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Gemeinsamkeiten vertiefen

Seit zehn Jahren fördert das Koordinierungszentrum ConAct den Austausch zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen. Ein Interview mit ConAct-Leiterin Christine Mähler.

13.08.2012
© Conact

Die erfolgreiche Arbeit von ConAct wurde im Rahmen eines Festakts in Schloss Bellevue gewürdigt, auch der israelische Botschafter war zu Gast. Was bedeutet Ihnen dieses Lob von höchster politischer Stelle?

Ich bin froh, dass unser Jubiläum auch von politischer Seite so große Aufmerksamkeit erfahren hat, denn sie rückt die Arbeit aller beteiligten Träger in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Die Initiative ist ja seinerzeit vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau ausgegangen. Auf einer Israelreise regte er 2001 an, die deutsch-israelischen Jugendkontakte auszubauen und zu vertiefen. Das ist uns – nach einem schwierigen Start – auch gelungen. Die Gründung von ConAct fiel in die Phase der sogenannten zweiten Intifada, mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Wir haben in dieser Zeit wertvolle Kontakte aufbauen und halten können. Rückblickend muss man sagen, dass dieses Zusammenhalten in Krisenzeiten eine tiefe Verbundenheit auf beiden Seiten erzeugt hat.

Was ist in diesen zehn Jahren entstanden?

Wir fördern bundesweit jährlich rund 300 Austauschprojekte mit mehr als 7000 Jugendlichen aus Sondermitteln des Bundes von jährlich rund zwei Millionen Euro. Etwa siebzig neue Projektpartnerschaften für den Jugend- und Fachkräfteaustausch haben wir seit der Gründung anregen können. Das hört sich erst einmal gar nicht so viel an. Es ist aber sehr aufwendig, beispielsweise für eine Kirchengemeinde oder eine Jugendeinrichtung eine entsprechende Partnerorganisation in Israel zu finden. Das Menschliche spielt eine große Rolle - die Chemie zwischen den Verantwortlichen muss stimmen, die Strukturen müssen passen. Hinter jeder Projektpartnerschaft steckt ein aufwändiges und sehr differenziertes Matching. Übrigens immer in enger Zusammenarbeit mit dem Israel Youth Exchange Council, unserem Partnerbüro in Israel.

Wer gehört zu den ConAct-Projektpartnern?

Wir haben ein ganz großes Spektrum unterschiedlicher Träger, die sich in der Jugendarbeit engagieren. Sportvereine, Pfadfinder oder politische Jugendverbände sind ebenso dabei wie Bildungsstätten, kommunale Träger oder Freiwilligendienste wie die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Unser Auftrag ist es, diese Träger mit allem auszustatten, was sie brauchen, um Austauschprogramme zu gestalten. Wir beraten und fördern Austauschprojekte über Weiterbildungen und bilaterale Seminare für Fachkräfte in der Jugendhilfe, wir laden Beteiligte bestehender Partnerschaften zu gemeinsamen Begegnungen ein und entwickeln Materialsammlungen, die von den Betreuern bei Jugendbegegnungen eingesetzt werden können. ConAct ist ein zentraler Knotenpunkt, für kleine und große Fragen. Damit leisten wir eine kontinuierliche Arbeit, die es vorher nicht gab. Ein Meilenstein im deutsch-israelischen Jugendaustausch ist das Freiwilligenprogramm „Kom-Mit-Nadev“. Seit 2010 sind erstmals junge Menschen aus Israel eingeladen, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren.

Warum erst jetzt?

Es gab verständlicherweise große Vorbehalte. Freiwillige berichten, dass aus ihren Familien und von Freunden viele Fragen kommen, warum sie für längere Zeit ausgerechnet nach Deutschland gehen. Sie erfahren Widerstand, aber durchaus auch Ermutigung. Für eine längere Zeit nach Deutschland zu kommen, ist für junge Menschen aus Israel nicht selbstverständlich. Außerdem gab es Bedenken, ob es ihnen überhaupt zuzumuten ist, nach dem Militärdienst und häufig einem zusätzlichen sozialen Dienst, ein weiteres Jahr ihrer Lebenszeit als Freiwillige in Deutschland zu investieren.

Haben sich die Bedenken bestätigt?

Es gab Stimmen aus Jugendverbänden in Israel, denen die Idee spontan gefallen hat. Das hat uns ermutigt. Nach einem Jahr Vorbereitungszeit mit unseren israelischen Partnern haben wir Nägel mit Köpfen gemacht und die ersten elf Freiwilligen aus Israel eingeladen. Mehr als die Hälfte von ihnen hält auch nach der Rückkehr den Kontakt, zeigt großes Interesse an unseren Themen und bringt sich jetzt in Israel im Bereich der deutsch-israelischen Jugendarbeit ein. Inzwischen ist schon der zweite Jahrgang im Land und die Zahl der Anmeldungen nimmt zu.

In welchen Projekten arbeiten die Jugendlichen aus Israel?

Wichtig ist uns, dass sie mitten in der deutschen Zivilgesellschaft eingesetzt werden. Das kann auch eine jüdische Einrichtung oder eine Gedenkstätte sein, aber die Erinnerungsarbeit steht nicht im Mittelpunkt. Eine Teilnehmerin hat in einem Frankfurter Familienzentrum der katholischen Kirche mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Andere in einem Jugendkeller oder einem Bildungszentrum wie dem Haus der Wannsee-Konferenz. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und überlegen sehr genau, wo wir unsere Gäste aus Israel einsetzen.

Was hat sich in der Arbeit von ConAct in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Die Vielfalt der Kulturen in beiden Ländern macht sich natürlich auch in unserer Arbeit bemerkbar. Wir haben junge Deutsche italienischer, russischer oder türkischer Herkunft. Viele unserer Projekte beziehen Jugendliche unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft bewusst ein. Gerade vor dem Hintergrund der gemeinsamen Vergangenheit ist es uns ein Anliegen, junge Menschen zu erreichen, die wenig über andere Kulturen wissen oder Vorbehalte haben. Sprache und persönliche Begegnungen sind ein Schlüssel, um Bildungsprozesse anzustoßen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von ConAct?

Die große Anerkennung, die wir von politischer Seite erfahren, sollte auch Ausdruck in finanzieller Unterstützung finden. Die bereit gestellten Mittel nutzen wir bereits mehr als aus. Wenn der deutsch-israelische Austausch weiter wachsen soll, muss man auch investieren. Das gilt für beide Seiten. Den vielen israelischen Partnern fällt es viel schwerer, Gastgeber zu sein, weil sie von staatlicher Seite nicht gefördert werden. Ich wünsche mir eine Fortsetzung unserer erfolgreichen Zusammenarbeit: ConAct steht für „Gemeinsam Handeln“. In kleinen Kunstwerken haben unsere Partner dokumentiert, was in den zehn Jahren an Gemeinsamkeiten entstanden ist. Daraus ist eine Ausstellung geworden. Ich bin sicher, es gibt noch sehr viel mehr Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu vertiefen.

Interview: Gunda Achterhold