Schule. Zumindest der erste Rat der JIK wurde aufgegriffen: Nach dem Regierungswechsel im Herbst 2013 ist das Bundesinnenministerium nun dabei, für die DIK eine neue Form zu finden. Soviel steht bisher fest: Es soll zum einen darum gehen, wie die Seelsorge für Muslime verbessert werden kann, zum Beispiel in Krankenhäusern. Zum anderen soll überlegt werden, wie ein muslimischer Wohlfahrtsverband gegründet werden kann, der dann eigene Altenheime oder Krankenhäuser betreiben könnte. Ein weiteres Augenmerk wird auf der Jugendarbeit liegen.

Damit ist die Arbeit der Jungen Islam Konferenz aber nicht beendet. Geschäftsführerin Esra Kücük, die am renommierten „Institut d’Études Politiques“ („Sciences Po“) in Paris studiert hat, ist gerade dabei, die JIK auf eine breitere Basis zu stellen: In vier Bundesländern finden 2015 Landeskonferenzen statt, für die sich Jugendliche zwischen 17 und 25 Jahren bewerben können. Weitere Bundesländer sollen folgen. Nachkommen von Einwanderern aus muslimisch geprägten Ländern bilden die eine Hälfte der Teilnehmer, deutschstämmige Jugendliche die andere. Männer und Frauen sollen ebenso gleichmäßig vertreten sein wie Studierende, Schüler und Auszubildende. Geldgeber ist die Mercator-Stiftung mit Sitz in Essen. „Muslimische Jugendliche, die in Deutschland leben, werden häufig auf den Terror des Islamischen Staats oder den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern angesprochen oder sogar in Mithaftung genommen – obwohl sie damit gar nichts zu tun haben“, sagt Esra Kücük. „Wir möchten, dass sie dann kompetent und differenziert antworten können, um aus diesem Dilemma herauszukommen.“

An Jugendliche richtet sich auch eine Ausstellung, die seit 2013 in deutschen Großstädten gezeigt wird und auch im Internet zugänglich ist. Unter dem Titel „Was glaubst Du denn?!“ stellt sie anhand von Porträts junger Menschen die Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland vor. Die Studentin Kübra aus Berlin etwa, die ein fest gebundenes Kopftuch trägt. Sie wird von der Kamera auf dem Weg zur Universität begleitet. Berlin ist ihre Heimat, sagt sie; die Türkei, das Land ihrer Großeltern, liebt sie ebenfalls. Oder Serdinc, der mit seinem Bruder bei seiner Mutter lebt. Sie ist Friseurin, und für ihn ist sie „die Chefin“. „Zu Hause ist eigentlich immer die Frau die Chefin, nur nach außen will man das als Mann nicht so zugeben“, sagt er. Ihren Glauben leben sie alle auf unterschiedliche Weise: Manche praktizieren ihre Religion mit großer Gewissenhaftigkeit, beten und fasten regelmäßig; anderen hingegen ist sie nicht so wichtig – ebenso wie bei Nichtmuslimen auch. Die Schüler sehen die Porträts in Form von Videos und Comics. Ihnen wird deutlich: Religiosität ist immer nur ein Aspekt einer Persönlichkeit. Der Beruf oder die Ausbildung, Hobbys, Freunde, die Familie – das sind oft mindestens ebenso wichtige Facetten. Die Besucher lernen dabei, dass man sich oft vertut, wenn man allein vom Äußeren auf die Religion oder die Meinungen eines Menschen schließt. Das Bundesinnenministerium hat die Ausstellung bei der Bundeszentrale für politische Bildung in Auftrag gegeben; die Idee, junge Menschen dazu anzuregen, die eigenen Stereotype und Vorurteile über Bord zu werfen, stammte aus der Deutschen Islam Konferenz. Das Ziel ist, auf diese Weise positive Einstellungen gegenüber kultureller und religiöser Vielfalt entstehen zu lassen. ▪

Uta Rasche