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Israelische Freiwillige in Deutschland

Seit Jahren leisten zahlreiche Deutsche Freiwilligendienst in Israel. Aber auch israelische Freiwillige arbeiten in Deutschland.

Maayan Ben Tura, 22.04.2016
© Michael Steininger - Tikva Sendeke

Eine der größten deutschen Freiwilligenorganisationen ist die 1958 gegründete Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Sie erkennt die deutsche Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten an und setzt sich auf dieser Grundlage für Aussöhnung ein. Während sie deutsche Freiwillige schon frühzeitig nach Israel schickte, kamen israelische Freiwillige erst später, vor allem ab 1993, nach Deutschland. Sie ist indes nicht die einzige Organisation, die den Freiwilligenaustausch fördert.

Erst kürzlich wurde eine neue Koordinierungsstelle für deutsche und israelische Freiwillige gegründet: der Deutsch-Israelische Freiwilligendienst. Er wurde im Mai 2015 in Anwesenheit der Präsidenten beider Staaten von Familienministerin Manuela Schwesig aus der Taufe gehoben.

Drei freiwillige Helfer aus Israel, die derzeit in Deutschland Dienst tun, sprechen über ihre Motive.

Die 26-jährige Tikva Sendeke arbeitet als Freiwillige im Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin.

Sendeke führt Besucher der Villa am Großen Wannsee – des Ortes, an dem Nazi-Funktionäre die sogenannte Endlösung, den Holocaust, organisierten – durch die Ausstellung und lehrt sie dabei gleich noch etwas: Juden haben auch nicht alle die gleichen Wurzeln und den gleichen geschichtlichen Hintergrund. Sendeke erzählt, dass bei einer ihrer Führungen mit einer Gruppe aus Südafrika betretene Stille herrschte, als sie sagte, dass sie in Israel lebt. „Warum?“, wurde sie gefragt. Weil sie Israelin sei, antwortete sie. Jemand bat sie, das zu erläutern. „Na ja, meine Eltern sind halt 1984 nach Israel gegangen“, war Sendekes Antwort.

„Wenn die Sprache auf mich kommt, sind die Menschen doppelt geschockt. Erst muss ich erklären, dass ich Jüdin bin, und dann, dass ich als Israelin Freiwilligendienst in Deutschland tue“, erläutert sie. Und so drehte sich die Diskussion auf der Führung damals auch um Juden aus Afrika und deren Sehnsucht nach dem Heiligen Land – für die Gäste aus Südafrika eine neue und überraschende Erkenntnis.

Das Haus der Wannsee-Konferenz, heute eine Holocaust-Gedenkstätte, liegt idyllisch am Großen Wannsee in einem grünen Vorort Berlins. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass hier die „Endlösung“ diskutiert wurde. Sendekes Familiengeschichte ist nicht vom Holocaust geprägt, und doch wollte sie unbedingt an diesem Ort arbeiten.

Als Israelin weiß sie viel über den Holocaust, hat ihn aber nie mit sich selbst in Verbindung gebracht. „Ich wollte die Geschichte des Holocaust zu meiner eigenen machen“, so Sendeke. Sie erklärt, dass die Geschichte des Antisemitismus in Israel die Erfahrungen der Juden Nordafrikas und Äthiopiens de facto ausklammert. Ihrer Ansicht nach sollten alle historischen Narrative, die Teil der israelischen Gesellschaft sind, anerkannt werden. Sie sieht sich selbst als Angehörige einer Minderheit, und als solche ist sie neugierig auf Deutschland, das sich nach seinen Verbrechen gewandelt hat.

Tim Mitnik ist 28 Jahre alt und arbeitet als Freiwilliger am Empfang der Deutschen AIDS-Hilfe in Frankfurt am Main.

Dort verbreitet er gute Laune und nutzt jede Gelegenheit, israelische Musik zu spielen. Aber er macht nicht nur den DJ: Er organisiert die Warteschlangen, registriert diejenigen, die einen Bluttest machen wollen, und erklärt allen das Prozedere.

Der quirlige Medizinstudent lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Für ihn gehört Freiwilligenarbeit zur Integration in die Gesellschaft: Menschen begegnen, die Kultur kennenlernen und die Sprache üben. „Es ist immer gut, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden und etwas zusätzlich zu tun“, erklärt Mitnik. Auf die Idee, als Freiwilliger bei der Deutschen AIDS-Hilfe zu arbeiten, kam er, weil Freunde in Israel das auch tun. „Meine Freunde arbeiten freiwillig bei der Israel AIDS Task Force. Das ist ein cooler Weg, in Kontakt zu bleiben und auf neue Ideen zu kommen.“

Mitnik ist nicht das erste Mal als Freiwilliger im Einsatz. Er hat auch bei „Flowers of Medicine“ gearbeitet, einer Initiative, die Erste-Hilfe-Kurse für Kinder an israelischen Schulen und Gesundheitszentren gibt, sowie auf der Geriatrischen Station des Ichilov-Krankenhauses in Tel Aviv.

Einige von Mitniks Familienangehörigen verloren ihr Leben durch den Holocaust in der Schlucht von Babij Jar in Kiew. Deshalb mag sein Beitrag zur deutschen Gesellschaft manchen seltsam erscheinen. Doch für Mitnik selbst ist das nie ein Konflikt gewesen: „Ich hatte nie das Gefühl, Freiwilligendienst in Deutschland ist in irgendeiner Weise ein Widerspruch. Die deutsche Gesellschaft hat sich total verändert. So wie sich die ganze Welt verändert“, findet er.

Or Goren ist 27 Jahre alt und Freiwillige im Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch in Lutherstadt Wittenberg.

Zu den Klängen von Arik Einsteins Song „Du und ich, wir werden die Welt verändern“ versucht Goren, Jugendlichen eine wichtige Botschaft zu vermitteln: Akzeptiere den anderen! In Zeiten zunehmender Islamophobie und steigender Immigrantenzahlen in Deutschland wird es immer wichtiger, so die Israelin, über dieses Thema zu reden.

Goren, die sich selbst als gesprächig bezeichnet, spricht fließend Deutsch. Daher überrascht es nicht, dass ein Großteil ihrer Arbeit vor Publikum stattfindet: Sie leitet Workshops zum Thema Toleranz und Antisemitismus und bereitet junge Leute auf ihren Israelbesuch vor. Ihr ‚Mehrwert‘, so sieht sie es, bestehe darin, „die israelische Farbe nach Deutschland zu bringen“.

Goren packte ihre Sachen und ging nach Deutschland, kaum dass sie ihren Abschluss in der Tasche hatte. Sie hatte schon früher hier gelebt, als ihr Vater in Deutschland einen Posten hatte. „Dadurch erwachte mein Interesse an der deutschen Kultur und Sichtweise. Und weil ich positive Erfahrungen gemacht hatte, wollte ich etwas zurückgeben,“ resümiert sie. Goren denkt, Israelis und Deutsche verbindet ein besonderes Band, das gepflegt und erhalten werden sollte. Die Jugend ist als nächste an der Reihe, diese Beziehung zu bewahren. Auch daher rührt ihr Wunsch, mit Teenagern zu arbeiten.